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Ding Dong, lassen Sie uns über Politik reden!

Foto: privat

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Annalena Rehkämper (25) macht in Hamburg ihren Master in Politics, Economics and Philosophy. Mit ihrem früheren Kommilitonen Anh-Quân Nguyen (25) hat sie dieses Frühjahr das „Projekt Denkende Gesellschaft“ gegründet. Im September werden sie und ihr Team aus über 50 Studenten in den Wahlkreis Anhalt (liegt im Bundesland Sachsen-Anhalt) fahren. Dort leben 228.400 Wahlberechtigte, bei der Bundestagswahl 2013 hatte der Kreis aber deutschlandweit die niedrigste Wahlbeteiligung. Die Freiwilligen des Projekts Denkende Gesellschaft werden deshalb im September von Haus zu Haus gehen und mit Menschen über Politik sprechen, um sie zum Wählen zu motivieren. Bereits jetzt üben sie die Gespräche, in denen für keine Partei geworben wird, unter anderem in München, Kiel, Lübeck oder Berlin.

jetzt: Angenommen, du würdest jetzt für euer Projekt vor meiner Türe stehen. Was würdest du mich fragen?

Annalena Rehkämper: Welche Werte dir im Leben am wichtigsten sind.

Ganz schön abstrakt.

Wir hatten tatsächlich Angst, dass viele Menschen da nichts sagen werden. Aber bei den Probeeinsätzen hat sich gezeigt, dass die meisten doch antworten: Familie, Freiheit, Toleranz, Solidarität. Von da ausgehend fragen wir weiter: Wann wurde das wie gelebt? Wann haben sie es vermisst? Dann sind wir ganz schnell bei der konkreten Politik und der Frage, warum man sich daran beteiligen muss.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Eine Frau war nur einmal mit 18 Jahren wählen, dann nie wieder.  Im Gespräch sind wir über ihre Familie und ihren Sohn darauf gekommen, dass sie viele Kritikpunkte am Schulsystem hat. Sie selbst hat das aber nicht auf die Bildungspolitik bezogen oder eine Partei. Sie sagte, dass sie immer nur bei Freunden nörgelt. Jetzt will sie wählen gehen.

Ihr wollt vom 1. bis 10. September im Wahlkreis Anhalt mit zehn Prozent der Wähler in Kontakt kommen und nur über solche Gespräche die Wahlbeteiligung erhöhen. Warum macht ihr das?

Das Brexit-Referendum wäre anders ausgegangen und Trump nicht US-Präsident, wenn mehr Menschen gewählt hätten. In Deutschland soll so etwas nicht passieren und da muss man den Menschen vielleicht helfen. Wie bei der Frau aus dem Beispiel eben: Viele haben eine gewisse Scheu vor der Politik. Es ist ihnen zu komplex, also gehen sie nicht wählen. Sie sagen sich, dass die anderen das machen sollen oder es nichts mit ihrem Leben zu tun hat.

Geht ihr dann noch weiter ins Detail in Gesprächen? Also diese und diese Partei gibt diese Inhalte vor?

Wir geben nur Informationen, wenn danach gefragt wird und wir Infos haben, die weiterhelfen. Wir kommen ja nicht als Experten, sondern sehen uns als Reflexionshilfe für die Menschen, damit sie für sich selbst herausfinden, was sie politisch denken, und dann wählen gehen – egal welche Partei.

Derzeit melden sich immer mehr Menschen als Helfer für eure Aktion zur Wahl. Haben die einen Parteihintergrund?

Wir haben einige, die in einer der Jugendorganisationen sind. Da aber aus dem ganzen Spektrum, von links nach rechts.

Wie weit rechts?

Mitte-Rechts. Union. Das funktioniert, weil es ja auch die Projektidee ist. Dass wir offen sind, dass wir alle Meinungen anhören und uns die auch interessieren. Wir müssen immer neutral bleiben.

Warum gehen diese Leute für euch von Tür zu Tür und nicht für ihre Partei?

