Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Diktaturen schlägt man nicht mit Wahlen nieder“

AFP/Juan Barreto

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Venezuela steckt in der schwersten Krise seiner Geschichte: Seine Währung ist so schwach, dass kaum noch Lebensmittel und Medikamente importiert werden können. Die Menschen leiden Hunger und sterben an eigentlich einfach zu behandelnden Krankheiten. Trotzdem wurde der sozialistische Präsident Nicolás Maduro am Sonntag laut Angaben des Wahlamtes mit 68 Prozent der abgegebenen Stimmen wiedergewählt. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung hat an den Wahlen teilgenommen. Die Opposition hatte zum Boykott dagegen aufgerufen, weil diese von der Regierung schon vorab manipuliert worden sei. Auch nach Maduros Sieg wird der Regierung Wahlbetrug vorgeworfen. Henri Falcón, der erfolgreichste Konkurrent des Präsidenten, fordert Neuwahlen.

Wir haben über all das mit vier jungen Venezolanern gesprochen, die inzwischen in Deutschland leben. Sie erklären, wie es zu einem offiziellen Wahlsieg Maduros kommen konnte und was er für ihr Leben, ihre Familien und ihre Heimat bedeutet.

„Maduro repräsentiert den Untergang Venezuelas – sonst überhaupt nichts mehr“

 

Isa, 20, ist Deutsch-Venezolanerin, und vor Kurzem von Caracas nach Potsdam zum Studieren gekommen

isa

Isa demonstrierte bei den Protesten im vergangenen Jahr täglich für ihr Land.

Foto: privat

Wir Venezolaner wissen, dass die Wahlen manipuliert wurden. Regierung und Medien sagen, 48 Prozent der Bevölkerung hätten gewählt – doch das kann nicht stimmen. Normalerweise gibt es bei präsidentiellen Wahlen lange Schlangen, die Leute warten stundenlang, um ihre Stimme abzugeben. Gestern gab es lediglich Schlangen in den Supermärkten. Die Menschen wussten, dass es wichtiger sein würde, etwas zu essen zu haben, als bei einem großen Betrug mitzumachen.

Ich habe ebenfalls nicht an den Wahlen teilgenommen. Erstens weil diese Wahlen nicht vom Parlament organisiert wurden, sondern von der konstituierenden Nationalversammlung. Sie besteht ausschließlich aus Mitgliedern, die die Regierung unterstützen. Sie ist gesetzeswidrig und ich erkenne sie nicht an. Deshalb erkenne ich auch diese Veranstaltung von gestern nicht als Wahl an.

Die meisten Venezolaner haben außerdem kein Vertrauen in den Nationalen Wahlrat. Sie glauben, dass die Wahlen sowieso manipuliert werden und haben sich deshalb enthalten. Es war also schon vor den sogenannten Wahlen klar, dass Maduro als Sieger bezeichnet würde. Diktaturen schlägt man eben nicht mit Wahlen nieder.

Maduros Konkurrenten wären ohnehin keine geeigneten Anführer. Henri Falcón, im Moment der Konkurrent mit der meisten Unterstützung, war früher für Chavez, den Vorgänger Maduros, und seine Regierung. Deshalb wird er meine Stimme nie bekommen, auch nicht bei künftigen Wahlen. Falcón fordert nun Neuwahlen, doch auch die würden nichts ändern. Sie wären wieder manipuliert, Maduro würde gewinnen.

Obwohl Maduro natürlich keine Mehrheit repräsentiert. Maduro repräsentiert den Untergang Venezuelas – sonst überhaupt nichts mehr.

„Ich hoffe, es wird einen sozialen Putsch geben“

Rael*, 23, ist Venezolaner und seit fünf Jahren in Deutschland.

Dieses Wahlergebnis ist besorgniserregend für die Regierung. Nur maximal 48 Prozent der Bevölkerung haben sich beteiligt – obwohl bekannt ist, dass Leute dazu gezwungen werden, ihre Stimme für Maduro abzugeben.

Es gibt in Venezuela zwar tatsächlich einige Leute, die Maduro noch unterstützen. Das liegt aber vermutlich daran, dass die Bildung hier schlecht ist. Die einfachen Leute denken oft, es gäbe nichts Besseres. Die sind zufrieden, wenn die Regierung ihnen ein Hähnchen pro Monat schenkt. Der Sieg Maduros ist aber auf keinen Fall das, was die Mehrheit der Venezolaner will. Ich weiß die genauen Zahlen nicht, aber ich kann garantieren, dass die allermeisten einen Regierungswechsel wollen. Auch für meine Familie ist Maduros weitere Präsidentschaft ein heftiger Schlag.

Ich glaube aber, dass seine Regierung nicht mehr so lange an der Macht bleiben wird, wie viele denken. Denn so wird alles noch schlimmer werden. Unaushaltbar schlimm. Und ich befürchte, das muss sein. Damit die Leute endlich einsehen, dass sich wirklich etwas ändern muss.

