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Das Lied gewordene Selfie

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Vielleicht hat Andreas Bourani mit „Auf uns“ den größten WM-Hit gelandet. Über 7 Millionen Abrufe bei Youtube, 1500 Radioplays pro Woche und natürlich: Offizieller WM-Song der ARD. Die Titelmelodie des Eröffnung- und des Endspiels für 30 Millionen Fernsehzuschauer macht den 30-jährigen Augsburger zum Star. Aber was geht da eigentlich genau mit „Auf uns“? Was ist das für ein Lied, das uns auf ewig im Zusammenhang mit dieser WM verfolgen wird? Was sagt es uns?

http://www.youtube.com/watch?v=k9EYjn5f_nE&feature=kp

Ein Rezept für einen Golf-vier-Cabrio-Kracher

Es ist zuerst der Song derer, die von einem Fußballspiel ungefähr das gleiche erwarten wie von einem Rockkonzert: Jubel, Rausch, Knutschen – „ein Feuerwerk aus Endorphinen.“
Sport? Super, solange „wir“ gewinnen. Die heroischen Hedonisten wollen ein „Leben ohne Reue“, was ein größenwahnsinniger Traum ist. Denn wer nie bereut, der hat nie etwas falsch gemacht – oder nie einen Fehler bemerkt.

Wer so schwarzrotgeil ist, der singt eben „Ein Hoch auf uns", nicht auf irgendjemand anderes. Subjekt und Objekt der Feierlichkeiten sind wir, wir zelebrieren uns. Wer auch immer das ist. „Auf uns“ ist ein Lied gewordenes Selfie. Und in der Karriere des Wortes Selfie steckt ebenso wie in dem Song fast alles, was in diesem Lande schief läuft: Selbstüberschätzung, Denkfaulheit, Oberflächlichkeit, Inszenierungszwang.  

Ich dachte bis kurz vor dem Finale, der Song wäre von Xavier Naidoo, so viel narzisstischer Pathos simmert im vernuschelten Text. "Sprich mal ordentlich", hätte mein in Russland halb taub geschossener Opa zu mir gesagt. Während der Text an den frommen Mannheimer erinnert, ist seine Darbietung eher Westernhagen, fast schon Grönemeyer: Ein kumpelhaftes Verschlucken der Konsonanten, ein Aufgeilen an eeeeee-heewich langen Vokalen, die dann doch preußisch abrupt abgeschnitten werden. Befreit die Wörter von der phonetischen und die Bürger von der politischen Korrektheit! In Deutschland wird endlich nicht mehr gelebt, sondern „geläääää-hämm“! Es wird nicht mehr geschunkelt, sondern wie im Video (Regie: Kim Frank) instragramesk durchgedreht. Schnappschüsse aus der ganzen Palette menschlicher Aggregatszustände, inklusive Kindern und Omas und Berlin und Homosexuellen mit Luftballons. Ekstase ja, aber in den gemütlichen Grenzen neo-bürgerlicher Fantasie. Darunter das treibende Schlagzeug, die Coldplay-Gitarren, das Kippen der Stimme ins Pharell-Falsett: So klingt postmoderne Marschmusik.  

Dieses Rezept reicht für einen Golf-Vier-Cabrio-Kracher, aber weltschlandberühmt wurde der Song erst als Soundtrack der WM, als musikalische Gleitcreme über schwitzigen Zeitlupenbildern zwischen Spiel und Beiwerk. So profan kann die Antwort auf Bouranis Frage „Wer friert uns diesen Moment ein?“ im Medienzeitalter lauten: Der gelangweilte Cutter vom SWR, wer sonst.  

WM-Songs sind wie radioaktiver Müll – sie vergehen nie ganz  

Das Lied passt zu einem Deutschland, das sich leidlich geil findet in diesem Sommer. Ohne die kindliche Freude am frischen Selbst wie 2006, dafür mit mehr Siegermentalität, mehr Rudel: „Hier geht jeder für jeden durchs Feuer. Im Regen stehen wir niemals allein.“ Lukas Podolski forderte schon vor der WM: "Es muss wieder heißen: Wow, die Deutschen sind da!", und ja, er ist ein Kind polnischer Einwanderer, „ausgerechnet!“, will man ausrufen. Aber interessieren diese historisch wohlfeilen Ermahnungen noch, die Metaebene, der ganze alte Deutschland-Blues, wenn wir Brasilien schwindlig spielen, Weltmeister werden und danach den neuen deutschen Schlager singen? Muss das stets präsent sein?  

„Macht euch mal locker!“ möchte ich ihnen zurufen, und zwar allen. Den Skeptikern, damit sie feiern und Spaß in und an Deutschland haben können, ohne immer gleich den Mann mit dem Schnauzbart hinter jedem Fan lauern zu sehen, ohne jede Gefühlsäußerung ironisch wegätzen zu müssen. Spaß an Deutschland ist heute vielleicht wichtiger denn je, während man sich fragt, ob man eigentlich in einem Land wohnt oder in einer sehr großen Geheimdienstfiliale, ob die Verfassung, auf die manche Patrioten stolz sind, überhaupt etwas wert ist.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Denkt an die Tage, die hinter uns liegen. Wie lang wir Freude und Tränen schon teilen", singt Bourani. Warum immer dieser Pathos?

Aber locker machen sollten sich auch die Hurra-Fans, oder besser: frei von dem Pathos-Ballast. Damit sie endlich mal fröhlich besoffen eskalieren können bis zum nächsten Morgen, und zwar ohne diese ewig verkrampfte Tränendrüsendrückerei, die Bourani herbeisingt: „Denkt an die Tage, die hinter uns liegen. Wie lang wir Freude und Tränen schon teilen.“ Warum können wir nicht einfach hüpfen und tanzen? Warum sind wir dafür immer zu schwer? Ein Beispiel am Gastgeber sollten wir uns nehmen (rein musikalisch)! Oder hat man jemals Pathos in einem Samba gehört?  

WM-Songs haben eine gewisse Halbwertszeit, und ausnahmsweise trifft dieser Ausdruck: Wie radioaktiver Müll vergehen sie nie ganz. Wird „Auf uns" weiter strahlen, bis der letzte der WM-Helden seine Karriere beendet hat? So wie Gianna Nanninis „Un´estate italiana“, der Italo-Schmalz zur WM 1990, bei dem es Weltmeister Klaus Augenthaler heute noch die Härchen aufstellt?

Oder wird Bourani im Archiv der Plastikmusik vor sich hin glühen wie die meisten anderen offiziellen Songs, wie Shakiras „Waka Waka“ (2010) oder Bob Sinclairs „Love Generation“ (2006)? Oder ist das egal, weil jeder Erinnerungstrigger, jeder blaue Fleck und jede Narbe oka sind, wenn nur die Erinnerung schön genug ist? Ohren zu und durch?  

Ja, verdammt, eine Stunde nachdem Götze (Götze!) das Siegtor schoss, hing auch ich in wildfremden Armen, Bourani schallte durch die Nacht und ich dachte: „Ein Feuerwerk aus Endorphinen!“, was für eine furchtbare Metapher. Dann aber fiel mir jemand im Trikot um den Hals, und es war egal. Weltmeister wird man nicht oft, und ich liebe dieses Spiel viel zu sehr, um es mir von dieser Musik verleiden zu lassen. Ein Hoch auf uns. 


Text: friedemann-karig - Bild: dpa

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