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Mein Leben nach dem Polaroid. Heute mit Lucy, Bulent und Louis

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Lucy, 40

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich erinnere mich vage an die Aufnahme. Es war im Juni 2008, die Abschlussausstellung an der Foto-Uni, wo ich unterrichtete und du studiertest. Als das Foto entstand, litt ich unter einem schrecklichen Durchhänger. Obwohl ich sehr gerne unterrichte, war mir in jener Zeit jeder Student schon zuviel – geschweige denn die versammelte Studentenschaft, die sich in der Nacht, in der das Foto entstand im Pub zum trinken getroffen hatte. Während dieser Zeit hatte mich bereits um einen neuen Job anderswohin beworben, wusste aber nicht, ob ich ihn bekommen würde. An dem Abend bin ich nur gekommen, weil es eben mein Job war. Diese Abschluss-Ausstellungen sind immer eine blöde Situation, weil die Dozenten die Ergebnisse wissen, die die Studenten erreicht haben. Sie dürfen aber natürlich nichts erzählen. Ich hab also den ganzen Abend damit verbracht, Augenkontakt zu vermeiden, weil ich Angst hatte, die Studenten würden aus von meinen Augen die Ergebnisse lesen. Besonders hart war es, wenn ich die Arbeit eines Schülers mochte und trotzdem nichts sagen durfte. Ich war damals 39 und fand es sehr wichtig, mein Leben zu ändern, bevor ich 40 werde. Und tatsächlich: Ich habe den Job gewechselt. Ich habe jetzt zwei Teilzeitstellen. Ich lehre Kunsttheorie am Royal College of Art und am Institut von Sotheby. Ich habe jetzt ein bisschen mehr Zeit für meine eigenen Sachen und Gedanken, kann schreiben und Projekte machen. Es ist wunderbar, wieder neugierig zu sein, die Energie zu haben, neue Dinge zu lesen und zu sehen. In der Zeit um die Polaroidaufnahme herum fühlte mich wie in einer Depression. Ich arbeitete viel und versuchte mich durch alles durchzukämpfen. Es war fast eine Erleichterung, meine Grenzen zu spüren. Nach dieser Erfahrung versuche ich, Dinge nicht immer nur hartnäckig zu verfolgen. Das Erstaunliche ist nur, dass ich auf dem Foto ziemlich glücklich und entspannt aussehe ... *** Bulent

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich bin mir nicht sicher, aber das Bild muss vor mehr als drei Jahren geschossen worden sein, als wir zusammen in einem Haus in Bristol wohnten. Es sieht so aus, als hätten wir ein Barbequeue gehabt. Auf dem Bild sehe ich wirklich glücklich aus – ich muss mich also gut unterhalten haben. Alles schien damals vollkommen in meinem Leben. Es war, als stünde ich in der Blüte meiner Karriere, meiner Beziehung, meines sozialen Lebens. Aber irgendwie ist alles, was mir Sicherheit und ein Gefühl der Genugtuung gab aus meinem Leben verschwunden. Nachdem das Polaroid entstanden war, reiste ich ab und beendete meinen Job, um in Indien und Nepal für ein paar Monate zu reisen. Dann ging ich in die Schweiz, um mit meinem Partner dort zu leben. Ich blieb sieben Monate. Es war nicht gerade die glücklichste Zeit meines Lebens. In ein neues Land zu ziehen, nur weil man mit seinem Partner dort leben will, ist sehr schwierig. Ich vermisste meine Freunde und mein sehr aktives Leben. Ich vermisste meine Arbeit, entdeckte aber den Gärtner in mir. Wo ich lebte, war ich für die Gartenarbeit zuständig. Zu sehen, was man mit den eigenen Händen erreichen kann, ist unglaublich spannend und macht einen auch ein bisschen stolz. Aber nach den sieben Monaten habe mich von meinem Partner getrennt und bin nach Bristol zurückgekehrt. Im Moment hänge ich einfach meinen Interessen nach. Ich mache Yoga, das stärkt meinen Körper. Ich arbeite, lege aber nicht mehr all mein Engagement in die Arbeit. Ich versuche all das zu machen, wozu ich mir vorher nie die Zeit nahm. Um es kurz zu machen: Ich versuche, verlorene Zeit wettzumachen, indem ich auf mich selbst schaue. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich nur für mich verantwortlich und ich bin nicht bereit, dieses Gefühl aufzugeben – sei es für eine neue Beziehung oder eine feste Arbeit. Auch wenn ich dann in einigen Aspekten „ärmer“ bin. Ich hoffe, dass ich mich in den drei Jahren seit dem Bild verändert habe. Was sich definitiv geändert hat, ist, dass ich weniger erwachsen bin. Ich nahm damals meinen Job und andere Sachen sehr ernst. Das hat mir manchmal die Chance genommen, mein Leben von der komischen Seite zu betrachten. Jetzt weiß ich um einiges besser, wer ich bin und was meine Werte sind und ich brauche mich nicht mehr zu beweisen. Ich erlaube es mir heute, nein zu sagen. Momentan würde ich manchmal gerne zu dem Zeitpunkt zurückgehen als das Polaroid gemacht wurde – nur um vielleicht mit meinem Partner schon früher Schluss zu machen. *** Louis

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich war 24 Jahre alt, im dritten Studienjahr Fotografie an der HGB, gerade hatte ich meine erste Einzelausstellung hinter mir, ein Kraftakt von sieben Wochen Arbeit, davon habe ich vier Wochen fast jeden Tag fotografiert – eine Arbeit über Menschen am Arbeitsplatz und deren Räume, bei der ich viel gelernt habe (Titel „Wo arbeite ich morgen?“). Wo das Foto gemacht wurde, weiß ich nicht mehr genau. Ich weiß, es war im Sommer 2007, Klassenraum mit „goldener Pforte“. Wahrscheinlich habe ich einem Freund beim Ausstellungsbau geholfen, also wie so oft: bei der Arbeit. Seitdem war ich im Sommersemester 2008 in Wroclaw/Polen, was einfach eine super Zeit war! Ich habe tolle Menschen aus der ganzen Welt getroffen. Vor allem hätte ich eher dorthin gehen sollen. Danach noch Baskenland und Schweden. Seitdem immer noch Leipzig, studieren. Und wahrscheinlich hatte ich in den letzten drei Jahren die besten Theorieseminare meines Lebens bei einem sehr guten Professor. Momentan schreibe ich an meinen letzten beiden Hausarbeiten (zur Veränderung der Geste durch digitale Apparate und über die Kindheit als Autobiographie bei Adorno und Benjamin), dann Diplomarbeit in Theorie und Praxis. In weniger als einem Jahr bin ich raus aus dem Elfenbeinturm und dann ist Schluss mit lustig. Natürlich habe ich mich seitdem geändert, denn nur durch Veränderung bleibt man der gleiche – so lautet ein Zitat. Deswegen denke ich nicht, dass ich im Sinne von Wiederholung oder Nostalgie zu einem Moment zurück will. Sicher gibt es Momente, die können nicht lang genug sein. Aber die Erinnerung macht da schon aufregende Sachen mit uns. Und die Fotografie als Medium hat diese Fragen und Antworten ja schon immer in sich. Ich will hier und jetzt sein und eine Entwicklung sehen können.

Text: evi-lemberger - Fotos: el, privat

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