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Der schuldbewusste Hundeblick

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Wenn ich Freitag nachts um zwei im Club beschließe, nach Hause zu gehen, weil meine Woche zu anstrengend war und ich nur noch ins Bett will, entschuldige ich mich bei meinen Freunden mit „Tut mir wirklich leid, aber ich bin echt total müde....“. Ist das denn angebracht? Habe ich einen Fehler gemacht? Nein. Jeder, der mal eine schlimme Woche hatte, sollte das verstehen.



Wenn ich auf der Straße mit jemandem zusammenstoße, entschuldige ich mich automatisch und fast reflexartig. Später fällt mir auf: Das war ja nicht mal mein Fehler. Ich entschuldige mich zu oft. Und das meistens in Situationen, in denen das gar nicht erforderlich ist. Im Restaurant ist es ähnlich, wenn mir zum Beispiel eine schmutzige Gabel hingelegt wurde. „Entschuldigung, ich habe eine dreckige Gabel bekommen. Könnte ich vielleicht eine neue haben?“ Auch hier bin ich ja eigentlich gar nicht Schuld daran.

Auch bei anderen beobachte ich diese Angewohnheit. Wenn eine Freundin unzählige Schuhpaare im Laden anprobiert, alle aber nicht passen oder gefallen und die Verkäuferin räumt sie wieder auf, entschuldigt sie sich bei ihr für das Chaos und die Umstände. Dabei wird die Verkäuferin doch dafür bezahlt.

Wann also ist es angebracht sich zu entschuldigen? Die Frage sollte man sich vorher stellen. Wenn ich jemandem aus Versehen auf den Fuß trete? Ja. Wenn ich mich verletzte und meine Freundin um das letzte Pflaster in ihrer Handtasche bitten muss: Nein.
Doch wenn mein Chef mich auf jeden kleinen Fehler hinweist, ist das schon schwieriger. Muss ich dann immer den schuldbewussten Hundeblick aufsetzen und beteuern, dass mir das echt leid tut? Manchmal ist es schwer, die Grenze zu finden, ob eine Entschuldigung angebracht oder völlig überflüssig ist.

Oft wirkt das Um-Entschuldigung-Bitten irgendwie antrainiert. Das Wort „Sorry“ ist dann wie eine Art Anhängsel, das man unbewusst benutzt. Vielleicht weil das Wort so wunderbar kurz ist? Die Frage ist, was man damit bezwecken möchte, wenn man sich ständig entschuldigt. Die meisten möchten wahrscheinlich Konfliktsituationen aus dem Weg gehen und hoffen, damit auf einfache Weise das Problem aus der Welt zu schaffen. Oder wollen einfach nicht für etwas verantwortlich sein. Für andere kann das inflationäre Entschuldigen aber auch nervig und anstrengend werden. Sie können irgendwann gar nicht mehr so richtig einschätzen, ob das ernst gemeint ist, oder nicht. Vielleicht denken sie auch, man müsste diejenigen dann in Watte packen und ständig versichern, dass das keinesfalls ihre Schuld ist. Auch hier gilt: weniger ist mehr. Passiert mal ein wirklich gravierender Fehler, weiß der andere bei dem „Tut mir echt leid...“ sonst vielleicht gar nicht mehr, ob das wirklich so gemeint ist. Eine höfliche, sachliche Entschuldigung kann wertvoll und wirksam sein, wenn man sie nicht zu oft ausspricht.

Wenn ich mich das nächste Mal von meinen Freunden beim Weggehen verabschiede, weil das Bett ruft, werde ich das mal ohne Entschuldigung probieren. Sicher wird da keiner beleidigt sein.


Text: laurie-hilbig - Bild: una.knipsolina / photocase.com

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