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Protest muss Spaß machen

Foto: Kay Nietfeld, dpa

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Ein Mann mit schulterlangen Haaren und Kinnbart findet die „Lieber tanz ich als G20“-Demo eher nicht so gut. Er läuft durch die Menge der biertrinkenden Demonstranten, die sich an den Landungsbrücken rund um die Lautsprecherwagen versammeln, und ruft: „Leute, wieso geht ihr gegen G20 auf die Straße! Guckt euch doch mal euer Konsumverhalten an!“ Er schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

Aktivisten streiten gerne darüber, ob Protest mit Wut, Empörung oder sogar Gewalt einhergehen muss, um wirkungsvoll zu sein, oder ob friedliche Präsenz der bessere Weg ist. In Hamburg gibt es in diesen Tagen für beide Gruppen Möglichkeiten zu demonstrieren. Bei der „Welcome to Hell“-Demo am Donnerstagabend werden tausende gewaltbereite Linksautonome erwartet, „Grenzenlose Solidarität statt G20“ am Samstag wird wohl ein eher klassischer Protestmarsch verschiedener Organisationen. Der „Lieber tanz ich als G20“-Zug am Mittwochabend hat allerdings noch eine dritte Form gewählt: Er wurde als „hedonistische Nachttanzdemo“ angekündigt, eine Mischung aus Anti-Globalisierungs-Marsch und Loveparade.

Bloßer Ausdruck der selbstbezogenen Millennials, die keinen politischen Wumms mehr haben?

Dahinter steckt das Bündnis „Alles allen“, also keine feste Organisation, sondern laut Eigenbeschreibung eine „offene Struktur“, bei der jeder mitmachen kann. Auf der Homepage kann man nachlesen, zu welchen Protesten „Alles allen“ rund um den G-20-Gipfel aufgerufen hat und aufruft: am Dienstag „Hard Cornern“, also auf der Straße Bier trinken und Musik hören; am Mittwoch die Nachttanzdemo; am Samstag ein „bunter Block“ auf der Großdemo. „Humorvoll“ soll ihr Protest sein, „lustbetont“ und „bunt“. Also Spaß statt Gewalt, aber auch Spaß statt ernsthafter Kundgebung. Ist das eine sinnvolle Form des Protests? Oder bringt sie überhaupt nichts und ist bloß Ausdruck der selbstbezogenen Millennials, die keinen politischen Wumms mehr haben?

Der Protestforscher Dieter Rucht vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung sagt, dass es schon immer verschiedenste Formen der Proteste gab, die mit Spaß oder künsterlischem Ausdruck gearbeitet haben – vom „Charivari“ im Mitelalter, bei dem mit unmelodischem Lärm bestimmte Personen verspottet wurden, bis hin zur linksintellektuellen Gruppe „Situationistische Internationale“ Ende der Sechziger Jahre. Und sogar der 1. Mai, der ja eigentlich als „Kampftag“ gilt, sei immer schon gleichzeitig ein Feiertag gewesen. Allerdings wurden der Kampf und der Spaß strikt getrennt: „Morgens gab es den Protest und nachmittags dann Tanzveranstaltungen“, sagt Rucht. „Heute wird das kombiniert: Es gibt eine Kundgebung und am Rande stehen die Wurststände.“ In den letzten Jahren habe der Spaßfaktor bei Demos aber insgesamt noch mal zugenommen. „Vor allem junge Leute haben die bierernsten Kundgebungen satt und tragen belebende Elemente in den Protest, malen sich die Gesichter an oder integrieren Samba-Bands.“ 

„G20 ist voll not nice vong Gerechtigkeitsding her“

Bei „Lieber tanz ich als G20“ muss nichts getrennt oder kombiniert werden: Eine Kundgebung gibt es gar nicht, sondern der Zug setzt sich mit lauter Technomusik in Richtung Reeperbahn in Bewegung. Ab und zu ruft jemand „Alles allen“ ins Mikrofon. Auf Bannern, die an den Wagen hängen, steht „Kein globales Pimmelreich“ oder „G20 ist voll not nice vong Gerechtigkeitsding her“. Eine Frau trägt ein Schild mit „Take your G and your 20 and fuck yourself“. Durchdachte und ernsthafte politische Forderungen sehen anders aus. Nur ab und zu skandiert eine Gruppe „Freedom of Movement is everybody’s right“. Ansonsten wird vor allem getanzt und wie im Club gejubelt, wenn ein Track seinen Höhenpunkt erreicht. Daran ist nichts falsch, aber die Frage ist trotzdem, wie viel das bringt. Dieter Ruchts Urteil fällt da ziemlich eindeutig aus: „Ich hab nichts gegen solche Veranstaltungen, aber politisch sind sie absolut wirkungslos“, sagt er. „Es sind Zusammenkünfte von Leuten, die sich verwirklichen wollen, aber die Außenwirkung ist gleich null. Vielleicht ist das aber auch gar nicht gewollt und die Kritik daher nicht angemessen.“ 

