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"Der Premierminister wird einknicken"

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"Wir werden mit unseren Protesten nicht nachlassen": Thalia Breton kämpft gegen zwei Jahre Probezeit im ersten Job. (Foto: florian-kaindl) Das Hauptgebäude der UNEF (Union Nationale des Etudiants de France) ist unauffällig: Ein schmales Haus mit grauer Außenfassade, von der Putz in großen Stücken bröckelt. Von hier aus koordiniert Frankreichs größte Studentengewerkschaft mit knapp 20.000 Mitgliedern ihre Aktionen. In erster Linie gegen den umstrittenen Arbeitsvertrag CPE. In dem steht: Jugendliche unter 26 Jahren sollen in ihrem ersten Job künftig zwei Jahre auf Probe arbeiten. Inmitten von Paletten mit eingerollten Transparenten und Kopierern steht Thalia Breton, 20, und bindet dicke Bündel aus Flugblättern zusammen. Für das Wochenende sind weitere Kundgebungen gegen den CPE geplant. Thalia ist Vorsitzende der UNEF an der Fakultät für Wirtschaft und Recht in Paris. jetzt.de: Eigentlich müsste man dem Premierminister doch dankbar sein. Thalia: Warum? Das verstehe ich nicht. Er hat mit dem CPE ein Thema geschaffen, das Generationen verbindet. Alt und Jung diskutieren auf der Straße, es findet ein lebhafter Austausch statt. Das ist aber kein Verdienst des Premierministers! Mit ihm gibt es nach wie vor keinen Dialog. In Bezug auf den CPE hat er weder die Gewerkschaften, die Tarifpartner noch uns nach der Meinung gefragt. Dabei sind wir Jugendlichen am meisten davon betroffen. Statt mit uns zu reden oder an die Universitäten zu kommen, hetzt die Regierung uns Spezialeinheiten der Polizei auf den Hals. Die Einsicht, den CPE jetzt noch um einige Vorschläge zu erweitern, kommt reichlich spät. Nachbesserungen, wie die Tatsache, dass Jugendliche nach der Kündigung noch drei Monate Gehalt beziehen sollen, reichen uns jedenfalls nicht. Hat der Premierminister die Jugend unterschätzt? Absolut, er hat gewaltig unterschätzt, welche Wut sein Handeln auslösen würde. Wir hatten innerhalb von drei Wochen 15 Universitäten mobilisiert. Mittlerweile dürften es über 50 sein, der Protest greift auch großflächig auf die Schulen über. Es gibt unter den Jugendlichen eine große Bereitschaft, gegen ungerechte Maßnahmen wie den CPE zu rebellieren. Ist der CPE also nicht eine "notwendige Maßnahme, um die Arbeitschancen von benachteiligten Jugendlichen aus den Banlieues zu verbessern"? Mit dieser Aussage will der Premierminister einen Keil zwischen die Jugendlichen treiben. Er will uns privilegierten Studenten ein schlechtes Gewissen einreden, weil wir anderen, die es schwerer haben, die Chancen verbauen würden. Das stimmt aber nicht, wir protestieren auch im Namen der benachteiligten Jugendlichen aus den Banlieues. Ich sehe auch nicht, wo in einem Vertrag, der zwei Jahre lang jeden Tag einfach so gekündigt werden kann, eine Chance liegen soll. Außerdem soll der CPE für alle Jugendlichen unter 26 Jahren angewandt werden, ob sie nun aus dem Banlieue kommen oder nicht. Wo müsste man anfangen, um das Problem der Jugendarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen? Gerade, wenn es um die Banlieues geht, reicht es nicht, ein undurchdachtes Gesetz auf den Tisch zu bringen. Man muss zur Wurzel des Übels vordringen, zum Beispiel in der Schule anfangen, da treten Probleme der Integration ja erstmalig auf. Langfristig muss die Regierung die Ausgaben im Bildungssektor erhöhen und tragfähige Konzepte erarbeiten. Dominique de Villepin hat Schule und Bildung ja zu seinen Prioritäten erklärt und ich will ihm auch den guten Willen nicht absprechen - aber in diesem Zusammenhang wirkt der CPE wie ein Schlag ins Gesicht. Glaubst du, die politische Linke hat bessere Konzepte? Das kann ich nicht sagen. Meine Organisation, die UNEF, bemüht sich, unabhängig von politischen Parteien zu bleiben. Wir wollen der jeweiligen Regierung lediglich sachlich ihre Fehler aufzeigen. Die jetzigen Probleme mit einer rechten Regierung bedeuten nicht zwingend, dass es mit der Sozialistischen Partei besser laufen würde. In der Vergangenheit hat es ja auch mit eher konservativen Politikern funktioniert. Wir werfen uns jedenfalls nicht in die Arme von linken Politikern; im Wesentlichen greifen die sowieso nur unsere Argumente wieder auf. In den Medien wird momentan häufig an die französischen Studentenproteste aus dem Jahr 1968 erinnert. Auch da wurde die Sorbonne von Studenten besetzt. Denkst du, man kann die heutige Bewegung damit vergleichen? Es ist schön, wenn die Medien ein solches Protestbewusstsein heraufbeschwören. Allerdings sind das völlig verschiedene Dimensionen. 1968 wurde so der Sturz einer Regierung eingeleitet. Davon kann bei uns, weder als konkretes Ziel noch als Wunschtraum, nicht die Rede sein. Natürlich fühlt sich das toll an, wenn sich große Teile der Bevölkerung auf der Straße versammeln und für dieselbe Sache kämpfen; wenn sogar einzelne Uni-Rektoren und ältere Passanten für uns Partei ergreifen. In unserem Fall geht es aber wirklich nur um die Rücknahme des CPE, alles andere, eine wahrhaftige Revolution etwa, wäre utopisch. Hast du denn Verständnis für lernwillige Studenten, die sich über blockierte Unis beschweren? Ich kann ihre Probleme verstehen. Aber mehr, als sie auf Vollversammlungen zu verweisen, kann ich auch nicht tun. Da wird ihnen das Wort nicht abgeschnitten, sie können ihre Argumente frei vorbringen. Wenn allerdings die Mehrheit der Studenten für eine Blockade oder einen Streik stimmt, müssen sie sich beugen. Das ist Demokratie. Gesetzt den Fall, der Premierminister würde die UNEF zu Gesprächen über den CPE einladen: Würdest du hingehen? Nein. Über den CPE reden wir nicht. Solange dieses Gesetz noch im Raum steht, ist eine Verhandlungsbasis nicht gegeben. Hand aufs Herz: Glaubst du wirklich, der Premierminister knickt ein, und der CPE wird eingestampft? Ich bin davon überzeugt, ja. Wir werden jedenfalls die nächsten Wochen nicht nachlassen, was unsere Protestaktionen betrifft. Sollte der CPE allerdings bestehen bleiben, hätte ich für längere Zeit große Probleme, morgens aufzustehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Protestierende Studentin in Marseilles, Foto: Reuters Mehr zu den Studentenprotesten in Frankreich gibt es in einer Reportage auf jetzt.de und auf sueddeutsche.de

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