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"I will ask and you will answer"

Jim Hollander/dpa

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Der Mann hinter dem Glas klappt meinen Reisepass auf, liest meinen Namen, blickt zu mir hoch und zeigt auf einen abgeschirmten Raum im hinteren Eck der Halle.  Da soll ich hin. Aha. Also doch. Meine Reise endet vorerst. "Mein Pass?", frage ich. "Später", sagt der Beamte. Also drehe ich mich um und laufe an meinen Mitreisenden vorbei, die ohne Weiteres passieren können. Meine Freunde sehen ungläubig zu mir herüber. "Nehmt bitte mein Gepäck mit", sage ich. Ich fühle mich irgendwie nackt. So ohne Pass am Flughafen ist wie ohne gelöstes Ticket am U-Bahnsteig herumzustehen. Das soll man doch nicht.

Der Grund für den Empfang? Mein Name. Deutscher Pass, aber mein Name ist einfach zu arabisch, zu muslimisch und damit – zu verdächtig. Dunja Ramadan, Ramadan ist halt geballte Faust Islam. Ich gehe also in diesen Raum und denke währenddessen an die Horrorgeschichten von Freunden: Acht Stunden Wartezeit am Checkpoint zu Jordanien, Facebook und Handy-Checks, lästige Fragen. 

Natürlich habe ich schon davon gehört: "Racial Profiling". In Europa größtenteils verpönt, gilt als menschenrechtswidrige Praxis, rassistisch, weil man von oberflächlichen Merkmalen auf bestimmte Raster schließt. Vorurteile bestätigen das Denken und Handeln, sozusagen. Schwarze, die viel öfter von der Polizei kontrolliert werden als Weiße, Palästinenser, die in Checkpoints länger warten müssen als eine Familie aus Irland. Mir ist das noch nie passiert, ja mein Name ist, sagen wir mal, einprägsam, aber rein äußerlich hatte ich nie das Gefühl anders behandelt zu werden. Bis heute.

Erst mal gibt es aber: Einen unscheinbaren Raum mit gurgelndem Wasserautomaten in der Ecke, gelangweiltes Sicherheitspersonal, kein WiFi. Dass ich die nächsten viereinhalb Stunden meines Lebens in diesem Raum verbringen würde, war mir anfangs noch nicht klar. Ich denke, hey, das lässt sich sicher voll schnell klären. Man kann doch über alles reden. Immerhin reise ich mit einer 16-köpfigen Journalistengruppe, ich habe ein ausgedrucktes Programm dabei, den Namen der Unterkunft, verschiedene Telefonnummern. Als ob ich’s in meinem tiefsten Unterbewusstsein geahnt hätte.

Nach einer halben Stunde kommt eine junge Amerikanerin mit ihrer sichtlich erschöpften Mutter in den Raum. Die Mutter trägt ein Kopftuch, die Tochter ist extrem genervt: "Same shit as every year!", stöhnt sie. Ich fühle mich plötzlich in eine Art Mikrokosmos versetzt. Ich bin Neuling, noch nie in Israel gewesen, noch nie von Sicherheitsleuten gefilzt, immer vom roten Pass profitiert, immer gern gesehener Tourist – und jetzt komme ich in eine Szenerie, die sich für viele Menschen häufiger abspielt. Man kann für solche Situationen ja fast eine Art wissenschaftliche Neugier entwickeln. Und das tue ich gerade.

Ein Deutscher mit saudischem Personalausweis

Neben mir sitzt ein Mann, der komplett aus der Reihe fällt. Kein Kopftuch, kein Bart, keine Anhaltspunkte – für was auch immer. Blonde Haare, blaue Augen, grünes Trikot mit der Aufschrift "Deutsche Nationalmannschaft". Ich spreche ihn an. Er kommt aus Hamburg, will sich Jerusalem anschauen. "Ja, und warum sitzt du hier?" – "Mein Name." – "Was ist damit?" Er hält mir einen Ausweis hin, offenbar sein Personalausweis. Ich erkenne ihn erst nicht. Auf dem Bild trägt er ein arabisches Kopftuch. Ich denke an Karneval, an einen blonden, wenig authentisch aussehenden Öl-Scheich. Aber es ist tatsächlich ein saudischer Personalausweis. Sein Vater sei dort geboren, seine Mutter sei Deutsche. Wir müssen lachen. Die Situation ist total absurd. Wir sind beide Deutsche, aber nicht nur. Und dieses "nicht nur" macht den Israelis ganz schön zu schaffen. Ich werde aufgerufen. 

Eine junge Frau, etwas kühl, mit dunkelblonden Locken hält meinen Pass in der Hand und bittet mich in ihr Büro. Ich versuche Augenkontakt aufzunehmen, doch die Frau starrt auf ihren Bildschirm und fragt nach Mailadresse, Telefonnummer, Name des Vaters, Name des Großvaters. Meine deutsche Familie wird komplett außen vor gelassen, obwohl meine Mutter Deutsche ist. "Warum ich so häufig nach Ägypten fliege?"- "Ich habe Familie dort." "Warum Jordanien?" – "Ich habe Freunde dort." Fünfzehn Minuten später ist die Anhörung beendet. Man schickt mich zurück.

Zwei junge Amerikaner in Jogginghosen und Schlappen betreten gerade den Raum. Brüder, Mitte zwanzig, ihre Eltern kommen aus dem Westjordanland. Ihr Cousin heiratet kommende Woche in Ramallah. Beide sind sehr nervös, nicht wegen der Übermacht des israelischen Sicherheitsapparats, sondern wegen ihres Nikotinentzugs. „Yo, we have to smoke“, sagt einer der beiden zu einem Sicherheitsbeamten. Der schüttelt nur den Kopf. Er könne immer nur zwei Personen mitnehmen, zwei Männer springen auf und kommen den Brüdern zuvor. 