Mira, 24, blonder Haarknoten und Bier in der Hand, steht an den Landungsbrücken, als sich die Demo hier formiert. Sie hat sich entschieden teilzunehmen, weil bei dieser Aktion „das Eskalationspotenzial am geringsten ist“. „Ich hab keinen Bock, auf die Fresse zu kriegen“, sagt sie. Und nennt dann einen guten Grund, warum „Lieber tanz ich als G20“ auch gar nicht explizit politisch sein muss: „Mir geht es gar nicht so sehr um den Protest gegen die Mächtigen, sondern um den gegen die Einschränkungen.“ An ihrer Uni, sagt sie, mussten wegen der extremen Sicherheitsvorkehrungen rund um den Gipfel die Prüfungen verschoben werden. Und ihre Freunde, die in der Schanze, leben müssten ihren Mietvertrag mit sich rumtragen, um von der Polizei nach Hause gelassen zu werden. „Warum muss das denn ausgerechnet mitten in der Stadt stattfinden?“, fragt sie.

So gesehen ist die Tanz-Demo, genauso wie das Cornern am Dienstag, eher der Versuch der Hamburger, sich ihre Stadt nicht wegnehmen zu lassen. Die Straßen zu beleben, statt sie wegen eines Gipfels zu verlassen. Die bunte Mischung der Teilnehmer unterstützt diesen Eindruck: Raver in engen Hosen und bauchfreien Tops, Linksalternative mit Dreads, Studenten mit Herschel-Rucksäcken. Ihre „Das ist unsere Stadt“-Einstellung erinnert ein wenig an die Reaktionen auf die Terroranschläge der vergangenen zwei Jahre in europäischen Städten: Ob in Paris, Brüssel, London oder Berlin, immer werden anschließend Stimmen laut, die fordern, sich nicht einschüchtern zu lassen. Rauszugehen und zu zeigen, dass man immer noch Spaß am Leben hat. Aber auch daran gab und gibt es ja Kritik: Dass es selbstbezogen sei, eine Verherrlichung des westlichen Lebensstils, der ja mit Schuld sei an der Radikalisierung junger Muslime, die sich ausgeschlossen fühlen.  

Spaß und Lust als Protestformen

Diesen Vorwurf könnte man auch der „Alles allen“-Party-Demo machen: Was ihr da macht, das ist reiner Hedonismus. Egoistischer, dekadenter Lustgewinn. Allerdings würde man sie damit wohl gar nicht treffen: „Alles allen“ ist an die „Hedonistische Internationale“ angelehnt, die das Prinzip schon im Namen trägt. Die „Hedos“ existieren seit 2006 als loses, linksalternatives Netzwerk, das in seinem Manifest Spaß und Lust als Protestformen nennt. Das kann bedeuten, wie hier in Hamburg gemeinsam zu tanzen, aber auch, Politikern Torten ins Gesicht zu werfen oder nackt in Nazikneipen zu stürmen.

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Foto: Axel Heimken, dpa

„Ich weiß nicht, ob das die beste Form des Protests ist“, sagt die Tanz-Demonstrantin Mira. „Es ist einfach eine Form des Protests. Morgen früh gibt es ja auch ein Yoga-Treffen gegen G20. Ich glaube, da muss einfach jeder seinen Weg finden, sich auszudrücken.“ Das ist natürlich auch wieder sehr individualistisch und sehr millennial. Wie übrigens auch das Motto der Hedonistischen Internationalen: „Do what you want“. Das einzige, was nicht gilt, ist: gar nichts zu machen. Der Rest ist egal, Hauptsache, er passt den Teilnehmern in den Kram, macht Spaß und tut nicht weh. 

Aber bei aller Kritik an Spaß und Party als Protestform, muss man „Lieber tanz ich als G20“ eines lassen: Die Demo macht sehr, sehr gute Laune. Als sie am Mittwochabend gegen 22 Uhr an ihrem Endpunkt, dem Valentinskamp ankommt, wirken die Teilnehmer total euphorisiert, sie springen und tanzen, singen und jubeln, es gibt sogar ein kleines Feuerwerk. Oben an den Fenstern stehen Anwohner, fotografieren und filmen. Womöglich ist es genau das, was den Hedonismus als Protestform heute doch wirkungsvoll macht: Was gut aussieht, das wird viel geteilt und erreicht viele Menschen. Und der Nachttanz-Zug mit den bunten Wagen und den glücklichen Menschen sieht nun mal wirklich gut aus. Die Bilder, die von diesem Protest in den sozialen Netzwerken geteilt werden und durch die Medien gehen, sind darum auch durchweg positiv. Hamburg kommt als offene, friedliche, fröhliche Stadt rüber. Vorerst. Denn der Gipfel ist ja noch nicht vorbei – und nicht alle sind hier, um Spaß zu haben 

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