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Der geerbte Krieg: Wie junge Türken und Kurden mit dem Konflikt in ihrer Heimat umgehen

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„Ich bin ein Glückspilz“, sagt Berfin. „Ich bin in Deutschland geboren und zur Schule gegangen. Ich spreche Türkisch und habe einen türkischen Pass. Aber in meinen Adern fließt kurdisches Blut. Es gibt mehr als nur eine Richtung in meinem Leben.“ Die Vielfalt, von der die 20-Jährige schwärmt, können nicht alle jungen Türken und Kurden in Deutschland so positiv sehen. Schon gar nicht, wenn es politisch wird. Seit einigen Wochen, seit der türkisch-kurdische Konflikt an der Grenze zum Irak wieder aufgeflammt ist, müssen sie ständig Auskunft geben. Erst vor ein paar Tagen wurde Berfin von einem Fernsehteam interviewt. „Ich hatte meinen Eltern eigentlich versprochen, so was nicht zu machen“, sagt sie. Glücklicherweise schauen die Eltern kein deutsches Fernsehn.

Nach den Spannungen an der Grenze der Türkei zum Irak, bei denen türkische Armeeeinheiten mit kurdischen Freischärlern zusanmmenstießen, kam es in Deutschland zu etlichen Demonstrationen - von beiden Seiten. Auf dieser pro-türkischen Kundgebung in Nürnberg halten Demonstranten ein Schild hoch, auf dem zu lesen steht: "Jeder Türke wird als Soldat geboren - wenn wir zusammenhalten, können wir die PKK auslöschen." Bild: dpa Nur wenige junge Türken und Kurden möchten sich öffentlich und unter ihrem wahren Namen zum Konflikt äußern. Es ist schon schwierig genug, überhaupt eine Meinung zu haben. Als die jetzt 20-Jährigen geboren wurden – in Deutschland oder in der Türkei – hatte der türkisch-kurdische Konflikt schon eine jahrzehntelange Geschichte. Als die „kurdische Frage“ in Deutschland zum letzten Mal eskalierte und Radikale sich auf Autobahnen selbst verbrannten, gingen sie zur Grundschule. Jetzt sind sie erwachsen und haben etwas geerbt, das viele auch „Krieg“ nennen. Der Krieg findet gleichzeitig mehrere tausend Kilometer entfernt in der Türkei und in Deutschland vor ihrer Haustür statt. Was sie vom Krieg wissen, beruht größtenteils auf Hörensagen und nur selten auf Selbsterlebtem. „Aber man kann sich nicht raushalten“, stellt der 24jährige Kurde Hüseyin fest. Er scheint es zu bedauern. Die Kurdin Berfin ist gerade aus Stade bei Hamburg nach Berlin gezogen, um zu studieren. Sie hat sich gefreut, dass im Fach „Geschichte des vorderen Orients“ ständig von Kurdistan die Rede ist, aber erst in der jüngsten Geschichte von der Türkei. „Es ist historisch belegt, dass die Kurden schon viel länger in diesem Gebiet gelebt haben. Für mich und viele andere zählen die türkischen, syrischen, iranischen und irakischen Staatsgrenzen nicht, sondern die Grenzen von Kurdistan.“ Irgendwann will sie mit ihren türkischen Freundinnen aus Stade darüber reden. „In unserem Wohngebiet lebten Türken und Kurden ohne Anfeindungen zusammen“, erzählt sie. „Wir haben den Konflikt im Alltag nie in den Vordergrund gestellt. Erst, wenn die Frage aufkommt, wer Schuld an der Geschichte hat, kommen Nationalgefühle hoch und es gibt Diskussionen.“ Vor kurzem war Berfin auf einer kurdischen Demonstration in Kreuzberg, eine Woche nach der türkischen Demo Ende Oktober, die in gewalttätigen Übergriffen endete. „Da sind ganz schön viele Deppen dabei“, sagt sie über beide Konfliktparteien. „Manche Jugendliche haben einmal von einem Türken oder von einem Kurden eins auf die Fresse bekommen, und deshalb werden sie dann radikal.“ Ihr Bekannter Serhat hat sich auf der Demo mit einem Polizisten unterhalten. „Der hat mir erzählt: Die Jungs, die sie dort festnehmen, haben einfach keine Bildung und keine Perspektive. Das sind meistens Mitläufer.“ Es sind die gleichen Dinge, die sonst über junge Rechtsextreme in Ostdeutschland gesagt werden. Einen anderen Vergleich stellt der 20jährige Ali an, dessen Vater Türke ist. „Es ist wie am 1. Mai: Da kommt an einem Tag der ganze Frust raus. Viele Jungs, die bei der türkischen Demo auf Kurden losgegangen sind, kenne ich aus der Schulzeit. Das sind eigentlich ganz normale, nette Jungs. Und in der Schule und in der Moschee sind die auch mit Kurden befreundet.“ Bilge war früher eine von den „Deppen“. Auf der türkischen Seite. „Mit 15, 16 war ich auch sehr stolz auf mein Herkunftsland und hatte Vorurteile gegenüber Kurden“, erzählt sie. „Auf meinem Gymnasium gab es die „Grauen Wölfe“ auf der einen Seite und die kurdischen Nationalisten auf der anderen. Alle waren radikal, und ich eben auch.“ Die 22-Jährige hat eine Vorstellung davon, wie Nationalismus entsteht. „Die Dreizehnjährigen, die sich auf Demos prügeln und sich hinter türkischen Fahnen oder PKK-Fahnen verstecken, wollen einfach Teil einer Bewegung sein.“ Sie zitiert eine Szene aus dem Film „Fight Club“: „Da sagt Tyler Durden: Was wir erleben, ist nicht die wirtschaftliche Große Depression wie damals. Unsere Depression ist die Suche nach unserer Identität.“ Und genau das sei für viele Jugendliche mit Migrationshintergrund der Fall. „Die Deutschen fragen: Wo kommst du her? Schlagen dich deine Eltern? Die Türken fragen: Warum trägst du kein Kopftuch? Ständig muss man sich rechtfertigen, das ist echt ermüdend.“ Bilge findet, dass kurdische und türkische Jugendliche dieses Problem teilen. „Hier in Deutschland geht es gar nicht wirklich um den Türken-Kurden-Konflikt. Die Leute suchen einfach nur verzweifelt nach ihrer Identität. Die Hoffnung auf den Platz in der deutschen Gesellschaft haben sie verloren. Und das Einzige, was ihnen sicher scheint, ist das Wissen: Ich bin Türke. Oder: Ich bin Kurde.“ Heute schäme sie sich etwas für ihre frühere Einstellung, sagt sie. Sie mache keinen Unterschied mehr zwischen Türken und Kurden, Sunniten und Aleviten, Juden oder Christen. Und sie wünsche sich, dass Kurden und Türken mal gemeinsam für den Frieden demonstrieren – aber das wolle bisher niemand organisieren. Eine „Identitätskrise“, wie sie sie erlebt habe, sei aber auch normal. Nur wenige Jugendliche haben kein Problem damit, „zwischen den Stühlen zu sitzen“. Oder sie schaffen sich ihre eigene Kategorie; so wie Ali, der sich mit einem Grinsen als „Weltbürger“ bezeichnet. Hüseyin sagt, er empfinde es inzwischen als „Angriff“, auf seine Identität als Kurde reduziert zu werden. „Wenn man mit kurdischen Wurzeln in der Türkei geboren wird, hat man sowieso so etwas wie eine „Multiidentität“. Bei mir kam durch Umzüge noch eine deutsche und eine schweizer Identität dazu.“ Oft, aber nicht immer, macht Nationalbewusstsein Freundschaften unmöglich. Berfins beste Freundin, eine Türkin, sympathisiert mit den „Grauen Wölfen“. Gestritten haben sie sich deswegen bisher nicht. Ein Mal hat Berfin ihr Fragen über die türkische Geschichte und die Grundgedanken des Kemalismus gestellt. „Sie wusste überhaupt nichts darüber. Ich habe dann nicht weitergefragt.“ Für den Kurden Serhat ist das undenkbar. Seine Geschichte ist anders, der kurdisch-türkische Konflikt ist für ihn keine abstrakte Legende. Er hat, bis er achtzehn war, in der Türkei gelebt und für eine pro-kurdische Zeitung gearbeitet. Dafür musste er ein Jahr im Gefängnis sitzen. Viele seiner Freunde wurden für ihre Arbeit umgebracht, erzählt er. Er selbst ist abgehauen. Jetzt ist er 25, studiert und organisiert kurdische Kulturveranstaltungen. „Es war nicht einfach, mich hier in Deutschland mit Türken anzufreunden“, sagt er. „Viele reagieren komisch, wenn ich sage, dass ich Kurde bin. Aber ich kann es nicht verschweigen. Ich kann mit Deutschen befreundet sein, ohne politisch zu werden. Aber nicht mit Türken. Ich kann den Unterschied nicht übersehen. Ich kann viele Sachen nicht vergessen.“

