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"Wir kämpfen für eine sichere Zukunft in Schottland"

Ad Zyne

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Der vergangene Mittwoch wurde für Alice Haddlesey zu einem historischen Moment. Die 20-jährige Studentin sprach vor Tausenden EU-Befürwortern auf einer Demonstration vor dem schottischen Parlament. Alice ist Studentin und Mitbegründerin der jungen europäischen Bewegung (YEM) in Edinburgh. Die Gemeinschaft kämpft für ein zweites EU-Referendum in Schottland. Denn die Schotten stimmten eindeutig gegen den Brexit. Viele sind mit der jetzigen Lage unzufrieden. So auch Alice. Sie will die Zukunftchancen zurück, die sie vor dem Brexit hatte. Dafür geht sie auf die Barrikaden. Wir haben mit Alice gesprochen.

jetzt: Alice, Schottland wird laut dem Brexit-Votum die EU verlassen. Wie fühlst du dich eine Woche nach dem Referendum?

Alice Haddlesey: Ich bin immer noch schockiert. Der letzte Freitag war schrecklich für mich. Ich war gerade privat für mein Studium in Moskau. Mein Herz ist mir in die Hose gerutscht, als ich das Ergebnis sah. Im ersten Moment war ich einfach nur völlig fassungslos. Ich bin fest davon ausgegangen, dass die Mehrheit für einen Verbleib stimmen würde. Das Wahlergebnis bricht mir das Herz, besonders im Bezug auf unsere Arbeit für YEM: Es spiegelt einfach überhaupt nicht das wieder, für was wir gekämpft haben.

Erklär doch mal bitte kurz: Wofür kämpft eure Organisation genau?

Das Young European Movement ist der junge Flügel des European Movement in Schottland. Und wir sind auch Teil der Jungen Europäischen Föderalisten. Unser gemeinsames Ziel ist der Verbleib Großbritanniens in der EU. Vor einem Jahr gründete ich mit drei anderen Studenten das YEM in Edinburgh, das speziell junge EU-Befürworter ansprechen soll. Wir kämpfen momentan für ein zweites Referendum in Schottland, damit unser Land Teil der EU bleiben darf.

Knapp 75 Prozent stimmten in Edinburgh gegen den Brexit

Die Schotten haben ja zum Großteil gegen den Brexit gestimmt. Wie fühlt sich das an, übergangen zu werden?

Das ist sehr enttäuschend. Knapp 75 Prozent der Menschen in Edinburgh haben für den Verbleib gestimmt. Ich finde, wir von YEM in Edinburgh haben echt einen super Job vor der Wahl gemacht. Wir haben mit allen Mitteln versucht, unsere Message nach außen zu tragen. Was wir erreicht haben, ist großartig. Auch wenn es vorerst nicht für einen Verbleib in der EU gereicht hat. 

Wie habt ihr denn versucht, junge Leute zum Wählen zu bewegen?

Wir sind seit der Gründung des YEM in Edinburgh vor einem Jahr dabei, junge Leute über das Referendum zu informieren. Vor allem über Social Media erreichen wir sehr viele Menschen. Allein die Facebookseite von YEM Edinburgh hat über 1600 Likes. Wir haben auch Treffen und Infoveranstaltungen an Universitäten organisiert. Zusätzlich arbeiten wir eng mit dem European Movement in Schottland zusammen und bekommen Unterstützung aus dem schottischen Parlament, zum Beispiel von der Green Party. Wir haben versucht, so viel Networking zu betreiben wie möglich. Dafür war ich vor Kurzem auch in Dänemark und Rumänien bei einer EU-Konferenz. Die war sehr wichtig, um internationale Beziehungen zu knüpfen und mit Menschen aus anderen Ländern über das Referendum zu reden. 

Gestern hast du vor Tausenden Leuten bei einer Pro-EU-Demo vor dem schottischen Parlament geredet. Wie fühlte sich das an?

Oh, das war schlimm (lacht). Ich war schrecklich nervös. Gemeinsam mit meinem Kollegen Johnny stand ich ganz allein da vorne vor einer riesigen Menschenmasse und habe meine Rede gehalten. Wir sind ja alle noch recht jung und haben so etwas noch nie zuvor gemacht. Aber wenn ich sehe, wie die Leute uns zustimmen, uns umarmen und dankbar für unsere Arbeit sind, dann vergesse ich die Nervosität. Ich musste fast weinen, weil wir so viel Zuspruch bekommen haben. Es war ein historischer Moment für mich. 

"Nur weil Schottland kleiner ist als England, heißt das nicht, dass wir weniger Wert sind"

Was hast du den Leuten in deiner Rede mitgeteilt?

