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Sitzenbleiben, wenn es knallt

Foto: Herbert P. Oczeret / apa

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„Wie weit würdet ihr gehen, wenn jetzt ein Wasserwerfer vor euch steht?“ fragt Paul in die Runde. Ganz rechts liegt ein Schild auf dem Boden, auf dem „Blumen verteilen“ steht, ganz links steht „keine Angst vor Tränengas“. Irgendwo auf dieser Linie sollen wir uns mit unserer Demo-Bereitschaft positionieren. Ich laufe ein bisschen unschlüssig im Raum herum und stelle mich irgendwo in die Mitte. Die meisten anderen auch. „Dann fangen wir mal mit den Basics an“, sagt Paul, der sich ziemlich weit links aufgestellt hat. Die Basics sind: Reißen, Würgen, Zerren. Ein Teil von uns sitzt schreiend und ineinander eingehakt auf dem Boden, während die anderen uns als fiktive Polizisten gewaltsam auseinanderreißen und wegtragen. 

Dieses Blockade-Training ist jetzt zwei Wochen her. Heute Abend wird es hier in der Wiener Innenstadt, wo wir uns getroffen haben, geisterhaft still sein. Wo sich sonst Touristenscharen, Studis und Börsenmakler rumwuseln, wird eine Sperrzone errichtet. Heute Abend ist der erste Bezirk für den sogenannten Akademikerball reserviert: ein Event, das in Wien eine Eskalationstradition hat wie früher in Berlin der erste Mai. Weil sich trotz der jahrelangen Proteste immer noch die Spitze der europäischen Rechten am letzten Freitag im Januar hier selbst feiert. Weil Europas bekanntestes Burschenschaftler-Event ausgerecht im Herzen des Landes, in der Wiener Hofburg, stattfindet. Und weil die Österreichische Polizei Rechtspopulisten wie den FPÖ Vorsitzenden H.C. Strache und Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling wie VIPs zum Walzer eskortieren wird. Wie jedes Jahr werden hunderte Menschen dagegen auf die Straße gehen. Das Blockadetraining soll darauf vorbereiten, mehr zu tun, als Schilder hochzuhalten und zu Samba-Trommeln zu tanzen.

„Ich bin hier, weil ich den Ball verhindern will“, sagt ein blondes Mädchen, Anfang zwanzig vielleicht, in der Vorstellungsrunde. Sie sieht zart und ein bisschen zerbrechlich aus. Es ist nicht ihr erster Akademikerball: „Bestimmt werden wie immer Mülleimer brennen und Farbbeutel fliegen. Das ärgert zwar Polizei und Gäste, ist aber nicht besonders effektiv. Ich will lernen, wie wir den Ball tatsächlich blockieren können.“

Blockieren, das heißt erst mal: Hinsetzen. Da, wo es Sinn macht. Da, wo viele Taxis durchmüssen. Da, wo Ballgäste sehen, dass sie nicht willkommen sind. Also auch da, wo am meisten Polizei rumsteht. Und das ist der komplizierteste Teil: Sitzen bleiben. „Ihr alle habt ein Recht auf zivilen Ungehorsam“, erklärt Paul, „sich irgendwo hinzusetzen ist absolut rechtens. Die Kunst liegt eher darin, sich von der Polizei nicht sofort vertreiben, einschüchtern oder provozieren zu lassen.“ Erfahrungsgemäß werden alle Sitzblockaden früher oder später gewaltsam aufgelöst. Wie man sich dann verhält, üben wir heute.

Am Anfang soll ich mich entscheiden: Schleifen oder Tragen? Als „Päckchen“ wird man schneller weggetragen, als „Sack“ ist man schwerer, dafür leidet das Steißbein unter dem Rumgeschleife. Als es dann losgeht, kann ich mich kaum noch erinnern, für welche Version ich mich entschieden habe. Innerhalb weniger Sekunden ist unsere Probe-Blockade aufgelöst und wir liegen lachend im Raum verteilt, weil die Situation doch absurd wirkt. Aber es wird schnell wieder ernst. Wir alle wissen, dass die Polizei am Abend des Akademikerballs keine Rücksicht auf Nackenprobleme und Knieschmerzen nehmen wird. Und dass man auch nach der Demo wieder mit rechten Hooligangruppen rechnen muss, die in der Stadt unterwegs sind, um wahllos Menschen zu verprügeln. Ich gehe mit gemischten Gefühlen und einer Telefonnummer für Rechtsberatung nach Hause.

