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Rap Rendezvous. Wir hören neue Platten mit Ferris

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Ferris MC hat der hiesigen HipHop-Kultur durchaus seinen Stempel aufgedrückt. Erst von Bremen aus zusammen mit Flowin Immo in der legendären F.A.B.-Crew, später als Solo-Artist und Teil der nicht minder legendären Hamburger Mongo Clikke. Seine „Asimetrie“-EP gilt auch heute noch als Deutschrap-Klassiker und Vorreiter für die Problembezirks-Poesie, die später vor allem von Berlin aus propagiert wurde. „Reimemonster“, sein Kollabo-Track mit Afrob, war der erste echte HipHop-Club-Hit auf deutsch. Sein letztes reguläres Rap-Album erschien 2004, seitdem hat er seinen Namen vor allem als Schauspieler, DJ und festes Mitglied von Deichkind im Spiel gehalten. Derzeit arbeitet er mit seinen Deichkind-Dudes am nächsten Album, dessen Release für Anfang nächsten Jahres angepeilt ist. Außerdem könnte es in naher Zukunft tatsächlich eine Rückkehr von Ferris als MC geben: Ein erstes Rap-Demo wurde bereits aufgenommen.

Klassiker:

Aber jetzt geht es los mit dem Rap Review Rendezvous. 
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Dein letztes reguläres Rap-Album hast du vor sieben Jahren veröffentlicht. Hörst du überhaupt noch viel Rap?

Ferris: Ja, auf jeden Fall. Aber ich kaufe mir kaum noch komplette Alben, sondern sehe mir die neuen Sachen vor allem auf Youtube an. Da ich beruflich gerade sehr viel in Sachen Elektro unterwegs bin, brauche ich einen musikalischen Ausgleich. Das war zu meinen HipHop-Zeiten damals auch schon so.

Booba ist der erfolgreichste und bekannteste Rapper in Frankreich. Ist das für dich nach Durchhören des Albums nachvollziehbar?

Nein, eigentlich nicht. Ich komme noch aus der Zeit von Bands wie Supreme NTM – und die haben die Messlatte damals bereits dermaßen hoch gesetzt, dass Booba da heute noch nicht herankommt. Er hat zwar eine eingängige Stimme, er rappt tight und ich mag auch die düstere Stimmung. Aber die Songs sind mir insgesamt zu einseitig. Er macht es genauso wie die Gangsta-Rapper hier in Deutschland: Da wird ein Stil bis ins Letzte ausgeschlachtet und ein Konzept bloß ständig wiederholt. Das ist mir zu wenig.

Booba stellt sich häufig gegen die französische Rapszene, orientiert sich selbst vor allem an Amerika. Die Platte wurde in Miami aufgenommen, als Features sind Diddy, T-Pain und Akon dabei. Wie ist deine Meinung zu diesem starken Amerika-Bezug und seiner offensiven Frankreich-Ablehnung?

Ein bisschen merkwürdig finde ich das schon. Aber vielleicht fühlt er sich als Schwarzer von den Afroamerikanern einfach besser verstanden. Hierzulande ist es ja auch häufig so, dass Rapper mit Migrationshintergrund Deutschrap beleidigen, obwohl sie selbst Deutschrap benutzen, um Geld damit zu verdienen. Insofern dissen sie sich letztlich selbst.

Was hältst du von dem Breitwand-Sound der Platte? Entspricht das deiner Vorstellung eines guten Rap-Albums oder magst du es eher etwas dreckiger?

Um ehrlich zu sein, klingt das für meine Ohren sogar streckenweise nach einer Untergrundproduktion – zumal alles selbst eingespielt wurde. Wenn ich ein Teenie wäre, würde ich wahrscheinlich vorm Spiegel stehen und versuchen, das mitzurappen – insofern spricht das schon für sich. Aber unterm Strich hätte ich ein bisschen mehr erwartet – gerade wenn man das mit französischem Rap von früher vergleicht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Rein musikalisch steht die Platte im krassen Gegensatz zum Album von Booba: Während Boobas Platte total synthetisiert und pompös daherkommt, ist “The Family Sign” von Atmosphere sehr zurückgenommen produziert, wirkt intim und eher bluesartig. Welches Soundbild gefällt dir besser?

Von allen fünf Alben finde ich das Atmosphere-Album am schlechtesten. Das ist noch einseitiger als das von Booba. Beim ersten Song fand ich das noch ganz cool, aber als die anderen Songs dann genauso weitergingen, war das für mich die reinste Schelle.

Dadurch, dass die Platte sehr minimalistisch instrumentiert ist, hört man bei den Lyrics aber vielleicht genauer hin – eigentlich kein schlechter Ansatz für ein Rap-Album, oder?

Aber doch nicht in dieser Form, und dann noch auf Albumlänge. Der Rapper hat eine Band hinter sich. Da hätte ich wirklich erwartet, dass er da mal ein paar ordentliche Dinger rausholt. Aber das hat mich überhaupt nicht gecatcht. Die sind die ganze Zeit bloß auf dieser Minimalschiene herumgeritten, und das kann ich mir einfach nicht lange geben.