Der Konflikt verschärft den türkischen wie den kurdischen Nationalismus - hier ein Graffiti in Berlin. Bild: kathrin-hagemann Über die Lage in der Konfliktregion haben alle jungen Türken und Kurden viel zu sagen. „Brüderlich und schwesterlich zusammenleben“ sollte Türken und Kurden, findet die Türkin Bilge. Natürlich innerhalb des türkischen Staates. Die Kurdin Berfin dagegen zitiert die Plakate der türkischen Regierung, auf denen von genau dieser Brüderlichkeit die Rede ist, als die blanke Scheinheiligkeit. Sie und Serhat erzählen von 29 kurdischen Aufständen in 80 Jahren, von türkischen Foltergefängnissen mit 20 unterirdischen Stockwerken. Bilge dagegen sagt: „Eine Regierung kann sich nicht mit Guerillakämpfern an einen Tisch setzen.“ Sie verweist auf die Gesetze, die im Zuge der türkischen EU-Beitrittsbemühungen die Lebensbedingungen der Kurden verbessert hätten. „Die EU kann nicht zur Türkei sagen, löst mal schnell die Kurdenfrage“, findet Berfin. Das sei zu einfach. Die Perspektiven klingen kaum vereinbar. Dafür stellen alle fünf fest: Ihre politische Position ist maßgeblich von der ihrer Eltern bestimmt. Schon das Bewusstsein über diesen Zusammenhang könnte helfen, damit nicht noch viele weitere Generationen den Krieg erben müssen.

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