Da ist die Stimmung auch nicht gerade entspannender. Am Küchentisch überlegen wir, was man denn tun kann. Denn seit dem Sommer ist die rechtspopulistische FPÖ im Stadtbild überpräsent. Aber nicht auf diese plakative Pegida-Art, sondern ganz selbstverständlich, im Alltag. Mit Plakaten, Kundgebungen und Infoständen. An den Ampelmasten tobt ein Aufkleber-Kleinkrieg und auch ich habe mir angewöhnt, immer ein paar Sticker zum Überkleben der gröbsten Ekelhaftigkeiten dabei zu haben.

„Ist doch absurd, dass die besser aufgestellt sind als wir“, sagt mein Mitbewohner und klingt dabei mehr ratlos als entschlossen. Mit „die“ meint er die Nazis, mit „wir“ schon längst nicht mehr nur ein Grüppchen randalefreudiger Gelegenheitsdemonstranten. Schon der Sommer hat uns alle gezwungen, Position zu beziehen.

 

Beim Akademikerball ist das auch so. Besonders jetzt, wo Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge eingeführt hat, ist die Stimmung in unserer Stammkneipe wenige Abende vorher hitzig. Sogar die, für die das Unterschreiben einer Online-Petition schon das höchste der politischen Gefühle ist, diskutieren mit. Ich kenne wirklich niemanden, den das Thema kalt lässt. Wenige Tage vor dem großen Abend werden an der Bar noch hektisch Telefonnummern ausgetauscht, Treffpunkte ausgemacht und Kleingruppen gebildet, damit man sich auf der Demo nicht verliert.

 

Ein Mitbewohner schickt mir einen Artikel: „Überfall auf Studentinnen in Graz nach Identitären-Demo“. Von denen hört man momentan regelmäßig. Die Identitären gehören zur gewaltbereitesten und rechtsradikalsten Gruppierung in Österreich und sind besonders auf dem Land sehr präsent. Fast wöchentlich hetzen sie vor Flüchtlingsunterkünften und werben vor Volksschulen desorientierte Jugendliche für ihre Organisation an. Sie selbst wehren sich gegen die Bezeichnung „rechtsextrem“. Bei dem Überfall in Graz trugen die Angreifer Mundschutz und Schlagstöcke – nicht gerade die Standard-Ausrüstung friedlicher Demonstranten.

 

Zwischen den gewaltbereiten Neofaschisten und dem Akademikerball besteht ein Zusammenhang, meint Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: „Zwar wird der Ball offiziell von der FPÖ ausgerichtet, die Burschenschaften laden aber trotzdem Mitglieder neonazistischer Gruppen und Parteien ein. Der Akademikerball funktioniert deshalb wie ein Scharnier zwischen dem weichen Rechtsextremismus von FPÖ und Burschenschaften und den miltitanten Neonazis. Alle werden an diesem Abend unter dem gleichen Dach tanzen.“

 

Nicht jede Burschenschaft könne man gleichermaßen dem rechten Flügel zuordnen, meint Peham. Allerdings seien die, die heute Abend in der Hofburg tanzen, die Spitze des rechten Eisbergs. Sie alle zählen sich zu den schlagenden, männerbündnerischen und sogenannten deutsch-nationalen Verbindungen. „Sie alle leugnen die Legitimität Österreichs und zählen sich zur deutschen Nation. Es ist dieser uralte Gedanke einer elitären Volksgemeinschaft, in der Männer das Sagen haben und alles nicht-deutsche keinen Platz hat. Burschenschaften wie die Olympia wollen mit ihrer Nazi-Vergangenheit nichts zu tun haben und laden gleichzeitig Holocaust Leugner zu Vorträgen ein“, sagt Peham. Dass ausgerechnet die FPÖ diese Gruppen zum Vernetzungstreffen in die Wiener Hofburg einlädt, ist für  Peham keine Überraschung: „Es zeigt einmal mehr, wie weit rechts die FPÖ wirklich steht.“

 

Nach wenigen Minuten ist die Blockade geräumt. "Jetzt kommen sie gleich zu uns", sagt meine Nachbarin. 

 

Graz, vor einer Woche. Wie jedes Jahr findet auch hier ein Akademikerball statt. Ein Vorgeplänkel, dessen Gästeliste sich mit dem Ball in der Hofburg größtenteils deckt. Ein Aufwärmtraining für die linken Demonstranten. Und für meine Blockade-Übungsgruppe eine Gelegenheit, die frisch erlernten Skills zu testen.

