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Wie der gekippte Mietendeckel junge Berliner*innen betrifft

Im Februar 2020 wurden die Mieten von rund 1,5 Millionen Wohnungen durch den Mietendeckel eingefroren.
Foto: David Gannon / AFP

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Eine Katastrophe für viele Mieter*innen in Berlin: Die Richter*innen des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe haben am Donnerstag den umstrittenen Mietendeckel für nichtig erklärt. Die Begründung: Mieten zu begrenzen, sei einzig Sache des Bundes, nicht der Länder. Der Berliner Senat hatte mit dem Gesetz versucht, dem massiven Anstieg der Mieten in der Hauptstadt entgegenzuwirken. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann es jetzt für viele Mieter*innen zu Mietnachzahlungen kommen, zusätzlich steigen viele Mieten wieder. Eine Umfrage der Berliner Sparkasse zeigt, dass von den betroffenen Berliner*innen nur etwa 41 Prozent der Befragten das gesparte Geld zurückgelegt haben. 47 Prozent haben jedoch keine finanziellen Reserven und gerade während der Corona-Pandemie fallen bei einigen Menschen Einkommensquellen weg. Die restlichen zwölf Prozent der Befragten gaben an, das Thema sei für sie nicht relevant. Wie geht es jungen Mieter*innen mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes? Fünf Berliner*innen erzählen, wie viel Geld sie nachzahlen müssen und ob sie Angst vor der Zukunft haben. 

„Jetzt muss ich mir noch mehr Geld leihen“

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Foto: Privat

Axelle, 35, Kickboxlehrerin und DJane, wohnt alleine in einer Wohnung in Lichtenberg. 

„Als die Mietpreisbremse damals beschlossen wurde, war das für mich eine Erleichterung, denn ich hatte ein sehr schwieriges Jahr hinter mir. Ich bin im Januar 2020 in meine Wohnung gezogen und zwei Monate später stand ich wegen der Corona-Pandemie ohne Einkommen da. Ich musste meine Verwandten um Hilfe bitten. Ich bin Freiberuflerin und habe keine Sicherheit. Weil der Boxclub geschlossen ist und die Clubs sowieso, arbeite ich gerade von daheim aus für ein Marktforschungsinstitut, um zu überleben.

Ich habe die Rückzahlung an meine Familie noch nicht mal abgeschlossen. Jetzt muss ich wahrscheinlich 800 Euro an meinen Vermieter zurückzahlen, dazu kommt die erhöhte Miete. Jetzt muss ich mir noch mehr Geld leihen. Es ist eine Katastrophe. Ich verstehe diese Entscheidung nicht. Wir befinden uns mitten in einer Pandemie, viele Menschen haben kein Geld und keine Arbeit. 

Ich habe Angst um Berlin, ich habe Angst vor Gentrifizierung, ich habe Angst, dass Berlin wie London wird oder wie Paris, wo ich herkomme. Und ich habe Angst um Menschen, die weniger Glück haben als ich, denn ich habe meine Familie, die mich unterstützen wird.“

„Es ist schwer, in Berlin eine gute bezahlbare Wohnung zu finden“

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Foto: Privat

Sina, 25, arbeitet als Fernsehredakteurin und lebt seit Dezember 2020 mit ihrem Freund in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Friedrichshain. 

„Wir müssen jetzt ungefähr 2000 Euro zurückzahlen. Dabei wohnen wir erst seit Anfang Dezember in unserer Wohnung. Uns war aber schon von Beginn an klar, dass es zu Nachzahlungen kommen kann, wenn der Mietendeckel für rechtswidrig erklärt wird. Bei allen Wohnungsbesichtigungen haben wir gesagt bekommen, dass wir zwei Mietverträge unterschreiben müssen, wovon einer ein Schattenmietvertrag ist (Anm. d. Red.: Mieter*innen verpflichten sich dann dazu, einen höheren Mietbetrag zu zahlen, falls der Mietendeckel gekippt werden sollte). Deswegen hatten wir das gesparte Geld direkt zur Seite gepackt. 

Ich bin Fernsehredakteurin und mein Freund arbeitet momentan in Kurzarbeit in einem Hotel. Dadurch, dass wir sowieso immer die volle Miete auf unser Haushaltskonto gezahlt haben, stellt die Entscheidung für uns erstmal kein finanzielles Problem dar. Es ist trotzdem nervig und wir wären gerne vom gesparten Geld in den Urlaub gefahren, sobald das wieder möglich ist. 

Allgemein sind die Mieten in Berlin enorm hoch. Wir haben mit unserer Wohnung noch Glück gehabt, obwohl die auch schon überteuert ist. Es ist schwierig, in Berlin eine gute Wohnung in einem guten Bezirk zu einem guten Preis zu finden. Deswegen fand ich den Mietendeckel eine gute Idee. Es kann ja nicht sein, dass es immer und immer teurer wird.“

„Ich hatte echt daran geglaubt, dass der Mietendeckel bleibt“

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Foto: Privat

David*, 26, ist Student und lebt seit Juni 2020 mit seiner Freundin und einer weiteren Person zusammen in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Neukölln. 

„Wir müssen jetzt wahrscheinlich so um die 2000 Euro nachzahlen. Seit dem Einzug haben wir 930 Euro Miete pro Monat bezahlt. Ohne Mietendeckel sind das dann 1100 Euro. Mit dem Vertrag zum Einzug mussten wir auch ein Schreiben unterzeichnen, in dem steht, dass uns die Differenz nur gestundet (Anm. d. Red.: einen Aufschub für die Zahlung einer Schuld gewähren) wird. Darum war es mir auch wichtig, dass wir das gesparte Geld beiseite legen, sodass wir jetzt erstmal kein Problem haben mit den Rückzahlungen.   

