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Bloß weg!

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Zum Beginn des dritten Semesters gab ein Freund auf. Statt Hausarbeiten zu schreiben, googelte er nach Alternativen, dann zog er weg. Nicht wegen des Studiengangs, den er belegt hatte. Und auch nicht, weil ihn die Fernbeziehung nervte, die er gezwungenermaßen führte. Schuld war die Stadt. „Ich komme mit Stuttgart einfach nicht klar!“, stöhnte er. Genauso erging es Freunden in Minden, Frankfurt und Weimar. Die Städte seien einfach nicht Heimat-tauglich, klagten sie. Über Monate spielten sie Aushalten, schließlich hieß es: Bloß weg!



Verstanden habe ich das nicht. Immerhin zieht man ja nicht einfach so irgendwohin, es sei denn, man gehört zu den Vögeln aus „Goodbye Deutschland“, die ohne ein Wort Portugiesisch zu sprechen in Brasilien die x-te Strandbar aufmachen wollen. In der Regel schaut man sich in der neuen Stadt erst mal um und beantwortet die wichtigen Fragen: Fühle ich mich an der Uni oder beim neuen Arbeitgeber wohl? Kann ich günstig in guter Lage wohnen? Gibt es ausreichend Cafés, Kinos und Clubs, um abzuschalten? Danach geht man noch mal in sich, auch Drüber-Schlafen ist Pflicht. Doch obwohl meine bedacht handelnden Freunde sich an all das gehalten haben, ging das Leben in der neuen Stadt schief. Sie fanden keine Verbindung - nicht zu Frankfurt, nicht zu Minden, nicht zu Weimar.

Inzwischen kann ich dieses Gefühl nachvollziehen. Und das, obwohl Berlin die Stadt ist, in der ich nicht heimisch werde. Berlin, die Hauptstadt, die Stadt der Jugend, der Entscheider und Künstler. Doch all diese Labels helfen nicht: Auch nach einem halben Jahr fühlt sich das Leben die meiste Zeit so an wie die erste Viertelstunde auf einer Party, bei der man niemanden kennt. Die Leute sind hübsch und nett, und wenn man mit ihnen spricht, dann erzählen sie kluge Dinge. Trotzdem fühle ich mich ihnen nicht zugehörig. Laut meinem Personalausweis zufolge bin ich einer von ihnen, meinem Herzen nach bin ich Tourist. Die Bäckerin guckt mich irritiert an, wenn ich zwei „Normale“ statt „Schrippen“ bestelle. Der Busfahrer mosert, weil ich „einmal bis Potsdamer Platz“ sage, anstatt ihm auszurechnen, ob die Fahrt dann eine Kurzstrecke ist oder nicht. Überhaupt die Schnodderigkeit: Zu Beginn fand ich die Berliner Schnauze charmant, jetzt kotzt sie mich an. „So is dit halt, wa“, sagen die Berliner. Na toll.

Was tun, um sich Zuhause zu fühlen? Und wie lange muss man das Unwohlsein aushalten, bevor man wieder wegziehen darf? Die Antworten meiner Freunde fallen unterschiedlich aus. „Ich habe kaum Leute getroffen, die ich mochte“, sagt der Weimarer. „Also musst du vielleicht Leute kennenlernen, mit denen du gut kannst.“ Eine Freundin meint: „Bleib so lange, wie sich Weggehen wie Aufgeben anfühlen würde.“ Das sind alles wage Ratschläge. Leute kennengelernt habe ich natürlich. Aber prozentual verbringe ich zu wenig Zeit mit ihnen, als dass sie etwas an meiner Berlin-Abneigung ändern könnten. Und wie Aufgeben würde sich ein Umzug auch zu diesem Zeitpunkt nicht anfühlen, denn er würde mich nicht ins Elternhaus zurückführen, sondern in meine Ex-Heimat Hamburg.

Nur eines ist sicher: Jammern hilft überhaupt nicht. Rausgehen, den Kiez und die Stadt erkunden, Kontakte knüpfen, all das kann helfen. Und wenn nicht, dann ist es gut zu wissen, dass auch andere wieder abgehauen sind. Bestimmt auch aus Berlin.



Text: mark-heywinkel - Foto: igit / photocase.com

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