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"Der Patriotismus ist viel stärker ausgeprägt als in Deutschland"

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Griechenland droht ein Staatsbankrott. Die Staatsschulden sind enorm und die Regierung hat mittlerweile ernste Probleme, sich mit Anleihen neues Geld auf den Finanzmärkten zu beschaffen. Um den Bankrott zu verhindern, überlegt die Europäische Union einzugreifen und den griechischen Staat mit Milliarden von Euro zu unterstützen. Das wiederum aber würde andere Länder dazu ermuntern, riskanter zu wirtschaften. Am vergangenen Montag war auf dem Titel des Magazins Focus eine Venus von Milo zu sehen, die den Stinkefinger zeigt. Darunter stand: "Betrüger in der Euro-Familie - Bringt uns Griechenland um unser Geld?" Einen Tag später konterte die konservative griechische Tageszeitung Eleftheros Typos mit einem Bild, das die Viktoria auf der Berliner Siegessäule mit Hakenkreuz zeigt. Der griechische Verbraucherverband Inka hat sogar zu einem Boykott "aller deutschen Produkte und Geschäfte" aufgerufen. Außerdem heißt es: Die Entschädigungszahlungen der Deutschen für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg seien nicht vollständig geklärt. Moritz Pöhlmann ist Schülersprecher an der Deutschen Schule in Athen. Hier erzählt er, wie es einem als Deutscher in Griechenland gerade geht:

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„Es gibt hier an der Deutschen Schule zwei Abteilungen – eine für Deutsche und eine für Griechen. Das liegt daran, dass in Griechenland nicht so einfach das deutsche Abitur anerkannt wird. Deswegen bleiben Deutsche und Griechen eher unter sich. Alles in allem aber ähneln sich die Meinungen: Die meisten von uns hat der Focus-Artikel schockiert. Viele haben sich darüber aufgeregt. Aber natürlich stecken wir hier als Deutsche in Athen in einer Zwickmühle. Meine Eltern sind zwar Deutsche aber ich fühle mich nicht als solcher, denn ich lebe seit etwa zehn Jahren nicht mehr in Deutschland und ich kann die Griechen auch gut verstehen. Niemand bestreitet, dass die Regierung in den letzten Jahren viel Mist gebaut hat. In Griechenland ist die Korruption wirklich weit verbreitet. Will man den Führerschein bestehen, gibt man dem Fahrlehrer ein Kuvert mit 200 Euro. Ohne ein solches Kuvert muss man schon perfekt Autofahren können, um zu bestehen. Rechnungen werden häufig nicht ausgestellt oder für das Finanzamt niedriger deklariert, als man tatsächlich zahlen muss. Wird man nach einem Unfall ins Krankenhaus gebracht, muss man sofort zahlen oder es dauert eben sehr lange, bis man behandelt wird. Das klingt jetzt alles sehr schlimm, aber man darf nicht vergessen, dass die Griechen selbst die Dinge lockerer sehen. Man arrangiert sich eben und irgendwie klappt es schon.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Moritz Deswegen fühlen sich die Griechen durch die deutsche Berichterstattung angegriffen. Der Patriotismus ist viel stärker ausgeprägt als zum Beispiel in Deutschland. So ein Titelbild wie das des Focus, auf dem die Venus von Milo den Stinkefinger zeigt, verletzt ihre nationalen Gefühle. Die Deutschen empfinden sie hier als besserwisserisch. Viele Schüler hier wollen nun Leserbriefe schreiben, manche auch als geschlossene Klasse. Insgesamt aber wirkt sich der Streit nicht so sehr auf meinen Alltag aus. Ich glaube, alles in allem ist das deutsch-griechische Verhältnis doch positiv. Ich bin der Meinung, man hätte das alles nicht so ernst nehmen sollen. Dem Focus kann man ja auch nicht verbieten, was er schreibt, auch wenn es dummes Zeug war. Aber wenn man die Sache hier nicht aufgeblasen hätte, wäre es schon längst wieder vergessen.“

Text: philipp-mattheis - Fotos: dpa, privat

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