Dann betritt eine Großfamilie aus London den Raum: Mutter, Vater, ein Sohn, zwei Töchter, zwei Schwiegersöhne. Der Vater trägt ein weißes Gewand, einen langen Bart, die Mutter einen Sari, ihre schwarzen Haare sind zu einem Zopf gebunden. Die Eltern kommen aus Indien. Eine der Töchter trägt ein Kopftuch. Warum sie nach Israel reisen, frage ich. Sie wollen nach Jerusalem, die Al-Aqsa-Moschee besuchen, erzählt mir die Mutter. Auch für sie ist es das erste Mal Israel, das erste Mal Sicherheitscheck. Die Familie überlegt laut, woran es liegen könnte. "Mein Mann heißt Mohamed, mein Sohn Ismail. Reicht, oder?!", sagte die Mutter und lacht laut.

"I will ask you and you will answer"

Mittlerweile bin ich die Person, die am längsten in dem Raum sitzt. Jeder fragt mich: "Und, wie lange sitzt du schon?" Als ich "zweieinhalb Stunden" sage, erschrecken sie. Eine von äußeren Kräften zusammengebrachte Gruppe entwickelt offenbar noch schneller interne Strukturen – und ich war also nun das Worst-Case-Beispiel, aber auch irgendwie die Stammesälteste.

Wir sprechen gerade über den Brexit, als ein Sicherheitsbeamter mit stämmiger Statur und Glatze den Raum betritt, einen Pass in der Hand hält und den Namen laut vorliest. Die amerikanischen Brüder, die Großfamilie aus London und ich murmeln gleichzeitig "Vin Diesel!", als der Mann uns den Rücken kehrt. Wir müssen lachen. Vereint im Warten.

Dann werde ich ein zweites Mal aufgerufen. Ein Mann Mitte dreißig mit Brille führt mich in sein Büro. Jetzt geht es um Details. Ich versuche Eigeninitiative zu zeigen, ihm alles von mir aus zu erzählen, aber das gefällt ihm gar nicht. "Wait, wait, we have time. I will ask you and you will answer", sagte er. Ich versuche ihm klarzumachen, dass meine Gruppe bereits am Strand liegt und mein Schulleiter draußen wartet, während ich hier rumsitze. Das beeindruckt ihn wenig. Er stellt seine Fragen: Mit wem reise ich, warum reise ich, was will ich in meiner Freizeit machen und vor allem: Will ich etwa in die Westbank?

Dann fragt er mich ernsthaft, warum ich ausgerechnet nach Israel reise. "Warum nicht in die Schweiz?", fragte er. Ich lache und denke, wir sind ja hier nicht bei "Wünsch Dir was". Ich bin Teil einer Gruppe, das Programm habe ich mir nicht ausgesucht, sage ich. Mir ist klar, dass Israel in Alarmbereitschaft ist. In den letzten Monaten kam es vermehrt zu Messerattacken durch Palästinenser. Die Lösung des Nahostkonflikts scheint in weiter Ferne. Das Misstrauen gegen Araber ist groß. Durch den Rand seiner Brille beobachtet er meine Reaktion auf jede einzelne Frage.

Er will von mir wissen, welche Artikel ich vor kurzem geschrieben habe und ob ich Israel in einem von ihnen erwähnt habe. Ich schüttele den Kopf. Außerdem will er meine Mailadresse haben. Ich fragte ihn, was er damit machen will. "Wenn ich hacken könnte, würde ich nicht am Flughafen arbeiten", sagt er. Nach einer halben Stunde ist auch diese Befragung vorbei. Ich soll zurück in den Raum und: warten.

Die Sicherheitsbeamten durchsuchen das Handy der Frau nach örtlichen Nummern

Also zurück. Einer der amerikanischen Brüder gibt mir einen Erdbeerkaugummi. Dann betritt eine junge Frau im Minirock den Raum. Sie kommt aus Paris, aber auch sie hat einen Migrationsvordergrund: Ihre Eltern kommen aus Tunesien. Sie will Freunde in Jerusalem besuchen, beruflich war sie bereits vor drei Monaten dort. Aber die Zeit war zu kurz und die Faszination zu groß. Nach ihrer ersten Befragung kommt sie fassungslos zurück: Da sie geschieden ist, sind die israelischen Sicherheitsbeamten sich sicher, dass sie in Israel einen palästinensischen Freund suche. Sie durchsuchen ihr Handy nach örtlichen Nummern, aber finden nur die Nummer eines Taxifahrers. Den würden sie jetzt anrufen, erzählt sie mir. Die junge Frau ist nervös, keine Ahnung, ob der Taxifahrer sich noch an sie erinnert.

Dann kommt "Vin Diesel" wieder, in der Hand einen Pass, er liest meinen Namen vor. Ich darf gehen. Ohne Erklärung, einfach so. "Ich darf gehen!", rufe ich in den Raum. Alle wünschen mir eine schöne Zeit, ich wünschte ihnen vor allem eine kurze Wartezeit. Für einen Moment waren wir eine Schicksalsgemeinschaft, vereint durch die fragwürdige Praxis des "Racial Profiling".

Ich verlasse den Flughafen und habe ein seltsames Gefühl. Ich fühle mich nicht willkommen, ich fühle mich höchstens geduldet. Das zieht sich durch die gesamte Zeit meines Aufenthalts. Als ich in ein israelisches Taxi steige, schimpft der Fahrer über die Araber. "Die sollen froh sein, dass wir sie nicht alle rausschmeißen", sagt er. Ich schweige. Ich habe genug für einen Tag. 

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