Ich wollte zeigen, und da spreche ich für die gesamte Bewegung, dass wir Schotten uns vom Rest Großbritanniens unterscheiden, weil wir anders über die EU denken. Wir sind mit dem Ergebnis des Referendums nicht einverstanden. Wir haben alle eine Stimme und die müssen wir jetzt erheben, damit sich etwas ändert. Viele Leute hier fühlen sich ungerecht behandelt und übergangen. Sie denken, ihre Stimme sei nichts Wert. Dabei ist Schottland ein Land mit eigenen Rechten. Nur weil wir kleiner sind als England, heißt das nicht, dass unsere Stimmen weniger wert sind. Bei der Demo gestern haben wir die Sorgen der Schotten offen nach außen kommuniziert, besonders die der jungen Leute.

Was bewegt die jungen Leute denn?

Wir haben das Gefühl, dass unsere Zukunft durch den Brexit zerstört wird. All unsere Träume sind vom einen auf den anderen Tag zerplatzt. Die Situation deprimiert uns, weil wir ohne EU keine Perspektive sehen Es ist sehr schwierig, in diesen unsicheren Zeiten die Hoffnung zu bewahren.

 

Manche behaupten, die älteren Wähler hätten die Zukunft der jungen Menschen zerstört, weil sie mehrheitlich für den Brexit gestimmt haben.

Das kann man so pauschal nicht sagen. Es liegt auch daran, dass leider sehr wenige junge Leute wählen gegangen sind. Viele von ihnen denken, sie verstehen Politik sowieso noch nicht. Sie finden Wahlen unwichtig oder langweilig. Dabei sind gerade ihre Stimmen wichtig, wie man jetzt sieht. Bei vielen Alten besteht das Problem, dass sie die Vergangenheit glorifizieren und das einst so eigenständige britische Königreich zurücksehen. Aber diese romantisierte Vorstellung von Großbritannien existiert nicht mehr. In der Isolation, ohne die EU, wird unser Land nicht mehr das sein, was es mal war. In gewisser Weise hat ein Teil der Bevölkerung also schon unsere Zukunft verspielt. Das sind aber nicht nur die Alten gewesen, man kann ja nicht alle über einen Kamm scheren. Viele haben bei der Wahl einfach nur egoistische Aspekte verfolgt.

Der schottische Abgeordnete Alyn Smith hat im EU-Parlament Standing-Ovations für seine Rede bekommen, in der er erklärte, warum die EU so wichtig für Schottland ist. Smith sagte, er fühle sich als Europäer, nicht als Schotte. Wie siehst du das?

Ja, die Rede habe ich auch gehört. Ich glaube, dass man mehrere Identitäten haben kann. Ich fühle mich sowohl als Europäerin, als auch als Britin oder Schottin. Ich verstehe nicht, woher dieses starke Verlangen in der Gesellschaft kommt, nur zu einer Nation gehören zu wollen. Patriotismus ist wichtig, klar. Ich denke aber, dass es viel gesünder für die Persönlichkeit ist, sich als Bürger mehrerer Staaten oder eines Bündnisses zu sehen. 

 

Warum ist es für Schottland so wichtig, in der EU zu bleiben?

Das hat mehrere Aspekte. Wir leben in einer unsicheren Zeit, geprägt von der Flüchtlingskrise, von Terror und Angst. Wie brauchen eine Einheit, um in Sicherheit leben zu können. Wir müssen zusammenhalten. Diesen Gedanken zerstört das Referendum. Es ist wirklich widerlich, dass wir Menschen den Rücken zukehren, obwohl wir mit ihnen zusammenarbeiten sollten. 

 

"Ein zweites Referendum in Schottland ist unvermeidbar"

 

Sind mit dem Referendum bereits alle Chancen für Schottland auf einen Verbleib in der EU verspielt?

Nein, wir kämpfen auf jeden Fall weiter. Ich bin überzeugt davon, dass ein zweites Referendum in Schottland unvermeidbar ist. Wir als Organisation werden alles dafür tun, in der EU zu bleiben. Leider haben viele Leute hier erst nach dem Referendum kapiert: Wow, da tut sich ja doch was, wenn man wählen geht. Politiker treten ab, die Währung rast in den Keller, solche schnellen Ergebnisse gibt es sonst in der Politik nicht. Ich glaube, das Referendum hat viele erst wach gerüttelt. Wir als Organisation versuchen jetzt, schnell auf dieses neue Interesse aus der Bevölkerung zu reagieren und die Leute anzutreiben, für ein zweites Referendum zu kämpfen. Wann das kommen könnte, kann man jetzt noch nicht abschätzen.

 

Eure Organisation gibt den Schotten also die Hoffnung zurück, die ihnen das Referendum genommen hat?

Ja, genau. Das hat man gestern auch bei unserer Demo gesehen. Wir sind eine Gemeinschaft, die zusammenhält. Wir geben den Leuten genau das, was ihnen der Brexit genommen hat: Sicherheit in unsicheren Zeiten. Der Erfolg gestern hat daran erinnert, warum sich unser Kampf lohnt. Wir wollen unsere Mobilität zurück, in 27 verschiedenen EU-Ländern arbeiten, reisen und leben zu dürfen, ohne Grenzen. Das ist das Europa, für das wir kämpfen. 

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