Weil wir die Vorstufe sind. Wir wollen die Menschen erst einmal überhaupt für Politik interessieren und erst dann würde die Parteipolitik einsetzen. Daran haben alle Parteien ein Interesse.

Dann besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass ihr AfD-Wähler aktiviert. Wie steht ihr dazu?

Darüber haben wir natürlich viel nachgedacht. Aber letztlich ist sie aktuell eine anerkannte Partei, die im demokratischen Raum gewählt werden kann. Ich habe noch nicht den „typischen“ AfD Wähler an der Haustüre getroffen. Aber ich denke immer, wenn ich jemanden treffe und er sagt mir, er vertritt die und die Werte, und das deckt sich genau mit denen der AfD, dann habe ich kein Recht zu sagen: Das kannst du nicht bringen.

Jetzt kommen da ein paar Studenten aus Großstädten in kleine Gemeinden in Anhalt und wollen den Menschen die Politik erklären. Ist das nicht überheblich? 

Wir befürchten schon, dass es noch mehr genervte Personen geben wird. Aber wir wollen ja auch Brücken schlagen. Wenn ich an der Haustüre plausibel machen kann, dass ich selbst wirklich interessiert bin, dann klappt das hoffentlich. Wir trauen uns viel zu oft nicht, aufeinander zu zugehen, dabei nimmt man immer etwas mit.

Wie viel gibst du dann von dir selbst preis?

Alles, was mein Gegenüber wissen möchte. Und wenn wir über Beispiele reden und ich sehe Anknüpfungspunkte zu mir, dann gehe ich darauf ein. Ich stehe immer noch als ich vor der Türe und in keiner offiziellen Funktion.

Hast du dich durch eure Probeeinsätze schon verändert?

Gute Frage. Da macht man sich selbst am wenigsten Gedanken, wenn man nicht gefragt wird. Ich glaube aber schon. Ich war davor schon offen, aber ich kann jetzt noch besser einfach zuhören ohne zu bewerten. Das können wir alle mitnehmen. Wir rutschen nicht so schnell in die Rolle, direkt etwas zu verteidigen.

Ihr wollt Nichtwähler zum Nachdenken und damit zum Wählen bringen. Man kann aber natürlich auch reflektiert nichtwählen.

Auf jeden Fall. Wir hatten bereits einen „politisch linken“ Menschen an der Haustüre, der sehr überzeugend für sich argumentiert hat: „In dem Staat kann ich aktuell nicht wählen gehen, weil meine Anliegen danach nicht umgesetzt werden.“ Der hatte sich wirklich sehr detaillierte Gedanken gemacht. Da bin mit meinen Fragen nicht weitergekommen und ich muss akzeptieren, dass er nicht wählen gehen wird.

Wie organisiert ihr eure Aktion zur Bundestagswahl?

Wir wohnen alle in Bernburg (Saale). Dann fahren wir in Sechser-Teams in eine Gemeinde und klopfen an möglichst jede Haustüre. Im Schnitt kommen wir wohl auf zehn Gespräche pro Tag, die dauern rund 25 Minuten. Manchmal zehn, manchmal 45-50.

 

Wann ist das ganze ein Erfolg? Wenn die Wahlbeteiligung in Anhalt hoch geht, kann das viele Gründe haben, ihr könntet einer sein, aber man wird es nicht sagen können.

Wenn die Wahlbeteiligung hoch geht, ist das schon sehr gut. Um unsere Rolle zu sehen, wollen wir einen Vergleichswahlkreis suchen, der in etwa strukturell gleich ist. Dann sehen wir vielleicht, ob es da auch Veränderungen gab oder nicht. Das sind leider noch sehr vage Vorstellungen.

 

Ihr habt einen Verein eingetragen. Was passiert mit dem nach der Bundestagswahl?

Wir probieren es jetzt einfach aus und schauen, wie es bei den Leuten vor Ort ankommt. Wenn das gut läuft, wollen wir weitermachen. Nächstes Jahr sind Landtagswahlen, 2019 Europawahlen und ganz vielleicht schaffen wir es 2021 ja bundesweit nochmal an Türen zu klopfen.

 

 

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