 Die Presseinfo zur Platte besagt: “Das Album ist ihrer erweiterten Familie gewidmet: Ihren Fans und ihren Angehörigen. Das Album will mit dem üblichen Verständnis einer Familie brechen und zeigen, dass man jenen Menschen danken sollte, die dafür gesorgt haben, dass man der ist, der man heute ist.” Hast du diesen Ansatz herausgehört?

Die Geschichten haben teilweise zumindest einen positiven Vibe. Aber das sind oft belanglose Alltagsgeschichten, über die ich niemals ein Lied schreiben würde. Der MC hatte vermutlich einen anderen Background als ein typischer Rapper – vielleicht toucht es mich auch deshalb nicht.

Die CD kommt in einer aufwändig produzierten Papphülle daher, die wie ein Bilderrahmen aufgemacht ist und auf der Rückseite eine Ausstanzung hat, sodass man sich die Platte bei Bedarf tatsächlich neben sein Bett stellen könnte. Was hältst du von solchen Verpackungsideen? Cool oder überflüssig?

Ach, es ist mal was anderes. Da habe ich nicht so eine Hemmschwelle, das finde ich schon cool. Und es passt ja auch: Das Album ist wirklich wie ein Bilderrahmen. Aber da ist dann eben auch nur ein einziges Bild drin. Ein einziges Soundbild (lacht).

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie findest du das Album?

Die Platte gefällt mir von allen am besten. Das hat riesige Pop-Refrains, ist aber trotzdem abwechslungsreich. Von brachial bis melodiös ist wirklich alles dabei. Der Typ rappt geil, wenn auch manchmal ein bisschen zu aufgesetzt positiv. Aber er hat geile Flows und eine gute Stimme. Auch die Produktion ist super. Das hebt sich einfach ab.

Nach seinem letzten Album hatte Lupe Fiasco eigentlich bereits seinen Rückzug aus dem Musikgeschäft und ein letztes Albums namens „LupE.N.D.“ angekündigt, sich nun allerdings doch noch mal fürs Weitermachen entschieden. Was hältst du davon, erst seinen Rückzug anzukündigen und dann doch weiterzumachen?

Keine Ahnung, ob das bloß ein Marketing-Move war oder ob er wirklich ans Aufhören gedacht hat. Letztlich ist mir das aber auch egal. Danach beurteile ich seine Musik nicht.

Du hast dich vor einigen Jahren ebenfalls als Rapper verabschiedet. Wäre ein Comeback als Ferris MC für dich noch mal denkbar?

Ich habe tatsächlich gerade ein neues Demo fertig gemacht für ein eventuelles Comeback im nächsten Jahr. Wenn das passieren sollte, wird es aber auch kein klassisches Rap-Album werden – wenn auch sicherlich mit den typischen Ferris-Styles. Aber ich war ja immer schon ein Verfechter von Crossover und deshalb auch ein Außenseiter in der Szene. Mal sehen, ob es zu dem Album kommen wird.

Das Akronym von Lupe Fiascos Album „Lasers“ steht für seine Lebensmaxime „Love Always Shines Everytime: Remember to Smile.“ Was hältst du davon?

Ich bin mir nicht sicher, ob er das wirklich so meint oder ob das aufgesetzt ist. Ein kleines bisschen cheesy ist das schon. Trotzdem ist es qualitativ besser als vieles Andere.

Auf „Words I Never Said“ kritisiert Lupe Fiasco Medien und Politik, auf „All Black Everything“ beschäftigt er sich damit, wie die Welt heute wohl aussähe, wenn die Schwarzen damals nicht versklavt worden wären. Gefällt dir diese Kombination aus Partytunes und ernsthaften Stücken?

Ja, das finde ich gut und richtig. Wenn man ein Album macht, sollte man darauf nicht nur eine einzige Schiene fahren. Von diesem Ansatz können sich viele andere Rapper eine Scheibe abschneiden. Abwechslung ist immer wichtig.

Lupe Fiasco hat gesagt, dass es sein Ziel sei, einen öffentlichen Aufstand zu provozieren und dass seine Musik nur der Köder dafür wäre, was er den Leuten Wichtiges zu sagen hat. Meinst du, das klappt? Oder ist das reine PR?

Ach, das ist reines Entertainment. Um heutzutage noch einen Aufstand provozieren zu können, muss schon viel passieren. Ich wurde zumindest nicht geködert, um nun für die Rechte der Schwarzen auf die Straße zu gehen (lacht).

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie findest du das „Ghetto Kabarett“ von Carolin Kebekus umgesetzt? Selten so gelacht. Ich hatte sie zuvor bereits bei Raab gesehen und fand sie dort nicht so überzeugend. Beim Durchhören der Platte war ich hingegen positiv überrascht. Sie hat zwar häufig bloß das ins Deutsche übertragen, was sie selbst gerne hört, und es scheitert auch so manches Mal an der Performance, aber wie sie dieses ganze Gangsta-Zeug aufs Korn nimmt und mit den Klischees spielt, das finde ich schon geil. Sie ist ganz knapp davor, wirklich gut zu sein.

