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Alice. Das neue Buch von Judith Hermann

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Nicht gerne denkt man ans Sterben. Vor allem nicht, wenn draußen der Frühsommer tobt und alles vor Leben strotzt. Gerade in dieses kraftvolle Leben hinein aber hat Judith Hermann ihr neues Buch vom Sterben geschrieben. Fünf Geschichten, lose verbunden durch die Protagonistin Alice, die den Tod von anderen erleben muss. Es sind die Männer, die hier sterben. Freunde und Ex-Freunde, entfernte Bekannte, und ein Onkel, den sie nicht gekannt hat, ist schon vor langer Zeit gestorben. Der Tod kommt manchmal überraschend, nach nur einer Nacht im Krankenhaus. Dann wieder steht er so klar am Horizont, dass der Sterbende schon das Datum für die Beerdigung auswählen kann. Das Sterben ist unaufhaltsam und mächtig, aber nicht schrecklich. In allen fünf Episoden lässt es die Autorin von Alltag umfließen, beinahe überdecken und spielt dabei wieder das aus, was schon in „Sommerhaus, später“ so hypnotisch betörte: Fotorealistische Alltagsbeschreibung, gemildert durch eine poetisch-sanfte Draufsicht. Wie es ist, im Italienurlaub in einen eiskalten See einzutauchen, wie sich eine Straße in Berlin an einem übersonnten Abend anfühlt und viele andere schöne Alltags-Momente reiht Judith Hermann auf, in einer genau abgewogenen Sprache – kein Satz zu lang, kein Adjektiv zu viel. Der Tod ist letztlich immer gleich. Was sich ändert sind die Umstände der Lebenden, sind die Geschichten drumherum. Die Autorin verschiebt mit großer Genauigkeit die Kulissen um das immer gleiche Ende. Die banalen Kleinigkeiten nehmen in den Schilderungen viel mehr Platz ein, als das Leid, das fast gar nicht auftaucht. Es entsteht so beim Lesen ein seltsam kontrastierendes Empfinden - die genauen Erfahrungen der Lebenden, stellvertretend wahrgenommen von Alice, die alles so aufzeichnet wie es ist, weitgehend ungetrübt und frei von Stimmungen. Dagegen die flüchtigen Sterbenden, die das Leben verabschieden und sich schon in einem Zwischenstadium aufhalten, entfernt bereits und wie auf Abruf, in einem Krankenhausbett oder in Pflege. Das Auto eines Toten wird abgeholt, denn nach einem Tod wird aufgeräumt und weitergelebt. Alice wartet daneben und dann ist es weg, fast wie bei seinem Besitzer. Fünf Geschichten vom Sterben, das ist nicht fröhlich. Aber es ist auch alles andere als beschwerlich. Es ist das Buch einer Lebenden, die nichts anderes macht, als alle Menschen: Sich annähern an das, woran man nicht gerne denkt. Es irgendwie ins Leben einbetten und ihm damit den Schrecken nehmen. Funktioniert sehr gut.

"Alice" von Judith Hermann ist im Verlag S.Fischer erschienen und kostet 18,95 Euro.

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