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Flüchtlingsinitiative lehnt Nominierung für 12.000-Euro-Preis ab

Foto: Tobias Schwarz/AFP

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Wenn es etwas gibt, was gemeinnützige Organisationen sicherlich nie zu viel haben, dann ist das Geld. Was sie aber haben, sind Überzeugungen. Und deswegen haben zwei Initiativen gerade die Chance auf 12.000 Euro abgelehnt.

Diese Summe bekommt der Gewinner des „Deutschen Nachbarschaftspreises 2018“. Mit ihm sollen bundesweit Projekte ausgezeichnet werden, sie sich stark machen und einen Beitrag leisten „für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land“. 1.052 Initiativen wurden eingereicht, 104 kamen in die Vorauswahl. Unter ihnen werden am 5. September ein Publikums- , 16 Landes- und drei Bundessieger ausgezeichnet und bekommen insgesamt über 50.000 Euro Preisgeld verliehen – von Schirmherrn Horst Seehofer persönlich. Und genau da liegt das Problem.

Von dem will die Berliner Flüchtlingsinitiative „Moabit hilft“ nämlich gar nichts bekommen. Und sie wollen Seehofer auch nicht lächelnd fürs Pressefoto die Hand schütteln. In ihrer Erklärung schreiben sie: „Wir hatten uns sehr über die Nominierung zum Deutschen Nachbarschaftspreis 2018 gefreut. (...) In unserer Freude haben wir einen wichtigen Punkt übersehen. Mit dem jetzigen Wissen sehen wir uns gezwungen, die Nominierung abzulehnen.“

Dieser wichtige Punkt sei gewesen, dass der Schirmherr ein Bundesinnenminister sei, der sich „bis zur letzten Patrone“ gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren wolle, 1987 noch gesagt habe, man müsse HIV-Inifizierte in spezielle Heime konzentrieren und der sich zynisch darüber amüsiere, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben worden seien. Unter dem Schirm dieses Herren würden sie nicht stehen wollen.

Auch die Kölner Initiative „Wie leben wir“, die mit ihrem Lastenrad-Sharing-Projekt „Kasimir“ für den Preis zur Auswahl stand, hat die Nominierung aus ähnlichem Grund abgelehnt. Und das obwohl auch sie ihr Projekt selbst eingereicht hatten: „Die Äußerungen des Bundesministers und Schirmherren Horst Seehofer lehnen wir entschieden ab, besonders die kürzlich (und nach unserer Einreichung) getätigten“, schreiben sie in ihrer Erklärung. Seehofer stehe für eine Politik, die die Gesellschaft spalte, auf Abschottung setze und Menschen in Not Hilfe verweigere.

Die nebenan.de-Stiftung, die den Nachbarschaftspreis verleiht, „respektiert, versteht und bedauert“ die Entscheidungen der Initiativen. „Wir distanzieren uns klar und deutlich von den Aussagen (von Horst Seehofer; Anm. d. Red.) der letzten Wochen und Monate“, erklärt uns Michael Vollmann, Geschäftsführer der Stiftung, am Telefon.

„Wir sind mehr als unser Schirmherr“

Die Kooperation mit dem Bundesinnenministerium ist bereits vergangenes Jahr zustande gekommen, in der vorhergehenden Legislaturperiode. Seehofer wurde neuer Innenminister und damit auch neuer Schirmherr des Preises. „Wir haben damals lange diskutiert, ob wir bei dieser Kooperation bleiben, auch wenn wir uns mit Horst Seehofer inhaltlich nicht auf einer Linie sehen“, erklärt Vollmann. Aber das Innenministerium sei der Ort, wo viele wichtige Themen liegen, auf die die Stiftung Einfluss nehmen wolle. Ziel sei, eine Brücke zu bauen zwischen Zivilgesellschaft und Politik. Gerade Amtsinhabern wie Seehofer wolle man zeigen, was täglich schon von Organisationen und Projekten geleistet wird – in Sachen Integration aber auch in anderen sozialen Bereichen.

Die Frage ist, ob nun noch mehr der Nominierten Projekte dem Beispiel der beiden Initiativen folgen und ihre Einreichung zurückziehen werden. Ein gewisser Druck besteht sicherlich gerade. Vollmann sagt, er gönne den Organisationen jede Aufmerksamkeit, die Initiative „Wie leben wir“ habe die Ablehnung auch vorab mit ihnen abgesprochen, es sei nur schade, wenn diese Diskussion nun vom eigentlichen Sinn des Preises ablenken würde. Ein Viertel der Nominierten seien im Bereich Integration tätig, aber es gebe eben auch noch 75 andere, die einen ebenso wertvollen Beitrag zur Gemeinschaft leisten. „Es passiert gerade zu oft, dass Diskussionen über Integration und Flüchtende alle anderen Themen überlagern.“

Ausladen werden sie ihren Schirmherren nicht. Aber wenn ein Gewinner seinen Preis nicht von Horst Seehofer verliehen bekommen möchte, dann wird das respektiert und er wird seinen Preis von jemand anderem überreicht bekommen. Außerdem hat die Stiftung beschlossen, neben den Gewinnern des vergangenen Jahres auch die diesjährigen Nominierten um Fragen an den Innenminister zu bitten, über die während der Verleihung gesprochen werden soll. Und auch für das Forum „Engagierte Nachbarschaft“, das mit den Nominierten für den Folgetag geplant ist, wurde das Innenministerium eingeladen.

Wichtig ist Michael Vollmann nur, dass sich nicht die ganze Veranstaltung um Seehofer drehe: „Wir sind mehr als unser Schirmherr und es geht bei der Verleihung vor allem darum, die tollen Projekte abzufeiern.“

  • Update am 2. August 2018: Horst Seehofer will aufgrund des Protests nicht mehr Schirmherr des Nachbarschaftspreises sein. Das teilte er in einem Schreiben an den Geschäftsführer der „nebenan.de“-Stiftung, Michael Vollmann, mit. Mehr dazu gibt es auf SZ.de.

Die Initiativen sind nicht die Ersten, die ein Zeichen gegen Seehofers Flüchtlingspolitik setzen wollen:

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