 

MC Rene ist als The Incredible Kalk ebenfalls auf dem Album vertreten und hat sich in den letzten Monaten vom Rapper zum Comedian gemausert. Was hältst du davon?

Sein Rap-Part hat mich nicht so ganz gekickt, aber als Comedian hat er auf jeden Fall Potenzial. Ich kenne ihn ja noch von der Klasse von 95, und da war er auch schon so ein aufgedrehter, hibbeliger und lustiger Freak. Wenn er nun seine Rap- und Freestyle-Skills in seine Comedy-Show einbaut, hat er etwas Eigenständiges, womit er sich von Anderen abheben kann. Das macht in meinen Augen auch deutlich mehr Sinn, als noch einmal den Versuch zu starten, sich als Rapper zu etablieren.

Die Kölnerin Carolin Kebekus hat sich auf Youtube einen Battle mit dem Düsseldorfer Rapper Favorite geleistet. Hast du das mitbekommen?

Nein, aber das finde ich lustig.

 

Hättest du dir etwas Vergleichbares ebenfalls vorstellen können?

Bei mir hätte das wenig Sinn gemacht, weil ich kein Battle-Rapper bin, der sich mit seinen Punchlines brüstet. Das ist schnelllebiges Entertainment, mir geht es aber immer um Nachhaltigkeit. Mein Ansatz ist immer der, Songs zu schreiben, die auch zehn Jahre später noch Relevanz haben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich zitiere mal aus Flers Bio: „Zerrüttete Familienverhältnisse, vom Vater im Stich gelassen, von Schulen geflogen, ins Heim gesteckt, in die Psychiatrie eingewiesen und als schwer erziehbar abgestempelt”. Hörst du das aus dem Album heraus?

Das begleitet ihn doch immer schon. Das ist ja auch die Grundlage für den „Einer gegen alle”-Ansatz in seiner Musik.  

 

Ist so ein Hintergrund wichtig, um glaubhaft solche Musik machen zu können?

Es macht die Sache zumindest einfacher, weil er eben aus dem Nähkästchen plaudern kann. 

 

Fler ist ein Rapper, der sehr stark polarisiert. Wie ist deine Meinung zu ihm?

Polarisieren finde ich per se erst einmal gut – polarisiert habe ich ja auch. Es ist aber immer eine Frage des Niveaus. Das Album ist sehr solide, Fler kann gut rappen. Aber er baut leider alles auf einem bestimmten Stil auf. Ich glaube, er könnte noch mehr, wenn er wollte. Aber er will offenbar nicht. Schade.

 

Du hast früher Musik gemacht, die von vielen Leuten als hart empfunden wurde. Bist du der Meinung, den Grundstein für das gelegt zu haben, was man hierzulande heute an Straßen- und Gangsta-Rap zu hören bekommt?

Ich glaube schon, dass ich einen gewissen Einfluss auf die Leute hatte, obwohl die das niemals zugeben würden. Stücke wie „Asimetrie” oder „Zur Erinnerung” waren aber nun mal die ersten, in denen in Deutschland über die Problematik in sozialen Brennpunkten gerappt wurde.  

 

Die Berliner haben Rap Anfang des neuen Jahrtausends noch mal eine Spur härter gemacht. Hast du den Eindruck, dass dir die Aggro-Rapper damals ein bisschen deinen Platz streitig machen wollten?

Nein – zumindest nicht bewusst. Sicherlich gibt es aus heutiger Sicht Parallelen zu meinen Alben und solchen Platten wie „Die Maske” von Sido. Aber die Unterschiede sind dann doch noch so groß, dass man nicht davon ausgehen kann, dass mir jemand die Butter vom Brot nehmen wollte. Man darf aber auch nicht vergessen: Zu meiner Zeit gab es lange nicht so viel Konkurrenz wie heute. Damals gab es ein Original, mittlerweile gibt es davon aber tausend Kopien. Das einzig Gute ist: Einen Ferris-Klon gibt es bis heute noch nicht.

 

Ferris’ Alltime-Album-Top-Five:

 

Ferris MC - "Asimetrie"

Ein Meilenstein – auch ein persönlicher.

 

Ferris MC - "Ferris MC"

Mein professionellstes und abwechslungsreichstes Album. Sehr tight eingerappt. Genau das ist aber gleichzeitig der einzige Fehler der Platte: Sie hat nur sehr wenige Ecken und Kanten. Dennoch: Ein unglaubliches Album.

 

Ferris MC - "Audiobiografie"

Das war der Stein, der das “Ferris MC”-Album überhaupt erst ins Rollen gebracht hat. Hier fing die Tightness und Professionalität bereits an.

 

Deichkind - "Arbeit nervt!"

Das erste Deichkind-Album, bei dem ich dabei bin.

 

Ferris MC - "Fertich!"

Das schwierigste Album, und das höre ich auch heute noch heraus. Für 2001 hatte es zwar schon sehr futuristische Ansätze, war damals aber leider noch nicht richtig auf den Punkt. Man hört der Platte außerdem an, was für ein kaputter Mensch ich damals war.

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