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Was tun, wenn Facebook-Freunde zu Hetzern werden?

Illustration: Pia Kettl

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Thomas Schmitt gefällt das:

  „Seit wann muss sich denn hier im deutschen Brauchtum an irgendwelche Mullah-Regeln gehalten werden? Wie wäre es denn, wenn man diesem Dreckspöbel mit dem Knüppel auf den Kopf schlägt und ihm genau erklärt, wie unsere Regeln hier sind? Anstatt solche Horden rücksichtslos zusammen zu knüppeln, zu verhaften und des Landes zu verweisen, wird hier jetzt noch Erlebnispädagogik gemacht.“

Und so weiter brüllt es ein „böser Mann“ nach den Kölner Ereignissen in seine Handykamera. 400 Sekunden Hass, wie sie auf Facebook gerade oft viral gehen. Weil sie massenhaft von Menschen geteilt werden. Auch von Menschen, die ich kenne. Oder mal kannte.

Wie bei einer Zombie-Epidemie infiziert sich einer nach dem anderen. Erst erwischt es den Typen, der mich damals im Zivildienst unter die Fittiche genommen hat. Dann die Kommilitonin, mit der ich einst gar mal rumgeknutscht habe. Und jetzt also Thomas Schmitt, den Fußball-Trainer von damals (der in Wirklichkeit anders heißt).

Okay, nicht jeder kann immer jede Quelle prüfen. Oder das überhaupt wollen. Nicht jeder kann zu Hause sitzen und über alles in Ruhe nachdenken. Manche müssen ventilieren, was ihnen quer in der Brust steckt. Schnell. Laut. Ohne Rücksicht auf Verluste. Und manche sind halt einfach Arschlöcher. Das gibt es im echten Leben. Das gibt es in den sozialen Netzwerken.

Bringt diskutieren auf Facebook überhaupt was?

Aber das gibt es doch eigentlich nicht bei uns?! Bei mir. Bei dem Fußballtrainer, der Knutscherin, dem Mentor? Die waren doch immer voll okay. Ich hab mich doch gut mit denen verstanden. Woher der Hass? Was hat die bloß so ruiniert, dass sie jetzt auf Facebook austicken? Und: Was soll ich jetzt machen?

Klar, ich könnte dem Thomas schreiben. Erklären, was mich an seiner Mit-Teilung nervt. Dass ich finde, dass man sehr vorsichtig mit pauschalen Verurteilungen sein muss. Dass man lieber einmal nichts postet, als etwas, das man nicht genau geprüft hat. Dass es eine Grenze gibt für Kritik an Menschengruppen als solchen, eine unsichtbare Linie, ab der weiteres Draufrumhacken einfach ein -Ismus ist. 

Aber will ich zum Facebook-Prediger werden? Mich selbst nerven diese Leute, die unter Posts alles besser wissen. „Wenn du geschwiegen hättest“, heißt es doch, „wärest du ein Philosoph geblieben.“ Oder zumindest cool. Und bringt diskutieren auf Facebook überhaupt was? Oder ist das in diesem Falle sogar Bürgerpflicht? 

Während ich verkopfter Gutmensch noch überlege, rauscht ein neuer Tiefpunkt durch meine Timeline: „200.000 IS-Soldaten könnten zehn Millionen Deutsche töten.“ Sie bräuchten nur Waffen. Dass die Flüchtlinge alle Terroristen sind, wird vorausgesetzt. Ein „Pogrom“ an den Deutschen stehe also kurz bevor. Dann könnten die Flüchtlinge auch „aus ihren Zelten raus und in unsere Häuser ziehen“. Mein ehemaliger Fußball-Trainer Thomas nennt diesen geisteskranken Bullshit, diese pubertäre Splatter-Fantasie: „ein schreckliches Szenario.“ Was soll man dazu sagen außer: Alter, brauchst du Hilfe? 

Ich schaue mir seine Facebook-Seite genauer an. Unter einem anderen Post, der unsere Politiker der Lüge bezichtigt, weil ja kriminelle Flüchtlinge doch gar nicht abgeschoben werden können (oder so ähnlich), schreibt er: „Ich kann das zwar nicht beurteilen. Aber ich habe beim Lesen kein gutes Gefühl.“

Damit hat er das Problem selbst benannt: Es geht hier nicht wirklich um Politik oder Fakten. Sondern um ein Gefühl. Er hat offenbar das Gefühl, jemanden aufrütteln zu müssen. Und ich habe das Gefühl, dass er es damit übertreibt. Über Gefühle können wir doch reden, oder? Das konnten wir jedenfalls mal. Oder uns wenigstens offen fragen, was zum Teufel eigentlich los ist.  Also beschließe ich, an dieser Stelle diesen Text zu beenden. Und stattdessen dem Thomas mein vorläufiges Fazit auf die Pinnwand zu posten. Um zu schauen, was er darauf sagt.

Eine verrückte Idee: Was, wenn wir alle mal den Schmitts und Ex-Mentoren und ehemaligen Knutschbekanntschaften dieser Welt schreiben, was wir über ihre Posts und Likes denken? Fast jeder hat doch einen oder mehrere in der Timeline, die momentan am ganz großen Rad drehen. Hat sie schon ent-abonniert oder gar entfreundet. Ihnen jeweils einzeln zu schreiben, mit ihnen zu diskutieren, kostet alle Beteiligten Zeit und Nerven. Aber einfach wegdenken kann man sie auch nicht. Sie wohnen ja genau so hier wie wir. Und wenn es Aufmerksamkeit ist, die sie wollen, bringt schweigend schmollen sie womöglich nur dazu, noch schriller zu meckern. 

 

Es braucht vielleicht ein trojanisches Pferd, das die Mauern der Aufregung umgeht und ein Gespräch möglich macht

 

Copy, paste. Nehmt die folgenden Zeilen, oder Teile davon, oder den ganzen Text hier, und schickt ihn den Zombies eurer Timelines. Als Kommentar auf einen fragwürdigen Post oder direkt auf ihre Chronik. Als Geste einer Freundschaft, die wacklig geworden ist. Als trojanisches Pferd, das die Mauern der Aufregung umgeht und ein Gespräch möglich macht, wo momentan nur Geschrei zu hören ist. Ohne zu geifern, zu schimpfen oder die viel zitierte „Keulen“ zu schwingen. Und ohne den Vergleich mit den Zombies ansatzweise ernst zu meinen. Der soll ja nur meine Hilflosigkeit überspielen. Und wer was von Pogromen postet, muss einen Zombie-Vergleich auch abkönnen. Also:

 

Hallo Freund/in,

Was du zur Zeit hier postest, finde ich ziemlich mies. Du scheinst aufgeregt zu sein. Und mich regt wiederum auf, wie du das rüberbringst. Weil das keine okaye Empörung mehr ist. Du überschreitest stattdessen genau diese feine Grenze einer sinnvollen Diskussion, auf die wir uns doch alle mal geeinigt haben. Was ist denn passiert, dass du solches Zeug verbreitest? Ich verstehe es nicht. Aber einfach entfreunden oder sowas, das will ich nicht. Bringt ja auch nichts. Deshalb erklär doch bitte mal: Warum muss das deiner Meinung nach sein? Meinst du das Ernst? Was willst Du damit erreichen? Und vor allem: Geht das nicht eins kleiner?

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