 

Vor Ort treffen wir uns mit anderen Gruppen, um mögliche Blockadepunkte abzusprechen. Wir wärmen uns noch kurz am Kamin auf, bevor es in die Kälte geht. Es gibt Kaffee, aber kaum einer rührt ihn an: Alle scheinen so angespannt zu sein, dass sie kein Koffein mehr brauchen. Graz ist klein, die Zufahrtswege begrenzt und eine vollständige Blockade der Innenstadt deshalb nicht unmöglich. Das Ziel, den Grazer Akademikerball zu verhindern, ist also durchaus realistisch. Mindestens aber wollen wir denen, die sich dort selbst feiern, zeigen, dass wir damit nicht einverstanden sind.

Unser Blockade-Punkt kommt schon nach den ersten zehn Minuten. Während alle weiterziehen und ihre Fähnchen schwingen, biege ich mit einer Gruppe von siebzig Personen ab, direkt Richtung Congress. Um die Ecke wartet die erste Polizeisperre. Alle in voller Montur. Die Wand aus Polizisten bewegt sich nervös hin und her, als wir auf sie zulaufen.

„Das ist eine Aktion zivilen Ungehorsams. Diese Straße ist blockiert“, ruft einer der Demonstranten durch ein Megafon. Wir setzen uns in mehreren Reihen direkt vor die Absperrung. Erst als der erste Ballgast im Anzug mit Kappe und Schärpe selbstsicher auf die Blockade zuläuft, werden die Polizisten unruhig. Laute Pfiffe und Buh-Rufe vertreiben den Besucher. Mehrere Taxis fahren vor, bleiben stehen, drehen um. Kommen zurück, fahren wieder weiter. Die Blockade erfüllt ihren Zweck: Die Ballgäste kommen nicht durch.

 

Jetzt merke ich, warum wir beim Training so viel übers Sitzen geredet haben. Mir war nicht bewusst, dass das so anstrengend sein kann: Der Boden ist kalt, meine Zehen taub und die Beine schlafen ein. Manche verteilen Tee und Schokolade, andere stimmen Adele-Lieder an. Die Leute haben Thermofolie und Sitzkissen mitgebracht. Ziel ist es, so lange wie möglich sitzen zu bleiben und das erfordert Planung. Mit dem Rucksack voll Proviant fühle ich mich zwar ein bisschen spießig, bin aber ganz froh, meinen Apfel gegen ein zweites Paar Socken tauschen zu können.

 

Von weitem hören wir die Sprechchöre der Demo. „Zwei weitere Blockaden stehen“, lese ich auf Twitter. Eine davon scheinbar ganz in unserer Nähe, in der nächsten Seitenstraße. Wir hören laute Schreie, Polizeisirenen und Pfiffe. Nach wenigen Minuten ist die Blockade geräumt. „Jetzt kommen sie gleich zu uns“, sagt meine Nachbarin. Ich verstaue schnell meinen Tee und hake mich links und rechts bei meinen Nachbarn ein. Mehrere Polizeitrupps bilden einen Kessel um unser Grüppchen. Ein Polizist mit lustigem Käppchen hält ein Megafon, ein anderer spricht hinein, um sie herum bildet sich eine Traube aus Fotografen. Seine Aufforderung, die Straße zu räumen, geht in lautem Geschrei unter. Mit meinen Nachbarn mache ich gerade noch ein Signalwort aus, bei dem sie meinen Arm loslassen sollen, dann geht alles sehr schnell. Ich erkenne nicht mal, ob es Männer oder Frauen sind, die an meinen Beinen zerren, sich auf unsere verschränkten Ellenbogen knien und unter meinem Schal nach der empfindlichen Stelle für den Polizeigriff suchen. Ich schreie wie am Spieß, obwohl mir nichts wehtut. Aber es tut gut, das ganze ausgeschüttete Adrenalin rauszulassen. Ich lasse mich mitschleifen, so lange es geht, dann zieht mich ein Würgegriff von hinten auf die Beine. Mir wird schwindelig und ich taumele aus dem Polizeikessel. Nach 15 Minuten ist die Blockade aufgelöst.

 

Sechs Demonstranten wurden verhaftet. Trotzdem scheinen die meisten mit der Aktion zufrieden zu sein. Obwohl alle Ballgäste letzten Endes von der Polizei eskortiert wurden, haben sich mehr als drei Mal so viele Menschen friedlich dagegen gewehrt, dass so eine Veranstaltung in ihrer Stadt Platz hat.

 

Trotz aller Vorbereitung war ich überrascht, wie hart die Polizei tatsächlich zugreift. Den Würgegriff spüre ich immer noch. Aber immerhin weiß ich jetzt, was heute auf mich zukommen wird. Und dass meine Sitz-Ausrüstung noch optimierungswürdig ist: Ich nehme mir heute Abend auch eine Thermodecke mit. 

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