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Die Geburtsstunde eines neuen Grundrechts? Volker Beck über die Entscheidung zur Online-Durchsuchung

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Herr Beck, wie schätzen Sie den Beschluss von heute ein? Natürlich hätten wir uns noch mehr gefreut, wenn das Bundesverfassungsgericht ganz nein gesagt hätte. Dennoch handelt es sich bei dem Beschluss fast um ein Totalverbot von Online-Durchsuchungen. Das ist schon epochemachend, da dieser Beschluss die Geburtsstunde eines neuen Grundrechts war.

Was für ein neues Grundrecht denn? Das Grundrecht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Das hört sich etwas sperrig an, man kann es fies abkürzen mit „V“-Grundrecht. Das ist der kleine Bruder des in der Verfassung auch noch nicht stehenden Grundrechts auf informationelle Selbsbestimmung. Damit hat das Bundesverfassungsgericht klare Dämme gegen den von Schäuble geträumten Präventivstaat aufgerichtet. Das ist strategisch wichtig und zweitens sollte man sich politisch merken, dass dieses Urteil notwendig geworden ist, weil ein liberaler Innenminister in NRW verfassungsrechtlich über die Strenge geschlagen hat. Die FDP hat heute als Bürgerrechtspartei ihren Offenbarungseid geleistet. Wie wird dieses Grundrecht, wie Sie es nennen, unsere Gesellschaft konkret beeinflussen? Vor allen Dingen wird der Beschluss für die politische Auseinandersetzung in der Sicherheitspolitik eine zentrale Bedeutung haben. Der gegenwärtige Paradigmenwechsel, der in der Innenpolitik von Wolfgang Schäuble angelegt ist, nämlich alle Bürger wie Verdächtige zu behandeln und überall staatliche Eingriffe präventiv in die Grundrechte zuzulassen aus den Gründen der terroristischen Bedrohung, dem wird heute eine klare Absage erteilt. Auch im Kampf gegen den Terrorismus muss Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden. Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger müssen respektiert werden von der Innenpolitik. Das Online-Durchsuchungs-Gesetz in NRW galt als Instrument der Verbrechensbekämpfung. Wovor hatten Sie denn Angst? Auch der Verdächtige ist Grundrechtsträger und es gibt Grenzen, wo der Staat eindringen kann. Die Grenzen sind der private Bereich. Wir müssen einfach sehen, dass der Laptop oder der Computer zu Hause eben nicht nur eine Schreibmaschine und ein Telekommunikationsmittel ist, sondern es werden hier unsere intimsten Daten in Form von Tagebüchern, Briefen, Mails oder Fotos aufbewahrt. Dieser private Bereich bedarf einfach eines besonderen Schutzes. Und es darf nicht online erlaubt sein, was offline selbstverständlich verboten ist. Offline, also in der wirklichen, nicht-elektronischen Welt, müssen sie bei einer Hausdurchsuchung auch einen richterlichen Beschluss haben. Und sie haben bei einer Hausdurchsuchung trotzdem das Recht, dabeizusein und zu sehen, was jemand beschlagnahmt oder anschaut. Auch in diesem Fall ist es nicht zulässig, dass man in die aller privatesten Dinge von Seiten der Ermittlungsbehörden eindringt. Das Private könnte man technisch bei der Online-Durchsuchung faktisch gar nicht beiseite lassen. Schwingt bei dieser Angst, der Staat könnte dem Bürger über den Gartenzaun ins Wohnzimmer gaffen, nicht auch eine etwas spießig-kleinbürgerliche Attitüde mit? Also der Spießer sagt doch: „Ich habe nichts zu verbergen“ und ist in der Regel nicht derjenige, der sich seiner Privatheit und seiner Rechte besonders bewusst ist. Diejenigen, die versuchen, solche Ermittlungsmethoden einzuführen, die geben natürlich dem Organ, das dazu berechtigt ist, die Befugnis, genau das zu tun. Da geht es letztendlich nicht um Lebenswelt -und Lebensstilfragen, ob man spießig oder exhibitionistisch ist. Ich will gefragt werden, wenn jemand in meinen privatesten Bereich eindringt, und wen es nichts angeht, den will ich auch vor die Tür weisen können. Im Beschluss heißt es, Online-Durchsuchungen dürften nur bei Gefährdung „ überragend wichtiger Rechtsgüter“ durchgeführt werden. Das muss nun in ein Gesetz übertragen werden. Wie wird das Ihrer Meinung nach aussehen? Mit den „überragend wichtigen Rechtsgütern“ ist die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gemeint oder wenn das Leben von Menschen auf dem Spiel steht. Das Entscheidende ist, dass das Gericht hier auf einen konkreten Verdacht abstellt und nicht auf irgendwelche dahergeholten Verdachtsmomente. Daher ist eine relativ hohe Hürde angesetzt, wie es das Gericht schon beim Lauschangriff getan hat. Und das Gericht bleibt da auf der Linie seiner Rechtssprechung, die besagt, dass die Privatheit auch im Rahmen der Ermittlung geschützt werden muss. Auch der Verdächtige darf auf den bloßen Verdacht hin nicht seine Grundrechte verlieren, die abgeleitet werden aus der Menschenwürde. Für die Online-Durchsuchung werden Taten relevant, bei denen die höchsten Rechtgüter in Gefahr stehen. Und das höchste Rechtsgut ist sicher das Leben und die Gesundheit von Anderen. Faktisch hat das Gericht die Online-Durchsuchung verunmöglicht. Man sollte sie jetzt ganz verhindern. Die Grundrechte werden nicht nur in Karlsruhe verteidigt. In Berlin und Düsseldorf auch von den Grünen im Parlament.

Text: sascha-chaimowicz - Foto: Stefan Kaminski

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