Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Die verunglückte Sexgöttin von Hollywood

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Neu auf DVD: Myra Breckinridge - Die Sexgöttin von Hollywood, 1970. Mit Raquel Welch, Mae West, John Huston, Rex Reed, Farrah Fawcett Regie: Michael Sarne

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Warum diesen Film auf DVD? Bei vielen Kritikern gilt „Myra Breckinridge“ als schlechtester Film aller Zeiten. Auf jeden Fall ist der Film ein ansehnliches Beispiel dafür, was passiert, wenn ein Sexsymbol, das sich zu Höherem berufen fühlt, auf eine alternde Diva und einen kiffenden Regisseur trifft und alle zusammen versuchen, einen als unverfilmbaren geltenden Roman zu verfilmen. Worum geht’s? Schwierig zu sagen. Angeblich und ungefähr geht es um Folgendes: Myron Breckinridge hat sich in Europa einer Geschlechtsumwandlung unterzogen und ist nun, unter dem Namen Myra Breckinridge, nach Hollywood zurückgekehrt. Sie gibt sich als Witwe des verstorbenen Myron aus und versucht, Anspruch auf das Vermögen ihres/seines Onkels zu erheben. Der leitet in Hollywood eine Schauspielschule, in der sich die Schüler wohl fühlen, auch wenn sie es zu nichts bringen. So weit, so aufregend. Zugrunde liegt dem Film der Roman des Schriftstellers Gore Vidal. Mit „Myra Breckinridge“ hatte der Sprössling des einflussreichen Gore-Clans (ja, auch Al Gore gehört dazu) 1969 einen ersten großen Erfolg. In "Myra Breckinridge" hatte er sich als einer der ersten Schriftsteller mit dem Thema Transgender und Geschlechtsumwandlung beschäftigt.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Produzenten von 20th Century Fox waren von dem Roman begeistert und boten Gore an, das Drehbuch zu schreiben. Der versuchte sich daran, gab aber schnell auf. Die Produzenten ließen sich davon aber nicht beirren und beauftragten den jungen und unerfahrenen britischen Regisseur Michael Sarne, der bis dahin nur einen mittel-erfolgreichen Fantasie-Film über die Londoner-Swinging-Sixties-Szene abgedreht hatte. Und der hatte nicht nur mit dem Drehbuch zu kämpfen, sondern auch mit den Schauspielern: Mae West wollte mit ihrem ersten Auftritt nach 27 Jahren Leinwand-Absenz ein Comeback feiern. Allerdings unter harten Bedingungen: So durfte keine Aufnahme gemacht werden, in der sie mit Raquel Welch im selben Bild zu sehen war. Welch selbst wollte sich mit dem Film von dem Bild der sexy Darstellerin ohne Begabung emanzipieren. Dass sie sich dafür ausgerechnet diesen Film aussuchte, war großes Pech. Der Regisseur war so unerfahren und, sagen Weggefährten, ein so großer Kiffer vor dem Herrn, dass er von dem Riesen-Projekt völlig überfordert war. Das sieht man dem Film an. Abgesehen von den schönen und weniger schönen, dafür legendären Protagonisten, ist der Film so wirr, dass man sich beim Betrachten überlegt, ob man sich nicht selbst schnell einen Rausch antrinken oder -kiffen sollte, um die Handlung besser nachvollziehen zu können. Zu allem Überfluss beließ Sarne es nicht bei den Filmaufnahmen, sondern schnitt immer wieder Ausschnitte aus alten 20th Century Fox-Filmen rein - der Effekt ist ein wenig quälend und zu den Querelen bei den Dreharbeiten musste sich das Studio schließlich auch noch mit Klagen von Shirley Temple und anderen Schauspielern herumschlagen, die sich durch die verwendeten Ausschnitte verunglimpft sahen. Nach "Myra Breckinridge" stand das riesige Studio kurz vor dem Ruin. Bestes Bonusmaterial: Die "Hollywood-Backstories"-Featurette. In 45 Minuten wird die haarsträubende Geschichte zum Film erzählt. Raquel Welch berichtet von ihrer schrecklichen ersten Begegnung mit Mae West bei 25-Watt-Beleuchtung, der Filmkritiker Rex Reed, der in „Myra Breckinridge“ seinen ersten und einzigen Auftritt als Schauspieler hatte, kommt zu Wort. Und der Regisseur, der nach diesem Film nie wieder in Hollywood gearbeitet hat, lässt auch nach über 30 Jahren noch einen gewissen Verfolgungswahn erkennen. Alles extrem unterhaltsam. Schlechtestes Bonusmaterial: Die alternativen Szenen. Man sieht, dass schwarz-weiß-Aufnahmen im Directors Cut sepiafarben eingefärbt wurden. Einziger Erkenntnisgewinn: Wenn sich Studio und Regisseur streiten, geht es anscheinend auch oft um Quatsch. Schönstes Standbild: Ein immer wieder vorkommendes Leitmotiv ist eine sich drehende überdimensionale weibliche Werbefigur vor dem legendären Hotel "Chateau Marmont". Das bedeutet bestimmt etwas. Aber was? Wann ansehen: Wenn man sich über das schlechte Fernsehprogramm ärgert. Oder wenn einem nach Trash mit künstlerischem Pseudo-Anspruch ist. Oder wenn man sein Party-Wissen mal wieder auf den Vordermann bringen will (Tom "Mr. Magnum" Selleck hatte in Myra Breckinridge seinen ersten - noch Schnurrbartlosen - Auftritt als Boy-Toy von Mae West) Die DVD „Myra Breckinridge – die Sexgötting von Hollywood“ (Arthaust) ist ab sofort im Handel erhältlich. [Bilder: Arthaus]

  • teilen
  • schließen