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David ist bestens in Deutschland integriert. Aber jetzt soll er gehen

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David Mamunz mag das Wort „Integration“ nicht mehr hören. Der 18-Jährige sitzt auf seinem Bett, zieht die Schultern hoch: „Was ist das, Integration? Soll ich meine Augen blau und meine Haare blond färben, damit ich hier bleiben darf?“ Vor vier Jahren ist David von Armenien über Russland nach Deutschland gekommen. Er lebt in Nürnberg, hat dort seinen Quali gemacht und trainiert täglich beim Fußballverein FC Feucht. David ist Abwehrspieler, spricht deutsch, hat ein lupenreines polizeiliches Führungszeugnis. „Trotzdem soll ich raus aus Deutschland“, sagt David. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, seine Duldung läuft in einem Monat aus. Jederzeit kann David nach Armenien abgeschoben werden. Ohne Pass, ohne Geld, ohne Familie.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als David nach Deutschland kam, war er ein sogenannter „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“. Seine Eltern wurden im Krieg zwischen Armenien und Aserbeidschan getötet. Da war David ungefähr drei Jahre alt. Genauer kann er sein damaliges Alter nicht angeben, denn sein exaktes Geburtsdatum kennt David nicht. Eine ältere Frau nahm ihn bei sich auf, wurde seine Pflegeoma. Nach ihrem Tod zog David zu ihrem Sohn nach Russland. Ein halbes Jahr lebte er dort, war unglücklich. Dann stieg David zu Unbekannten ins Auto. Ziel: Deutschland. In Nürnberg wurde er bei der so genannten Clearingstelle abgeladen, eine Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Danach lebte David im SOS-Kinderdorf, als er zu alt wurde, in einer Wohnung, die das Jugendamt bezahlte und wo sich sein Betreuer weiter um ihn kümmerte. An seinem 18. Geburtstag kurz nach Weihnachten hätte er morgens um zehn Uhr im Asylbewerberheim einziehen müssen. „Wenn du dir mit fünf erwachsenen Männern das Zimmer teilst, kannst du nicht in Ruhe schlafen – und kommst am nächsten Morgen übermüdet in die Schule.“ Aber er durfte bei einer Familie einziehen, bekam ein eigenes Zimmer, kostenlos. Für mehr als das Bett, einen kleinen Schrank, Regal und Beistelltisch ist kein Platz in dem Zimmer. Es ist aufgeräumt, alles gestapelt und sortiert. Sauberkeit, Pünktlichkeit und Disziplin – das sind Eigenschaften, die David an den Deutschen mag. „Das passt zu mir, das ist meine Welt. Ich habe viel Disziplin, ich trainiere seit vier Jahren täglich mehrere Stunden Fußball, spiele in der zweiten Liga meiner Altersklasse. Wenn ich keine Disziplin, keinen Willen hätte, dann wäre ich nicht so weit.“ In Deutschland hat David die Chance bekommen, Sport zu treiben und einen Schulabschluss zu machen. Dafür ist er dankbar. Trotzdem nervt ihn, wie schnell manche über ihn urteilen: „Es gibt welche, die sagen, ich liege auf ihrer Tasche, lebe von ihrem Geld. Das ist Quatsch. Ich kriege vom Arbeitsamt gar nichts. Alles Geld, das ich habe, sind Spenden, die ich über das SOS-Kinderdorf bekomme.“ Außerdem würde David gern arbeiten, eine Lehrstelle annehmen, selbst Geld verdienen, am liebsten als Zimmermann. „Ich gehöre nicht zu den Typen, die einfach zu Hause sitzen, nichts tun und genießen, dass sie in Deutschland sind. Ich möchte auch was machen, was arbeiten.“ Darf er aber nicht – keine Arbeitserlaubnis. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bekommen meist keinen Ausbildungsplatz, können kein Konto eröffnen, werden oft von der Polizei kontrolliert und leben mit der ständigen Angst, abgeschoben zu werden. „Diese Situation ist für die Jugendlichen sehr belastend“, sagt Albert Riedelsheimer, Sprecher des Bundesfachverbandes für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge. Laut Schätzungen des Verbandes sind im vergangenen Jahr etwa 500 Kinder und Jugendliche, die unter 16 Jahre alt waren, ohne Begleitung nach Deutschland gekommen. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge haben 331 minderjährige Flüchtlinge im vergangenen Jahr einen Asylantrag gestellt. Sie beantragen damit Schutz vor einer Abschiebung in einen Staat, in dem sie wegen ihrer Rasse, Religion oder ihrer politischen Überzeugung bedroht sind. Wie viele Flüchtlinge tatsächlich dauerhaft in Deutschland bleiben dürfen, ist in der Statistik nicht aufgeführt. „Man hat sehr geringe Chancen“, sagt Albert Riedelsheimer, „über 90 Prozent der Anträge werden abgelehnt.“ David weiß nicht, von was er in Armenien leben soll, hat Angst vor Gewalt und Gefängnis. „Vielleicht muss ich in den Knast, zur Strafe. Denn in Armenien beginnt die Armeepflicht mit 18, und wenn ich nach Armenien komme, bin ich schon ein halbes Jahr älter.“ Zu den Albträumen nachts kommt die Frustration. Weil seine Leistungsbereitschaft, sein Integrationswille, nicht honoriert werden. „Ich hab einfach alles versucht. Ich bin zur Schule gegangen, habe nie gefehlt, meinen Quali gemacht und mit einer zwei bestanden“, sagt David. Irgendwo hat er gehört, dass Profifußballer ab der zweiten Bundesliga in Deutschland bleiben dürfen. Deswegen das verbissene Training. „Ich habe auch Deutsch gelernt, aber beim Ausländeramt hat mich keiner gefragt, wie gut ich Deutsch kann.“ David schüttelt wieder den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, damit jemand sagen kann: Der ist perfekt integriert und darf bleiben.“ Foto: Kathrin Ruther

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