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„Das ist die wichtigste Wahl in meinem Leben“

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Es war fast so, wie als kleines Kind auf Silvester zu warten. Es war ein Ausnahmeabend, man blieb bei Corona-Bier und Popcorn gemeinsam wach um mit anderen den Countdown bis zur Schließung der ersten Wahllokale in den USA herunterzuzählen. Man hat sich auch etwas an die vergangenen Fußballsommer erinnert gefühlt, an Public Viewing. Auch hier wurde kollektiv den Ereignissen auf einer großen Leinwand entgegengefiebert. Laute Buhrufe, wenn McCain im Bild erschien, großes Gejohle, wenn Obama eingewechselt wurde. Obwohl man nicht direkt von der US-Wahl betroffen war und selbst nicht gewählt hatte, bekam man das Gefühl, dass es um alles geht, um mehr als bei allen Bundestagswahlen der letzten Male zusammen. Neben dem üblichen Club-Partyvolk waren auch einige der 5500 in München lebenden Amerikaner gekommen, viele Anzugträger und ältere Herrschaften. Eine weitere Beobachtung: Stars and Stripes sind wieder salonfähig, überall sah man US-Flaggen auf der Feier. Um eins kamen schließlich die ersten Hochrechnungen. Drei Wahlmänner aus Vermont für Obama. Riesenjubel. Acht aus Kentucky für McCain. Bis Obama seine nötigen 270 Wahlmänner zusammen hatte und zum klaren Sieger erklärt wurde, sollten aber noch einige Stunden vergehen. Bis dahin verließen die meisten die Party, es war Dienstagabend, man musste früh raus. Und dann war es doch wie amerikanisches Weihnachten. Ein paar Stunden schlafen, heute früh gab es dafür endlich die Bescherung. Wir haben uns gestern Nacht zwischen Hot Dogs und Diskokugel unter den Anwesenden umgehört.

Anja, 26, Grafikdesignstudentin „Ich habe mein Büro über der Registratur und bin spontan nach der Arbeit auf ein Bier vorbeigekommen. Das ist sozusagen die erste Wahlparty meines Lebens! Solche Veranstaltungen sind in Deutschland ja noch nicht sehr üblich, und wenn es in einem biederen Restaurant stattgefunden hätte, wäre ich auch nicht hingegangen. Aber mit der Clubatmosphäre gefällt mir das sehr gut. Für die Wahl 2009, Steinmeier gegen Merkel, kann ich mir solche Parties auf jeden Fall vorstellen. Warum denn nicht? Ich bin kein großer Fan von Obama, freue mich aber, wenn er gewinnt. Ich verspreche mir, dass mit ihm Amerika wieder moderner wird und wieder mehr dem jetzigen Zeitgeist entspricht. Mit dem rückwärtsgewandten Amerika der letzten Jahre konnte ich mich nicht identifizieren.“


Chris, 21, Student der Medienwirtschaft „Das T-Shirt hab ich mir von einem Freund aus den USA mitbringen lassen. Seit ich vor einigen Monaten Obamas Antrittsrede als Präsidentschaftskandidat auf Youtube gesehen habe, bin ich von ihm begeistert. Das war mein Obama-Moment. Seine Art, Politik rüberzubringen, finde ich super. Dafür haben wir in Deutschland leider nicht die richtigen Typen, bei den trägen Gestalten hier kann ich mir gerade nicht vorstellen, dass er vor der Siegessäule steht und ihm 200.000 Menschen zujubeln. Das ist eindeutig die wichtigste Wahl bisher in meinem Leben. Ich werde heute auf jeden Fall nicht ins Bett gehen, bevor es aus ist.“


Travis, 20, Sprachstudent aus Oklahoma Jane, 21, Sprachstudentin aus San Francisco Ginger, 23, Studentin der Animation aus Maryland Jane: „Ich bin erst seit fünf Monaten in Deutschland und wundere mich darüber, wie groß das Interesse hier an der US-Wahl ist. Jeder hat mich heute gefragt, ob ich schon gewählt habe. Und auch die Berichterstattung in den deutschen Medien hat mich überrascht, sie ist sehr liberal, aber das finde ich gerade gut. Ich schaue viel ZDF und ARD, lese deutsche Zeitungen und habe mich ansonsten übers Internet informiert. Ich hoffe, dass mich nach dieser Wahl nicht mehr jeder Europäer als allererstes fragt, wie ich Bush finde, ob ich Bush damals gewählt habe etc. Die Vorurteile, denen ich als Amerikanerin begegnet bin, habe ich als sehr hart empfunden. Obamas Wahl bedeutet für mich deshalb auch, dass ich mich selbst besser fühle. Jetzt bin ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich stolz darauf, Amerikanerin zu sein!“


