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Auch ein 9. November

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Verdammt ausgezehrt liegt er da. Eine unheimlich gruselige Mischung aus den beiden toten Helden der Geschichte – Jesus Christus und Che Guevara. Nur dünner. Er wog gerade noch 39 Kilo, bei einer Größe von 1,83 Meter. Irgendwas erinnert an die Bilder der ausgezehrten KZ-Häftlinge bei der Befreiung 1945. Es ist Samstag, der 9. November 1974. Holger Meins ist tot. Gestorben in der Justizvollzugsanstalt Wittlich/Eifel. Er hatte seit rund zwei Monaten nichts mehr gegessen. Denn er und andere gefangenen RAF-Terroristen hungerten für bessere Haftbedingungen. Einige RAF-Gefangenen, unter anderem Meins, saßen seit mehr als zwei Jahren in Einzelhaft. Der Staat wollte eigentlich verhindern, dass „Typen dabei kaputt gehen“, wie es Chef-Terrorist Andreas Baader zu Beginn des Hungerstreiks angekündigt hat. „Zwangsernährung“ sollte helfen, um die Gefangenen vor dem Tod zu bewahren. Bei dieser „Zwangsernährung“ wurde der Gefangene festgeschnallt, sein Kiefer auseinandergehebelt und mit einer „Maulsperre“ offen gehalten. Dann wurde mit einem mittelfingerdicken, roten Magenschlauch „ernährt“. So berichtete es Holger Meins vor seinem Tod. Nach dem Hungertod von Holger Meins verübten RAF-Anhänger 19 Brand- und zwei Sprengstoffanschläge, außerdem erschossen Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“, der zweiten großen Terroristengruppe, den Berliner Kammergerichtspräsidenten Günther von Drenkmann. Dieser hatte nie etwas mit Terroristenprozessen oder den kritisierten Haftbedingungen zu tun, sondern galt als liberaler Zivilrichter. Nach 145 Tagen brechen die restlichen Gefangenen den Hungerstreik ab. Viele haben sich bis auf 26 Kilo heruntergehungert und sie vermutlich nur aufgehört, um wieder zu Kräften zu kommen. Zweieinhalb Monate später überfallen RAF-Terroristen die deutsche Botschaft in Stockholm und versuchen 26 Terroristen freizupressen. Erst am 28. April 1998 löst sich die Rote Armee Fraktion auf. 67 Tote und 230 zum Teil schwer verletzte Menschen sind bei Terroristen und Staat zu beklagen. Heute jährt sich zum dreißigsten Mal der Hungertod eines Mannes, der Mitglied der wohl grausamsten, bundesrepublikanischen Gruppe war, die nach dem Krieg aktiv waren – der RAF, der Roten Armee Fraktion. Ein Kapitel Geschichte, das trotz umfangreicher Aufarbeitung kaum an Schulen unterrichtet wird. Mehr als ein Absatz lässt sich in den Schulbüchern meist nicht finden. Deshalb hier drei empfehlenswerte Neuerscheinungen zum Thema: „Der schwarze Stern der Tupamaros“ von Gerhard Seyfried, erschienen im Eichborn Verlag. In dem Roman geht es um die Erlebnisse des jungen Münchner Haschrebellen Fred in den siebziger Jahren in München und Berlin. „Black Box BRD“ von Andreas Veiel, erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag. Der Autor stellt die Biografien des Vorstandsprechers der deutschen Bank, der 1989 Opfer eines Bombenanschlages der RAF wurde, und Wolfgang Grams, Terrorist der RAF und 1993 von Polizisten erschossen wurde, gegenüber. „Keine Angst vor niemand“ von Gabriele Rollnik, erschienen in der Edition Nautilus. Die ehemalige „Bewegung 2. Juni“-Terroristin erzählt in dem Interview mit Daniel Dubbe von ihrer Radikalisierung, ihren ersten Aktionen bis zum Ausbruch auf dem Gefängnis.

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