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Ich bin keine Mango

Illustration: FDE

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„Er hat mich gerade gefragt, ob du single bist“, verriet mir einmal ein Freund – nennen wir ihn in diesem Text Noah. Mit „er“ meinte er einen Bekannten. „Und weißt du, was er dann gesagt hat? Dass er gerade eine Phase hat, in der er nur Asiatinnen treffen will. Und dass du da echt gut ins Schema passen würdest.“ Offensichtlich fand Noah das witzig. Ich leider überhaupt nicht. Die Tatsache, dass ein weißer Hetero-Cis-Mann mich aufgrund meiner phänotypischen Merkmale von seiner persönlichen Sex-Check-Liste „abhaken“ wollte, fand ich eher anmaßend. Demütigend. Entmenschlichend. 

Mit seiner Vorliebe ist Noahs Bekannter nicht alleine: Laut Angaben der Online-Plattform Pornhub sind die Kategorien „korean“, „japanese“ und „hentai“ – das sind pornografische Anime und Mangas – 2023 mitunter am stärksten gewachsen. Der häufigste Suchbegriff im selben Jahr war „hentai“. Ebenfalls in den Top Ten Suchbegriffen waren unter anderem „japanese“ und „asian“. Es scheint unter Porno-Nutzern eine Präferenz für asiatische Darstellerinnen zu geben.

Die Konsequenz dieser Präferenz spüre ich in meinem Alltag. Das Bild der asiatischen, speziell südost- und ostasiatischen Frau, das durch den Blick des weißen Mannes geprägt wird, ist scheinbar unschuldig, demütig – und gleichzeitig hypersexuell. Als Frau mit südostasiatischen Wurzeln schreiben mir Männer beim Dating oft bereits Attribute zu, bevor sie mich kennen. Ich habe Männer kennengelernt, die nur asiatische Frauen daten, weil wir „so schön exotisch“ seien. Männer, die mir beim ersten Date sagen, wie besessen sie von Anime sind und ich sie total an eine gewisse Figur erinnere. Männer, die mich fragen, ob meine Vagina wirklich so eng sei, wie man immer höre, und ob ich im Bett wirklich so kinky sei. Das passiert nicht immer, aber oft. Es passiert mal mehr, mal weniger beabsichtigt. Aber reflektiert wurde dieses Verhalten von den Männern, bei denen ich es bemerkt habe, nie. Dafür wurde ich umso mehr kleingeredet, wenn ich das Thema angesprochen habe. Ich solle es doch als Kompliment nehmen. 

Sorry (not sorry), auf keinen Fall. Ich passe nicht in eure schmutzige Fantasie der unterwürfigen Rika Shiguma – ein fiktiver, weiblicher Charakter aus dem japanischen Anime „Haganai“, der laut Beschreibung einer Anime-Fandom-Website den männlichen Protagonisten Kodaka „anfleht, als Zeichen ihrer Dankbarkeit mit ihr zu schlafen, nachdem er sie gerettet hatte“. Es existiert ein ganzer Reddit-Thread darüber, welche weiblichen Anime-Charaktere „super unterwürfig“ seien.

Wie Noahs Kumpel nur asiatische Frauen zu treffen, geht also weit über Dating-Vorlieben hinaus. Es handelt sich um Fetischisierung, Rassismus und Sexismus. Huh, so radikal? Nun, neben Bezeichnungen wie „Schlitzauge“ oder „Hundefresser“ klingt „so schön exotisch“ tatsächlich erstmal um einiges schöner. „Schön exotisch“, da denke ich an eine Frucht – etwa eine Mango. Das Wort „exotisch” bedeutet wörtlich übersetzt „fremdländisch“ oder „auswärtig” – begrifflich also passend für ein Obst, das bereits vor 4000 Jahren in Asien kultiviert wurde. Im Bezug auf Frauen allerdings nur deplatziert. Nicht nur, weil ich, anders als Mangos, „wirklich von hier bin” (eine andere Geschichte), sondern auch, weil es das rassistische Klischee der sexuell freizügigen nicht-weißen Frau bedient.