Demjan, 23, Geschichtsstudent „Ich bin ein großer Amerika-Freund. Der American Way of Life, Hamburger, Klamotten aus den USA, der Traum, dass man vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann – das ist für mich alles positiv besetzt, an all das glaube ich. Was die Wahl angeht, bin ich sehr zwiegespalten. Global gesehen ist es sicherlich nötig, dass Probleme in der Welt wieder mit mehr Diplomatie, und nicht mehr mit Bomben gelöst werden. Und als Student denke ich, dass Obama die richtige Wahl ist. Allerdings komme ich ursprünglich aus der Ukraine, und als Ukrainer wäre McCain für mich besser, weil er eine konsequente Anti-Russland-Haltung einnimmt. Überraschend finde ich dieses Jahr, wie viele Leute sich plötzlich für Politik interessieren. Teilweise ist es sogar unehrlich. 2004, als das Debakel im Irak schon absehbar war, hat sich damals keiner einen Scheiss drum gekümmert. Es ist schade, dass es dafür erst so ein riesiges Medienspektakel braucht.“


Karsten, 22, Software-Entwickler „Eigentlich bin ich hier zum Feiern hergekommen und verfolge die Wahlentscheidung so nebenbei. Ich weiß auch nicht, inwiefern sich die Wahl wirklich auf Europa auswirkt. Was mich dieses Mal wirklich erstaunt hat, war wie groß die Medienpräsenz ist. Im Fernsehen, und vor allem im Internet, auf Twitter, Blogs, Facebook, Youtube, all diese Kanäle hat Obama schon sehr gut für sich genutzt. Auch dass man so viel über sein Privatleben erfahren hat, zum Beispiel welche Musik er gerne hört, fand ich sehr spannend. Ich hoffe, dass es mit der Wahl von Obama weltpolitisch bald ruhiger zugehen wird. Und, dass sich mein Amerikabild sich wieder zum Positiven wendet. In den letzten Jahren habe ich wohl das gedacht, was sich fast jeder Europäer gedacht hat: Dass die USA einerseits ein großes, tolles Land sind, und andererseits einfach wahnsinnig retarded.“


Corinna, 29, Politologie „An Amerika mag ich das Essen besonders. Je süßer und fettiger, desto besser. Ein bisschen bin ich deshalb auch wegen Popcorn und Hotdogs hier, aber natürlich auch wegen Obama. Diese Wahl war für mich, obwohl ich ja keine Amerikanerin bin, ein großes Ereignis. Wenn er nicht gewählt worden wäre, hätte ich allerdings meinen Glauben an die USA endgültig verloren. Jetzt kann es ja nur besser werden. Von Obama erhoffe ich mir, dass er besser mit Europa zusammenarbeiten wird, als Bush es getan hat. Natürlich spielt seine Hautfarbe eine große Rolle. Nach Sklaverei und sozialer Ausgrenzung ist es für mich wichtig, dass ein Schwarzer Präsident wird, wichtiger jedenfalls als dass zum ersten Mal eine Frau Präsidentin wird.“


Gary, 53, Marketing Manager aus Wisconsin „Ich wähle seit 34 Jahren und diese Wahl 2008 ist mit Abstand die mitreißendeste Wahl, die ich bisher erlebt habe. Amerika hat seine einstige Position verloren und seinen Ruf in der Welt ruiniert – jetzt brauchen wir jemanden, der das wieder zurechtbiegen kann. Es ist großartig, dass Obama die jungen Menschen wieder für Politik begeistert hat. Ich bin während des Vietnamkrieges aufgewachsen, wir waren damals eine politisch sehr engagierte Generation. Ich glaube, dass zurzeit eine ähnliche Stimmung herrscht, dass vielen jungen Menschen langsam klar wird, dass sich etwas ändern muss. Ich habe drei erwachsene Kinder, die studieren. Selbst meine Tochter, die lange republikanisch gewählt hat, hat dieses Jahr für Obama gestimmt. Es gab keine Alternative.“

Text: xifan-yang - und sascha-chaimowicz

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