Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

An der Geduld mit den Mitmenschen

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

dirk-schmidt.jetzt.de Eigentlich bin ich nett. Aber manchmal werde ich zur asozialen Sau. Vor allem, wenn die Leute meine Geduld strapazieren. Dann hasse ich die Menschheit und sage leise vor mich hin: "Gewalt ist keine Lösung. Nein. Wirklich nicht." Beispiel Eins: das Zugabteil. Ich glaube, die Bahnbeamten haben Notizen in ihrem Reservierungssystem. Und weil ich so freundlich bin, denken die sich: Och, die setzen wir mal zu den Lauten, da gleicht sich das gut aus. Ich reise also grundsätzlich mit schlimmen Menschen: alten Frauen, die schon ein paar Stunden lang nicht mehr ihre Geschichte erzählen durften; Typen, die die neueste "The Dome"-Kompilation auf voller Lautstärke hören; doofen Kindern, die rumbrüllen oder Männern, die mir alle paar Minuten zublinzeln. Im Zug möchte ich Zug fahren, ich will niemanden kennen lernen. Ein einziges Mal hatte ich Glück: In meinem Abteil saß nur eine Frau, in ihr Buch vertieft. Als ich einstieg, blickte sie nur kurz auf und murmelte ein 'Guten Tag'. Dann bewegte sie sich die folgenden fünf Stunden nicht mehr. Ich hätte sie zum Abschied gern geküsst. Aber das hätte sie sicher komisch gefunden und dann so schlecht von mir gedacht wie ich sonst von den anderen. Beispiel Zwei: der Supermarkt. Beim Einkaufen kann ich besonders gut hassen. Meistens böse Omas. Das sind die, die den Gang verstopfen, weil sie sich die Inhaltsstoffangaben des Joghurts ganz genau durchlesen. Nur um ihn dann wieder ins Regal zu stellen und zum Nachbarjoghurt zu greifen. Und dann gibt es die Omas, die mir an der Kasse ihren Wagen in die Ferse schieben, wenn es wieder ein paar Zentimeter vorwärts geht. Ich werde auch mal eine Oma, klar. Aber vor allem im Supermarkt werde ich aufpassen, immer lieb zu sein. Beispiel Drei: die Urlaubsreise. Ich flog mit Freunden nach Kroatien. Wir waren zu spät am Flughafen und standen hinten in der Schlange. Nach uns kamen nur noch zwei Frauen, die noch mehr zu spät waren als wir. Die ganze Ewigkeit, die wir aufs Einchecken warteten, fragte die eine ihre Freundin immer lauter und ungeduldiger: "Ob man wohl im Flugzeug rauchen darf? Hoffentlich darf man Rauchen. Oh Gott, ich geh kaputt, wenn man da nicht rauchen darf." Zur Erinnerung: Wir flogen anderthalb Stunden nach Kroatien, nicht anderthalb Tage nach Australien. Neben mir, auf Nichtraucherplätzen, saßen – so sah also die Hölle aus – die beiden Freundinnen. Die Raucherin war kurz vorm Ausflippen. Nach der Ankunft in Dubrovnik gingen wir in ein Café. Wir atmeten erst mal tief durch, als wir vom Nachbartisch eine bekannte Stimme hörten: "Erst mal eine rauchen." Nein, Gewalt ist keine Lösung, ich weiß. Und eigentlich mag ich meine asozialen Momente auch sehr gern. Weil ich dann zu schätzen weiß, wie schön es mit Freunden ist und mit den Leuten, die nicht nerven. Oder auch mal ganz allein.

  • teilen
  • schließen