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Bewachter Sex im Auto

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Ein Italiener ist der Inbegriff des Liebhabers. Zumindest im Film. Auf einem Motorino entführt er dort seine Herzensdame, mit wehendem Haar zeigt er ihr die Stadt. Romantisches Abendessen und das Geständnis großer Gefühle folgen, und schließlich werden am Ende des Tages noch im Mondscheinlicht erste Zärtlichkeiten ausgetauscht.  

Die Realität ist das aber nicht. Schuld daran ist - wieder mal - die Wirtschaftskrise. In Neapel wohnen zwei Drittel der 18- bis 34-Jährigen noch bei den Eltern, eine eigene Wohnung ist lediglich ein Traum bei einer Arbeitslosenquote von über 40 Prozent. Zuhause dann in Stimmung zu kommen ist schwer, erst recht bei dem Gedanken, dass i genitori im Nebenzimmer sitzen und zuhören könnten. So zieht es die jungen Italiener raus aus der Wohnung und rein ins Auto.  

In dunklen, besucherlosen Ecken parken die Autos des Liebenden. Im Auto können sie ihrer Leidenschaft nachgehen, sicher vor den Eltern - aber nicht sicher vor Verbrechen. Vergewaltigungen und Diebstähle haben besorgniserregende Ausmaße angenommen. Sogar die Mafia klopft an manchem Autofenster und verlangt Schutzgeld.  

Pünktlich zum Valentinstag machte die Stadt Neapel einen Vorschlag, wie man die Jugendlichen beim Sex im Auto schützen könne. Im Stadtteil Barra, einem der ärmeren Randbezirke, soll ein Liebesparkplatz gebaut werden. Für ein paar Euro kann der Neapolitaner ein Ticket kaufen und ist dann für eine gewisse Zeit mit seiner Liebsten ungestört. Trennwände sollen für Privatsphäre sorgen, ein Aufpasser für Sicherheit. Romantik entsteht höchstens durch den Sternenhimmel.  



Die Idee zu dem Liebesparkplatz stammt von Patrizio Gragnano, Stadtratsmitglied der linken Partei SEL, der damit beweisen möchte, dass die jugendlichen Bedürfnisse seiner Partei am Herzen liegen. Natürlich nicht ohne gleichzeitig ihr Bewusstsein in Sachen Verhütung und ungewollte Schwangerschaft durch begleitende Kampagnen zu schärfen. Francesco Emilio Borrelli von der Partei Verdi spricht in einem Interview sogar von einer epischen Wende, die die Ultrakonservativen in eine Ecke drängen werde. Seiner Meinung nach gehöre Neapel bald zu den modernsten Städten Europas.  

Davon, sich mit Europas Metropolen messen zu können, ist Neapel aber weit entfernt. In Wirklichkeit besteht die Stadt aus Müllbergen und Mafia, Arbeitslosigkeit und Armut. Daran knüpft auch die Kritik der Parkplatz-Gegner an. Massima Morga, ebenfalls Stadtratsmitlied, sagt, jeder Euro, der für einen Liebesparkplatz ausgegeben werde, käme einer Ohrfeige für die Arbeitenslosen gleich. „Es gibt so vieles, an das wir denken müssten, bevor wir die Jugendlichen dabei unterstützen, weitere Kinder in die Welt zu setzen, die sich nicht ernähren können.“  

Dabei ist Sex im Auto in Neapel eine Art Tradition. Zu Beginn der Sechziger, nachdem 1958 die Bordelle schließen mussten und die Massenmotorisierung ihren Lauf nahm, wurde das Auto ein Raum für Zuneigung und Zärtlichkeit. Nur dort, fern ab der Wohnung, in der Mutter und Vater, Geschwister und Großeltern warten, hatte der Italiener etwas Privatsphäre.  

Zu einem Boom des Phänomens kam es in den Achtzigern. Preise und Arbeitslosigkeit stiegen, Motelzimmer waren teuer, die Öffentlichkeit aber zu gefährlich. Die Liebespäarchen begannen, an immer den gleichen Orten zu parken, um sich zumindest gegenseitig beschützen zu können. Einer dieser Orte ist der parco della rimembranza, der Park der Erinnerung, dessen einzigartiger Blick auf den Golf von Neapel auch die richtige Atmosphäre ins Liebesspiel brachte.  

Drum herum kam es zu einem blühenden Geschäft. Entlang der nahestehenden Straßen wurden provisorische Verkaufsstände aufgebaut, mit allem, was beim Liebesakt im Auto gebraucht werden könnte: Zeitungen und Klebeband, um die Fenster zu verdunkeln, Raubkopien von Musikkassetten, Kaffeelikör, Marlboros für die Zigarette danach.

Heutzutage ist der Park für Autos gesperrt. Mütter gehen mit ihren Kinderwägen spazieren, Senioren spielen Karten. An den Liebesort von früher erinnert nichts mehr. Die Autos halten nun nur wenige Straßen weiter in der Via Manzoni, und auch das nicht mehr lange, denn der Stadtrat hat den Vorschlag zum Bau des Liebesparkplatzes angenommen. 19 von 27 Ratsmitgliedern sahen im Schutz der Paarungswilligen eine Notwendigkeit. Innerhalb von drei Monaten soll der Parkplatz realisiert werden, sollte sich dem Ganzen niemand mehr in den Weg stellen. Denn zumindest von der katholischen Kirche wird noch Widerstand erwartet. Oder von den Eltern.  

Die Eltern seien das geringste Problem, die kämen doch selber vorbei, sagt da nur Marco Donarini in einem Interview. Er hat selbst 2008 so einen Liebesparkplatz gegründet, in Cremona im Norden Italiens, eine Stunde von Mailand entfernt. Sein „luna-parking“ dient jetzt den Neapolitanern als Vorbild. Er selbst sieht sich selbst als Retter der Jugend. Ein Polizist, so erzählt er, habe ihm einmal die Hand geschüttelt und gesagt, seitdem er weiß, dass seine Tochter mit ihrem Freund zu ihm ginge, würde er ruhiger schlafen.  

Donarini ist 48 Jahre alt. Früher hatte er ein kleines Betonunternehmen, doch der Staub machte ihn krank. Er verkaufte und baute das „luna-parking“ auf. Die 38 Boxen werden von 20 bis 30 Päarchen am Abend genutzt, sagt er. Fünf Euro kostet ein Schäferstündchen.

In Neapel scheint sich das Konzept aber durchzusetzen. Mittlerweile haben auch andere Stadtteile erklärt, sie wollen das Konzept der bewachten Liebe im Auto anwenden. So schafft es der Liebesparkplatz zwar den Sex der Neapolitaner zu retten. Die Romantik bleibt wohl auf der Strecke.

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