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Arbeite mit und du kaufst billig ein: über einen Supermarkt in New York

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Nach zwei Wochen in New York hatte ich die leuchtend bunte, emulgatorengeschwängerte, ungesunde New Yorker Küche so satt. Ich hatte alles ausprobiert: gegrillte Süßkartoffeln, Cream-Cheese-Bagels, Softeis, neonfarbene Gummibärchen, frittierte Schokoriegel. Ich wollte nur eines: zurück zu ungespritzten Äpfeln und Sauerteigbrot. Zu dieser Zeit wohnte ich in Park Slope, einem Viertel in Brooklyn, in dem es zwar viele junge Familien, Sterneköche und vegane Luxus-Konditoreien gibt, aber nichts, was ich mir leisten konnte. Mein Freund Jordan erzählte mir vom „Coop“. Das sei so ein Supermarkt. Man müsse dort ein bisschen arbeiten, drei, vier Stunden im Monat, und dafür könne man billig Bio-Essen einkaufen. Es sei eigentlich eine Hippiegemeinschaft, aber ziemlich nützlich.

Alles Käse: So sieht bei Food Coop die Frischwaren-Theke für Käse aus. Ich kam nach Hause, erzählte meiner Vermieterin von Jordans Empfehlung und löste Begeisterung aus, denn natürlich war auch sie Mitglied (und wegen ihrer Fettleibigkeit brauchte sie nicht zu arbeiten). Ich war nämlich durch Zufall an eine echte New Yorker Institution geraten. Der Park Slope Food Coop wurde 1973 von einer handvoll Idealisten gegründet, die einfach weniger Geld für Essen ausgeben wollten. Das Prinzip: Wer mitmacht, arbeitet jeden Monat eine gewisse Anzahl an Stunden und kann dafür die günstigen Produkte einkaufen, deren Preise nur 20 Prozent über dem Einkaufspreis liegen. Das Konzept ging auf, mittlerweile hat der Food Coop mehr als 13.000 Mitglieder. Ich bin eines davon. Erst musste ich eine Orientierungsveranstaltung besuchen, bei der uns ein Mädchen aus Neu Delhi erklärte, dass wir nicht einmal im Monat, sondern alle vier Wochen arbeiten müssten. Ob der Unterschied klar sei, fragte sie. Nicht alle verstanden. Wir tranken noch ein Gläschen naturtrüben Apfelsaft und unterschrieben unsere Mitgliedsausweise. Endlich durfte ich einkaufen, mich durch ein bisschen schäbige Regalreihen drängeln, mir Kräutertees empfehlen lassen und mir einreden, dass so Öko-Leute ja doch ganz sympathisch seien. Biobier, Ziegenrohmilchkäse, Netzmelonen, Seetangsalat, Soja-Truthahn-Nuggets, getrocknete Mangos, Rucolamischsalat, Edelbitterschokolade! Ich habe acht unterschiedliche Produkte in meinem Leinenbeutel. Kosten: Weniger als zwanzig Dollar. Allerdings musste ich an einer Kasse anstehen, in der meine Lebensmittel gescannt wurden. Und dann in einer Schlange, in der ich bezahlte. Und dann in einer Schlange vor dem Ausgang, vor dem eine dicke Frau saß und bestätigte, dass sich meine Einkäufe in einem Leinenbeutel befanden.

Die 2,75 monatlichen (vier-wöchentlichen) Arbeitsstunden im Büro waren sehr unnütz. Ich ordnete Karteikarten nach ihrer Farbe. Zudem bediente ich das Telefon. Alle zwölf Sekunden rief jemand an und fragte, warum er hinaus geworfen wurde aus dem Coop, wann es endlich wieder frisches Kaninchen gebe, und ob man die Mitgliedsgebühr auch in Raten begleichen könne. Ich entschuldigte mich höflich und bat jeden einzelnen Kunden, am nächsten Tag noch mal anzurufen. Vier Wochen später meldete ich mich krank. Nicht, weil ich nicht arbeiten wollte, sondern weil ich nicht diese Arbeit verrichten wollte. In den folgenden zwei Wochen rief die Person, die meinen Mitgliedsausweis scannte „You are on alert!“. Für versäumte Schichten wird man durch eine Zusatzschicht bestraft. Und zusätzlich durch die Blicke der arbeitenden Mitglieder. Die Frau an der ersten Kasse, der Mann an der Bezahlkasse, und die dicke Frau, die die Anzahl der Tüten in eine Liste einträgt: alle sahen sie mich so an. Sie erinnerten mich daran, dass ich „on alert“ war. Sie hassten mich insgeheim, weil sie ahnten, dass ich nur schmarotze, mit meinem Mitgliedsausweis heimlich Sachen für meinen Kollegen einkaufte und nicht vorhatte, jemals wieder im Büro zu erscheinen. Sie witterten, dass Leute wie ich ihre Gemeinschaft zerstören könnten. Das Ende meiner Park-Slope-Food-Coop-Mitgliedschaft war wie das Ende meiner Fitnessstudio-Karriere: Ich war jedes Mal ein bisschen mehr genervt von all den Menschen, ihren Einstellungen und den Unannehmlichkeiten. Ich muss mittlerweile so „on alert“ sein, dass auch meine fettleibige Ex-Vermieterin Hausverbot erhalten hat.

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