Die Menschen werden dann Druck machen. Ich hoffe wirklich, es gibt keinen militärischen Putsch. Denn die bringen meist nichts Gutes. Ich hoffe stattdessen auf einen sozialen Putsch. Dass jeder einzelne Venezolaner der Regierung zeigt, dass es so nicht mehr weitergeht. Dass nicht sein darf, dass Leute durch die schlechte Wirtschaft sterben.

„Die Mitglieder der Regierung werden nie aufgeben, was sie haben“

Erika, 23, kommt aus Venezuela und studiert BWL in Hamburg

erika

Erika will vorerst nicht mehr nach Venezuela zurückkehren.

Foto: privat

Ich hätte wählen können – wollte es aber nicht. Denn wenn ich gewählt hätte, dann hätte ich die Wahl anerkannt. Und das tue ich nicht. Eigentlich hätte die Wahl im Dezember stattfinden sollen. Aber die Regierung hat die Wahl nun eigenmächtig auf diesen Sonntag vorgezogen. Also auf einen Zeitpunkt, der für sie sehr günstig war. Die starken Führer der Opposition standen nicht mehr zur Wahl. Einer ist im Gefängnis, zwei wurden vorher von der Wahl ausgeschlossen. Da die Opposition ein Bündnis aus 20 verschiedenen Parteien ist und nun eben sämtliche potenziell starke Anführer fehlen, ist die Opposition momentan gespalten wie nie. Das hilft der Regierung natürlich.

Aber auch so hätte Maduro vermutlich gewonnen. Denn die Wahlen werden gefälscht und die Wähler manipuliert. In Venezuela gibt es beispielsweise sehr viele arme Leute, an die die Regierung Tüten mit Essen verteilt. Denn wenn diese Menschen nicht für Maduro stimmen, bekommen sie diese Tüten einfach nicht mehr. Die Mitglieder der Regierung werden nie aufgeben, was sie haben. Die werden bleiben, wo sie sind, bis sie sterben.

Ich war zuletzt 2015 in Venezuela. Ich habe Angst, nach einer Reise dorthin nicht mehr nach Deutschland zurückkehren zu können. Beinahe meine ganze Familie hat Venezuela bereits verlassen, nur meine Oma und meine Tante leben noch dort. Meine Oma kennt ja nichts anderes. Mein Vater arbeitet in Peru und bringt ihr das Nötigste mit, wenn er mal wieder für einige Wochen in unsere Heimat fährt. Anders wäre es für meine Oma wahrscheinlich gar nicht mehr machbar, dort zu bleiben. Sie kann sich ja schlecht stundenlang in Schlangen stellen, um an Essen zu kommen. Weg will sie trotzdem nicht.

„Meine Familie wird nun auswandern“

Ralph, 22, ist in Venezuela aufgewachsen. Er studiert normalerweise in München, macht aber gerade ein Praktikum in Indonesien.

Ich konnte leider nicht an der Wahl teilnehmen, weil ich gerade umgezogen bin. Da hatte ich nicht genug Zeit, mich zu registrieren, weil die Frist zum Anmelden zu kurzfristig angesetzt wurden. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich aber gewählt. Einfach, weil ich an die Demokratie glaube. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich es nicht getan habe. Es wäre sinnlos gewesen. Denn diese Wahlen waren keine.

Trotzdem muss man leider sagen, dass dieser Boykott Maduro geholfen hat. Er hat vermeintlich sechs Millionen Stimmen bekommen – diese Zahl kann nicht richtig sein. Ich hätte um die drei Millionen erwartet. Bevor das Ergebnis feststand, hatte ich schließlich immer noch Hoffnung, auch wenn es nicht mehr viel Grund dazu gibt.

Ich erkläre mir die vielen Stimmen für Maduro aber auch dadurch, dass viele Bürger erpresst wurden, ihre Stimme für Maduro abzugeben. Ihnen wurde unter anderem damit gedroht, dass sie ihre Arbeit verlieren würden. Bei öffentlichen Ämtern sind in Venezuela viele Menschen angestellt. Sie alle mussten Maduro unterstützen.

Sechs weitere Jahre Maduro – das bedeutet für meine Familie, dass sie auswandern wird. Es gibt nach diesem Wahlergebnis keine Hoffnung mehr, dass sich die Lage in unserer Heimat bald bessern wird. Ich werde deshalb in den nächsten Jahren auch nicht mehr nach Venezuela zurückkehren. Das macht mich sehr traurig. So wie die  katastrophale Lage unserer Heimat jeden Venezolaner traurig macht.

*Rael will seinen echten Namen hier nicht lesen, weil er befürchtet sonst Ärger mit den Behörden seines Heimatlandes zu bekommen.

Ralph und Isa haben schon einmal mit uns über ihre Heimat gesprochen:

  • teilen
  • schließen