Zudem haben wir uns für den Fall, dass der Mietendeckel gekippt werden könnte, eine dritte Person als Untermieter mit in die Wohnung geholt, um uns weiter abzusichern. Meistens waren das Freunde, die für eine kurze Zeit in Berlin waren. Seit Januar haben wir jemanden für eine längere Zeit hier. Eigentlich hatten meine Freundin und ich vor, ab Sommer alleine zu leben. Doch das ist jetzt eher weniger möglich. Ich habe schon Angst, dass wir uns die Wohnung mit der neuen Miete nicht mehr leisten können, da man momentan auch nicht weiß, wie es in der Arbeitswelt weiter geht. Wir studieren beide und finanzieren uns die Wohnung durch Nebenjobs. Meine Freundin arbeitet als Werkstudentin im Personalbereich und ich bin im Film- und Fernsehbereich tätig. Zu Beginn der Pandemie sind da die meisten Jobs weggebrochen. Momentan läuft es zum Glück wieder besser. 

Trotzdem war ich am Donnerstagmorgen geschockt, als ich davon gelesen habe. Im Vergleich zu anderen Städten, in denen ich schon gewohnt habe, stand Berlin eigentlich für einen okayen Mieterschutz. Die Entscheidung hat ein bisschen meinen Glauben erschüttert.“

„Die Nachzahlung würde schon eine große Lücke in unsere Konten reißen“

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Foto: Privat

Katharina, 26, und ihre kleine Schwester Sophie, 21, leben seit zehn Monaten zusammen in einer Vier-Zimmer-WG im Wedding.

„Wir haben mit dem Mietendeckel 844 Euro für 105 Quadratmeter bezahlt und das ist echt ein super Preis. So konnten wir die Miete easy zwischen uns aufteilen. Jetzt, wo der Mietendeckel gekippt wurde, erhöht sich die Miete wahrscheinlich um 250 Euro im Monat, also auf insgesamt 1100 Euro. Dazu kann natürlich auch noch eine Rückzahlung kommen, das wären dann so um die 2500 Euro on top.

Ich habe die ganze Zeit, trotz Corona-Pandemie, Vollzeit gearbeitet, sodass ich im Gegensatz zu vielen anderen das Privileg hatte, immer mal wieder etwas Geld zurücklegen zu können. Die Nachzahlung würde uns nicht vor eine absolute Katastrophe stellen, aber schon eine große Lücke in unsere Konten reißen. Existenzängste haben wir dennoch nicht, für meine Schwester alleine wäre das gerade allerdings nicht stemmbar. Sie studiert, darum werde ich ich als Berufstätige ab jetzt natürlich einen höheren Mietanteil zahlen. Das löst bei Sophie aber Schuldgefühle aus. Sie will mir ja nicht auf der Tasche liegen.

Sophie ist mitten in der Corona-Pandemie für ihr Jura-Studium nach Berlin gezogen und hatte durch den Lockdown keine Chance, sich einen klassischen Student*innenjob zu suchen. Die Vorstellung, dass wir bald eine große Nachzahlung haben, hat sie schon in den letzten Monaten sehr belastet. Die Situation tut mir mega leid für sie.“

„Ich fühle mich den Strukturen ausgeliefert“ 

Svenja, 32, lebt seit 2018 mit ihrem Freund und ihrem Kind in einer 86 Quadratmeter großen Drei-Zimmer-Wohnung in Berlin-Lichtenberg in einem Mehrparteienhaus. Ein Foto möchte sie nicht zeigen. 

„Als wir im November 2018 in unsere Wohnung eingezogen sind, hat die Wohnung 1400 Euro gekostet. Wir haben damit deutlich mehr gezahlt als unsere Nachbarn, die schon länger im Haus wohnen. Durch den Mietendeckel haben wir dann nur noch 970 Euro zahlen müssen. Jetzt wird die Miete wieder deutlich teurer. Dazu kommt noch, dass wir mehr als 2000 Euro zurückzahlen müssen. Wir haben zwar etwas Geld zurückgelegt, aber man gewöhnt sich ja doch an den Status Quo, also dass man mehr Geld zur Verfügung hat. 

Für uns hat sich rein äußerlich nichts verändert, gleicher Ort, gleiche Wohnsituation, aber mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kostet die Wohnung jetzt 44 Prozent mehr. Als wir die Wohnung angemietet haben, war ich in Elternzeit und wir dachten, dass sich unsere Situation langfristig verbessern würde. Am Anfang der Pandemie habe ich dann aber meinen Job in der Kulturbranche verloren. Zum Glück arbeitet mein Freund an der Uni, was uns ein bisschen Sicherheit gewährt. Wir haben keine Angst, unsere Existenz zu verlieren, aber es war definitiv sehr frustrierend für uns, von dem gekippten Mietendeckel zu hören. Der Zeitpunkt verschärft dieses Gefühl noch. Denn nach einem Jahr Pandemie ist eine gute und verlässliche Sozialpolitik umso wichtiger geworden.

Ich fühle mich den Strukturen ausgeliefert, die nicht für uns gemacht sind. Jetzt, besonders durch Corona wird mir nochmal deutlich, dass viele Gruppen in unserer Gesellschaft, wie zum Beispiel Familien, Kinder und junge Menschen, vergessen beziehungsweise nicht gut repräsentiert werden. Mir ist auch klar geworden: Familienpolitik spielt überhaupt keine Rolle sondern, es dreht sich alles nur um Wirtschaftspolitik.“

*David heißt eigentlich anders. Sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt.

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