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Attac klagt, weil der Verein gemeinnützig bleiben will.
Es ist ein Deal: Der Staat verzichtet auf Steuern. Dafür darf sich ein gemeinnütziger Verein nicht in die Politik einmischen. Genau das soll die globalisierungskritische Organisation Attac aber gemacht haben, behauptet das Finanzamt Frankfurt – und entzog dem Verein im April 2014 die Gemeinnützigkeit. Er sieht dadurch seine Arbeit stark behindert und hat dagegen nun Klage eingereicht. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Andreas van Baaijen.
jetzt: Von 2000 bis 2009 galt Attac als gemeinnützig. Dann plötzlich nicht mehr. Was ist passiert?
Andreas van Baaijen: Wir verstehen die Entscheidung nicht. Das Finanzamt bewertet jedes Jahr neu, ob ein Verein gemeinnützig ist oder nicht. Aber bei uns hat sich nichts geändert. Attac setzt sich beispielsweise seit seiner Gründung für eine Finanztransaktionssteuer ein. Doch das wird nun als zu politisch beanstandet.
Die „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik“ setzt sich für Waffen ein. „Grüne Vernunft“ für Gentechnik. Beide Vereine sind umstritten, aber als gemeinnützig anerkannt. Was machen Sie verkehrt?
Wir machen nichts verkehrt. Diese Ungleichbehandlung ist skandalös. Anders als die genannten Vereine setzt Attac sich für das Gemeinwohl ein. Das Frankfurter Finanzamt legt die Gesetzesgrundlagen anders aus als bisher – zu unseren Ungunsten.
Das Finanzamt sagt, Sie arbeiten politisch. Und damit könnten sie offiziell kein gemeinnütziger Verein mehr sein.
Natürlich ist unsere Arbeit auch politisch. Wir haben sehr viel mit politischen Fragestellungen zu tun. Was ist nicht politisch, wenn es um unsere Gesellschaft geht? Aber wir behaupten, dass unsere Aktivitäten den gesetzlichen Grundlagen der Gemeinnützigkeit entsprechen.
Politik und Gemeinnützigkeit schließen sich aber aus. So steht es zumindest im Gesetz.
Wir haben konkrete Satzungsziele: Bildung, Völkerverständigung, Umweltschutz, Förderung von Wissenschaft und Forschung. Und in den Bereichen sind wir tätig. Das Problem ist nur, dass das Finanzamt eine andere Definition hat. Nehmen wir die Bildung: Da sagt das Finanzamt, es geht um Mehrung von Wissen. Wir haben ein gänzlich anderes Konzept. Es geht nicht nur darum, Wissen anzuhäufen. Sondern den Menschen in seiner Umwelt so zu bilden, dass er versteht, was um ihn herum passiert. Und dass er da auch eingreifen kann. Das ist gemeinnützig – und politisch.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Also müsste man Ihrer Meinung nach das Gesetz ändern?
Wir sind uns sehr sicher, dass alle unsere Aktivitäten der Gesetzesgrundlage entsprechen und dass es nur eine Frage der Auslegung ist. Das Finanzamt Frankfurt hat eben die Grundlage sehr weit und sehr tendenziös ausgelegt. Deshalb kommt es zu dem Schluss, dass wir nicht den Kriterien entsprechen. Andere Finanzämter hätten uns ganz sicher nicht so bewertet, wie es das Frankfurter Finanzamt tut.
Glauben Sie, dass das Amt gezielt versucht, Ihnen die Arbeit zu erschweren?
(kurzes Zögern) Das weiß ich nicht. Faktisch erschwert es unsere Arbeit natürlich schon. Wie die Absichten dahinter sind, kann ich nicht verifizieren.
Ihr Problem ist also die Auslegung des Finanzamts. Und nicht das Gesetz.
Natürlich ist auch die Gesetzesgrundlage antiquiert. Da kommt eine sehr obrigkeitsstaatliche Haltung zum Ausdruck. Es wäre wichtig zu klären: Welche Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger in Politik und Gesellschaft wollen wir? Und welche brauchen wir in einer Demokratie? Das ist nicht geregelt.
Wie würden Sie es gerne regeln?
Na möglichst offen. So, dass den Menschen gezeigt wird: Wenn ich mich für das Gemeinwohl, die Allgemeinheit engagiere, dann ist das richtig, dann ist das gut. Und dann ist das wichtig für die Gesellschaft.
Aber ist dann nicht die Gefahr groß, dass die Regelung missbraucht wird?
Voraussetzung für Gemeinnützigkeit ist, dass ein Verein sich für das Gemeinwohl einsetzt. Pegida beispielsweise wollte sich als gemeinnütziger Verein formieren – aber selbstverständlich ist Pegida nicht gemeinnützig. Rassismus dient nicht dem Gemeinwohl. Trotzdem kann es natürlich sein, dass Organisationen gemeinnützig sind, deren Ziele man nicht teilt. Das ist dann nicht schön, aber das muss eine Demokratie aushalten. Eine Gesellschaft kann nicht funktionieren, wenn sie sich nicht artikulieren darf.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wie schätzen Sie die Chancen Ihre Klage ein?
Recht gut. Wenn die Auslegung des Finanzamts so durchgehen sollte, dann würde das schließlich bedeuten, dass etliche NGOs nicht mehr als gemeinnützige Vereine weiterarbeiten könnten …
… unter anderem auch Organisationen wie Brot für die Welt oder Amnesty International, mit denen sie die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ formen.
… genau. Wir kommen bisher gut klar. Aber für andere Vereine könnte das womöglich das Ende bedeuten. Das zuständige Finanzgericht wird sich also sehr viel Mühe geben müssen – bei der Abwägung der Argumente und auch in seinem Urteilsspruch.
Was ändert sich für Sie konkret, ohne den Status der Gemeinnützigkeit?
Wir dürfen keine Spendenquittungen ausstellen. Spenden lassen sich also nicht mehr von der Steuer absetzen. Und einige Stiftungen können uns nicht mehr unterstützen. Das ist sehr ärgerlich. Aber das können wir durch andere Spenden zum Glück ausgleichen.
Eine wirkliche Bedrohung stellt es also erst mal nicht da?
Nein. Aber es macht uns das Leben deutlich schwerer, weil wir verwaltungsmäßig wahnsinnig viel Arbeit haben. Weil wir uns mit Dingen beschäftigen müssen, mit denen wir uns nicht beschäftigen würden, wenn wir nicht müssten. Die ganze Buchhaltung muss sich zum Beispiel umstellen. Aber was unsere Vernetzungsarbeit, Bildungsarbeit und unsere Einnahmen angeht, können wir so weiter arbeiten wie vorher auch. Und wir haben bislang immerhin keine Mitglieder verloren. Im Gegenteil: Wir haben neue Mitglieder dazu bekommen, die uns in der Situation unterstützen wollen.