Was viele nicht wissen: Dieses Narrativ ist jahrhundertealt. Es entwickelte sich durch Kolonialismus, Migration – und während der Kriege in Japan, Korea und Vietnam im 20. Jahrhundert. „Rest and Relaxation“ bezeichnete die Freizeit US-amerikanischer Soldaten im Einsatz, in der sie insbesondere die Dienstleistungen der Prostituierten vor Ort in Anspruch nahmen. In Vietnam stationierte US-Soldaten wurden in den Siebzigerjahren während des Vietnamkriegs zur „Erholung“ nach Thailand geschickt. Zu ihrer Genesung sollten auch junge Frauen und Mädchen beitragen. Unter anderem dadurch, aber auch durch günstige Flüge und wachsenden Wohlstand in den Achzigerjahren, wurde der Boom des sogenannten „Sex-Tourismus“ in Asien gefördert: Männer aus reichen Industrieländern machen dort gezielt Urlaub,  um ihre dominanten Fantasien an den einheimischen Frauen auszuleben – für sehr wenig Geld. Und das, obwohl Prositution in den meisten südostasiatischen Ländern illegal ist.

Auch die Popkultur hat ihren Anteil an der sexualisierten Darstellung der asiatischen Frau in unserer Gesellschaft. Nur ein Beispiel: Im Film „Die Geisha“ begegnet Chiyo, ein junges Mädchen, einem älteren Mann. Um ihm wieder zu begegnen, macht sie es sich zum Ziel, eine Geisha zu werden. Auch wenn das unter anderem bedeutet, ihren Körper zu verkaufen. So hält sich das stereotypische Abbild der ostasiatischen Frau in unserer Gesellschaft. Ostasiatische Frauen werden häufig als „eindimensionale, gefällige Karikaturen dargestellt“, schreibt Ilona Barrero in einer Analyse über Auswirkungen der Hypersexualisierung von ostasiatischen Frauen in der westlichen Kultur. Das führe dazu, dass sie „von anderen Gruppen, insbesondere von weißen Männern, negativ wahrgenommen werden“. Solche Männer „nähren sich von imperialistischen Ansichten über ‚orientalische Minderwertigkeit‘ und machen ostasiatische Frauen zum Sündenbock für all ihre Probleme, um ihre Gewalt gegen sie zu entschuldigen“. Somit wird Hass und Gewalt ihnen gegenüber oft verharmlost, gar verherrlicht. Besonders seit der Covid-Pandemie sind Hassakte gegen Asiat:innen gestiegen.

Am 16. März 2021 tötete ein US-Amerikaner in einem Spa in Atlanta acht Menschen, darunter sechs Asiatinnen. Der Täter erklärte sein Vorhaben damit, angeblich unter einer Sexsucht zu leiden. Er gab  auch an, in der Vergangenheit häufig Massagesalons besucht zu haben – also Geschäfte, in denen oft ostasiatische Frauen arbeiten und die deswegen auch mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Die Anschläge habe er aus „Rache“ verübt, die Salons seien für ihn eine „Versuchung“ gewesen. Man könnte sagen: Der Täter hat aufgrund der konstruierten Darstellung asiatischer Frauen als „Verführerinnen“ den Opfern seine eigene Sexsucht angelastet. Und die Polizei? Verzichtete vorerst darauf, das Verbrechen als rassistisch und geschlechtsspezifisch zu betiteln. Die Schießerei in Atlanta hat die Diskussion über die systematische Marginalisierung und Hypersexualisierung ostasiatischer Frauen neu entfacht – und zeigt, wie gefährlich stereotype Vorstellungen über Minderheitengruppen sein können.

Mein ganzes Leben habe ich Erfahrungen mit Rassismus, Sexismus und Diskriminierung gemacht. Nicht-weiße Frauen wie ich haben es in der patriarchalen, weißen Mehrheitsgesellschaft, in der wir leben, nicht leicht. Und auch, wenn ich es mittlerweile nur leid bin, mich immer wieder erklären zu müssen: Soziale Ungleichheiten müssen und sollen angesprochen werden. Betroffene zu Wort kommen lassen, ihnen zuhören und ihre Perspektiven zu sehen, hilft. Mit Noah habe ich nach seiner Bemerkung an jenem Abend noch diskutiert. Irgendwann entschuldigte er sich bei mir für sein unsensibles Verhalten. Tatsache ist: Stereotype sollen niemandes (Liebes-)Leben bestimmen.

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