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Die provokative #HappyHartz-Kampagne ist gescheitert

Foto: Sanktionsfrei

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Kann das ernst gemeint sein? Einige Tage lang geisterten Videos einer vermeintlichen Imagekampagne des Jobcenters durchs Netz. In den Clips loben Hartz-4-Empfänger die Überweisungen vom Amt wie einen Lottogewinn. Da ist Andreas, 47, der sagt: „Mit Hartz 4 kann ich wirklich noch einmal von vorne anfangen.“ Oder Tobias, 17, der von seiner arbeitslosen Mutter erzählt: „Wo gibt’s das schon? Sie verliert ihren Job und bekommt trotzdem Geld.“ Oder die Studentin Anna, 28, die im Clip fröhlich lächelnd erklärt: „Hartz 4 schenkt mir Freiheit.“ Der Hashtag zu diesen Statements: #HappyHartz.

Ist natürlich nicht ernst gemeint. Hinter der Guerilla-Kampagne steht der Berliner Verein „Sanktionsfrei“, der sich für ein Ende der Leistungskürzungen einsetzt, die Hartz-4-Empfängern drohen, wenn sie den vom Jobcenter auferlegten Verpflichtungen nicht nachkommen. Ursprünglich wollten die Kampagnen-Macher die Verwirrung noch eine Weile durchs Netz schwappen lassen und sich erst am Montag outen. Einige Medien waren vorab in den Plan eingeweiht, auch jetzt. Andere allerdings nicht – und spekulierten zunächst, ob es sich um eine Finte von Jan Böhmermann handeln könnte oder um eine Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“. Oder vielleicht doch um eine ernstgemeinte Imagewerbung, vielleicht von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, einer Tarn-Lobby der Arbeitgeber? Am Mittwoch schließlich enttarnte ein Redakteur des Deutschlandfunks die Macher, vorzeitig und zu deren Ärger.

Man kann jetzt darüber streiten, wem das Debakel anzulasten ist: Haben die Guerillas von „Bedingungslos“ ihre Spuren zu schlecht verwischt? Oder ist der Spielverderber in Wahrheit der Redakteur, der sich nicht auf die Sperrfrist einlassen wollte? Fest steht: Die Guerilla-Aktion ist gründlich schiefgegangen. Die Kommunikationspanne überdeckt nun das eigentliche Anliegen von „Sanktionsfrei“. Als Kampagne zumindest gibt es für „Happy Hartz“ kein Happy End mehr.

Was schade ist, weil es durchaus lohnt, sich mit dem auseinanderzusetzen, worauf der Verein aufmerksam machen möchte: Wie lebt es sich eigentlich, wenn man Arbeitslosengeld II bezieht, gemeinhin als Hartz 4 bekannt? Wirklich gut, unbesorgt, zukunftsfroh und frei vom gesellschaftlichen Stigma als irgendwie Gescheiterter, wie die Testimonials es so provokant in den Spots behaupten?

Als Anna, eines der Gesichter aus den Clips, im Sommersemester 2016 ihr Teilzeit-Masterstudium Soziale Arbeit aufgenommen hat, beantragte sie Hartz 4. Bafög bekam sie nicht. Nebenbei zu jobben war für sie als alleinerziehende Mutter mit einem Kleinkind schwierig. Es blieb also nur der Gang zum Jobcenter.

Ein kleiner Fehler zwischen Behörden stürzte Anna in Existenzsorgen

Und damit fingen die Probleme an, erzählt sie. Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Folgeantrag. Anna reichte alle Unterlagen ein, auch die Bescheinigung vom Bafög-Amt, wonach ihr keine Studienunterstützung zusteht. Es passierte: nichts. Sie rief an, fragte nach, ob ein Dokument fehle. Nein, alles in Ordnung, hieß es, etwas Geduld vielleicht. Es passierte: wieder nichts. 

So sei es eine Weile hin und her gegangen, erzählt Anna, bis sie skeptisch wurde und direkt zum Jobcenter ging. „Da hieß es, mein Fall sei stillgelegt worden, weil ein Dokument fehlte.“ Das Bafög-Amt hatte in der Bescheinigung offenbar den falschen Paragrafen vermerkt. Ein kleiner Fehler zwischen zwei Behörden, der Anna direkt in Existenzsorgen stürzte: Bekomme ich weiterhin Geld? Wirft mich der Vermieter aus der Wohnung, weil das Jobcenter plötzlich die Miete nicht mehr übernimmt?

 

Oder die Episode, als Anna ihren Nebenjob als studentische Hilfskraft anmelden wollte, fünf Stunden in der Woche, 229 Euro Verdienst im Monat. Was eine Hartz-4-Empfängerin nebenher erwirtschaftet, wird zum Teil mit der Zahlung des Jobcenters verrechnet. Doch auf dem Amt interpretierte man Annas Meldung offenbar aus irgendeinem Grunde so, als habe sie von einem Teilzeit- zu einem Vollzeitstudium gewechselt – und sei damit nicht mehr berechtigt, Hartz 4 zu beziehen.

