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Mein Leben nach dem Polaroid. Heute mit Linnea, Thomas, Stephanie und Aletta

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Linnea, 23

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ja, ich kann mich sehr gut an das Polaroid erinnern. Ich war damals 20 und bin nach dem Abi ein Jahr durch Portugal und Spanien gereist. Das Bild wurde gemacht, als ich mit dir, die ich ein paar Tage vorher auf einem Hof an der Algarve kennengelernt hatte, nach Lissabon getrampt bin, wo wir bei einer Freundin von dir übernachtet haben. Das Foto ist in ihrer Küche entstanden. Ich war zu dem Zeitpunkt auf dem Weg zu einem Eselshof, circa eine halbe Stunde von Lissabon entfernt, wo ich dann einen Monat lang gearbeitet habe. Nach der Aufnahme bin ich noch den Rest des Jahres gereist - weiter nach Spanien und Italien. Dann habe ich noch ein halbes Jahr ein Praktikum in Hamburg gemacht, um im Wintersemester 2007 in Dresden Internationale Beziehungen zu studieren. Das hat mir nicht gefallen und deswegen lebe ich jetzt seit einem Jahr in Wien und studiere dort. Dazwischen war ich in Marokko, viel in Tschechien und im Februar für einen Monat in Indien. Ich hab Jonglieren gelernt, viel gekocht und mich daran gewöhnt, viele "Fernfreundschaften" zu haben. Im Moment bin ich für fünf Wochen in Italien bei einer alten Freundin von mir in Padova, die ich lange nicht gesehen habe und wir wollen nach Süden reisen. Gerade versuche ich noch eine Hausarbeit für die Uni fertig zu machen. Wenn ich mich so an mich selbst erinnere, stelle ich fest, dass ich damals sehr spontan und verplant unterwegs war. Ich hatte Vorstellungen von einigen Dingen, die heute anders sind. Jetzt bin ich immer noch verplant, aber ich habe für die nächste Zeit erstmal einen Punkt, an dem ich bleiben werde. Das gibt mir eine gewisse Ruhe. Deswegen bin ich auch zwiegespalten, ob ich zu dem Zeitpunkt zurück möchte, an dem das Bild entstanden ist. Ich hätte schon Lust, wieder unterwegs zu sein. Ohne Zeitlimit. Andererseits finde ich mein Leben grad auch so schön, wie es ist und ich freu mich schon auf meine neue WG in Wien. *** Thomas, 35

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich kann mich an das Polaroid erinnern. Es war im Kulturbundhaus in Leipzig. Meine Freundin hatte die Party mitorganisiert und ich habe vor Ort mit vorbereitet und gehörte zum Kassenpersonal. Damals war ich gerade arbeitssuchend, später hab ich einen 1-Euro-Job wahrgenommen. Ich arbeitete als Praxisanleiter für Holz in der überbetrieblichen Ausbildung. Dann habe ich in einer größeren Tischlerei in der Schweiz gearbeitet. Später war ich in Deutschland wieder arbeitssuchend und habe meine Selbstständigkeit vorbereitet. Mittlerweile bin ich selbstständig und vermarkte "Siebenmeilenstiefel" (auch "Sprungstelzen" genannt) in einem Onlineshop. Die Erfolge im Moment sind eher ideeller Natur. Ich kann von mir behaupten, die eine oder andere Erfahrung mehr als manch anderer in meinem Alter gemacht zu haben. Diese Erfahrungen und Erlebnisse kann man wahrscheinlich mit Geld nicht aufwiegen. Da jedoch im real gelebten Kapitalismus nun mal leider alles mit Geld aufgewogen wird, habe ich es bis jetzt vergleichsweise verpasst, mir einen wirtschaftlichen Wohlstand aufzubauen, nach dem man hierzulande so strebt. Somit bin ich gerade auf der Suche nach einem gesunden Konsens zwischen der Erfüllung der persönlichen Ziele und einer wirtschaftlichen Machbarkeit. *** Stephanie, 26

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als ich das Polaroid zum ersten Mal sah, musste ich lachen. Oder mehr: lächeln, wenn man es genau nimmt. Ich glaube, du hast das Polaroid gemacht, als du nach Deutschland gingst. Ich lebte mit dir zusammen in Camberwell und es war 2007. Seitdem machte ich meinen Abschluss an der Universität „Chelsea“ in London, wo ich Textildesign studierte. Danach zog ich zu meinem Freund nach Schweden und versuchte, dort Arbeit zu finden. Dann lernte ich Schwedisch und ging schließlich wieder zurück an eine Uni und mache momentan einen Master in Textildesign, der noch ein Jahr dauert. Außerdem plane ich gerade, mich selbstständig zu machen und stricke und designe weiter - wie eigentlich schon immer - an viel zu bunten Stoffen und Kleidungsstücken. Seit dem Polaroid habe ich mich unglaublich verändert. Ich habe viel zu viel zu tun, habe kein Geld, jedoch unterstützt mich mein Freund, was unglaublich schwierig zu akzeptieren ist. Trotz allem bin ich unglaublich glücklich. Bei aller Veränderung bin ich aber immer noch die Gleiche und immer noch bin ich sehr glücklich in meiner Beziehung und mit der Tatsache, dass ich mit jemandem glücklich bin, der auch mit mir glücklich ist und der mich so nimmt, wie ich bin und was ich mache. Möchte ich zu diesem Zeitpunkt zurück? Ich weiß nicht. Die Zeit in London - vier Jahre ohne Geld - war sehr schwierig. Was ich momentan mache, finde ich ganz gut. *** Aletta

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich war 22 und war für das Wintersemester nach Lissabon gegangen. Ich wohnte wunderschön – auf dem Hügel, unweit des Jardim de Torel und direkt oberhalb des Elevador do Lavra, der Ältesten der Lissaboner Drahtseilbahnen. Von den zwei Westbalkonen unserer Wohnung hatte man einen einmaligen Blick auf das Barrio Alto, zur Brücke des 25. Juli und nach Almada zur Statue des Christo Rei. Mein Zimmer maß nur circa sechs Quadratmeter – gerade groß genug, um ein Bett, einen Nachttisch und einen nicht all zu ausladenden Schrank unterzubringen. Ich aber hatte einen überdimensional großen, dunklen, hölzernen und ehrwürdigen Kleiderschrank dort drinnen stehen, der einen halb erschlug und zudem einfach unpraktisch war. Diesem Missstand setzten wir dann ein Ende, indem wir den großen Schrank durch einen kleineren austauschten – was gar nicht so einfach war. Nachher freute ich mich über den neu gewonnen Raum und einen hässlichen, aber kleinen Ikeaschrank in meinem Zimmerlein. Damals studierte ich noch European Studies in Passau. Mittlerweile wohne ich in Berlin, mache meinen Master in Soziologie und möchte nicht mehr wirklich den urbanen Abenteuerspielplatz gegen die gemütliche Biertischrunde im Bayerischen Wald tauschen. Allzu schade ist jedoch die Tatsache, dass ich seitdem kaum ein Wort Portugiesisch gesprochen habe, obwohl ich durch die Kellnerei, die ich dort ausbeuterisch für drei Euro die Stunde betrieb, recht flüssig sprechen lernte. Einzig den portugiesischen Jazzsender Radio Europa, den ich dort jeden Tag hörte, schalte ich ab und an ein. Und meine Stiefel sind mir geblieben, die ich jetzt schon im vierten Jahr in Folge trage – hm, wird mal wieder Zeit für ein neues Paar.

Text: evi-lemberger - Fotos: el, privat

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