 

„Manchmal kommt es mir so vor, als wollten sie einen absichtlich falsch verstehen“, sagt die Studentin. „Für das Jobcenter ist man eine Nummer, die sehen nicht den Menschen dahinter.“

 

Es ist nicht nur die Bürokratie, die es Hartz-4-Empfängern schwermacht, die vielen Formulare mit ihren vielen möglichen Missverständnissen wie in Annas Fall. Mitunter greifen die Ämter auch zu drakonischen Strafen, wenn Leistungsempfänger nicht kooperieren. Verstößt ein Hartz-4-Bezieher gegen eine Auflage und kommt zum Beispiel nicht zum Beratungstermin, kann das Jobcenter die Bezüge drei Monate lang um zehn Prozent kürzen. Bessert er sich nicht, können der Hartz-4-Satz weiter gekürzt werden.

 

Für junge Menschen unter 25 sind die Sanktionen noch drastischer: Beim ersten Verstoß kann das Amt bereits 30 Prozent der Leistungen streichen, beim zweiten 60 Prozent, im Ernstfall kann es die Hartz-4-Überweisungen für einige Zeit ganz aussetzen. Zum Leben bleibt dann nicht mehr viel, mitunter praktisch nichts. Muss das sein?

 

Arne Uhlendorff ist Ökonom und hat im Frühjahr mit zwei weiteren Kollegen in einer Studie für das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), der Forschungseinrichtung der Arbeitsagentur, die Wirkung der Strafkürzungen untersucht. Das Ergebnis fällt durchwachsen aus. „Sanktionen sind grundsätzlich sinnvoll“, sagt Uhlendorff, „aber es kommt sehr auf die Ausgestaltung an.“ Auch wenn viele Hartz-4-Empfänger selbst alles dafür tun würden, um schnell einen Job zu finden – bei manchen Arbeitslosen brauche es ein Druckmittel, damit sie die Suche auch ernst nehmen, auch in ihrem eigenen Interesse. „Es kann allerdings passieren, dass Personen dadurch in einen Job gedrängt werden, der gar nicht so gut ist für sie.“

 

„Mit den drastischen Sanktionen für Unter-25-Jährige sollte man vorsichtig sein“, sagt Ökonom Uhlendorff

 

Genau dieses zweischneidige Ergebnis lieferte die Studie: Junge Hartz-4-Empfänger, denen die Leistungen gekürzt wurden, hatten zwar schneller wieder eine Tätigkeit – allerdings zu einer schlechteren Bezahlung als Hartz-4-Empfänger, die keine Sanktion verpasst bekamen. Anders ausgedrückt: Der Druck des Amtes führt offenbar dazu, dass viele das erstbeste Arbeitsangebot annehmen, obwohl es für sie sinnvoll wäre, länger nach der passenden Stelle zu suchen.

 

Noch dramatischer ist das zweite Ergebnis der Forscher: Bei einem Teil der Sanktionierten passiert nämlich das Gegenteil – sie schreiben nicht umso fieberhafter Bewerbungen, sondern geben die Stellensuche ganz auf, verlieren irgendwann vielleicht, weil das Amt nicht mehr für die Miete aufkommt, die Wohnung, schlagen sich durch, werden obdachlos, vielleicht kriminell. Die Strafe erreicht das Gegenteil von dem, was sie bewirken soll. „Das spricht aus unserer Sicht dafür, dass man mit den besonders drastischen Sanktionen für Unter-25-Jährige vorsichtig sein sollte und die Regelungen noch einmal überprüft“, sagt Uhlendorff.

 

Wie auch immer man die Sanktionen beurteilt, ein Widerspruch bleibt im jetzigen System unaufgelöst: Der Hartz-4-Satz ist so berechnet, dass er das Existenzminimum abdeckt, derzeit liegt der Satz bei 409 Euro plus Wohnungskosten. Die Akribie, mit der die Höhe ermittelt wird, zeigt bereits, wie ernst sie zu nehmen ist: Der Satz bemisst sich im Detail danach, wie viele Lebensmittel, Kinobesuche, Bücher oder Telefonate zu einem würdigen Leben in Deutschland gehören sollten. Aber wenn Hartz 4 bereits die Untergrenze ist, wie kann man dann noch kürzen? Mit welcher Begründung lässt sich aus dem für die Würde des Menschen Unantastbarem noch eine Strafzahlung für Regelverstöße abzweigen? 

Auf Partys der jungen, studierten Mittelschicht wird seit geraumer Zeit gern und leidenschaftlich bei Craft-Bier aus der Flasche über das Grundeinkommen diskutiert. Das klingt sexy, nach Künstlertum und Selbstverwirklichung, nicht so nach Plattenbau und Unterschicht. Das Grundeinkommen ist eine Utopie, über die man ziemlich bequem und folgenlos nachsinnen kann. Dabei gibt es längst eine Art Grundeinkommen, nur dass es nicht bedingungslos ist. Warum setzt man also in den Überlegungen nicht dort an?

 

Der Verein „Sanktionsfrei“ jedenfalls sammelt nun Spenden. Das Geld soll Hartz-4-Empfängern zugutekommen, die unter ihr Existenzminimum gekürzt wurden.

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