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Die Handtuch-Premiere

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Mallorca, Strand, 7.30 Uhr. Der Sand ist noch nass, die Schatten lang und gäbe es am Meer morgens Nebel, würde er jetzt über den Strand kriechen. Die Sonne wartet noch hinter den Felsen darauf, den Sonnenbrand von ein paar Dutzend Engländern noch schlimmer zu machen. Ein Spanier sitzt auf einer Mischung aus Kehrmaschine und Rasenmäher und reinigt den Sand von Kippen und Eisverpackungen. Ich stehe an einer Liege und werde gleich etwas sehr Deutsches tun.



Ich habe Handtücher dabei. Ja, Handtücher, ja Strandliegen, ja Mallorca, ja, ich bin früh aufgestanden, um mir am Strand Liegen mit Handtüchern zu sichern. So. Jetzt ist es raus. Ich weiß, ich stecke damit tiefer im Klischee als ein Italiener, der mit Schnauzbart pfeifend Pizza backt und Luigi heißt. Immerhin hab ich weder Bierbauch, noch weiße Socken in Sandalen. Aber das macht es grade nicht besser. Ich will das Handtuch da nicht hinlegen.

Klischees sind furchtbar. Sie stigmatisieren und produzieren eine vorgefertigte Meinung über Menschen und Gruppen, die so oft nicht zutrifft. Das ist ungerecht, keine Frage. Aber es ist verführerisch auf sie zurückzugreifen, weil sie das Denken einfacher machen. Es sind Schubladen, die man einfach nur aufmachen muss. Mensch rein, Schublade zu, fertig. Meistens enthalten sie auch ein Stück Wahrheit. Ich sorge gerade auch für den Fortbestand eines solchen Klischees.

Ich habe zwei Handtücher über der Schulter, meine Augen sind noch klein. Ich bin der einzige Urlauber am Strand. Warum mache ich das? Und warum macht es sonst niemand? Ist es wirklich die deutsche Mentalität? Dieser Drang, alles zu planen? Sicher zu gehen, dass etwas funktioniert, früher aufzustehen als der Rest, selbst im Urlaub? In Deutschland gibt es kaum einen härteren Vorwurf als: „Hättest du dich halt mal früher drum gekümmert.“ Meistens gesagt von Mama. Mit diesem Vorwurfs-Tonfall, den nur Mütter beherrschen.

Die Handlung an sich ist einfach. Ich latsche vor dem Frühstück an den Strand, breite die 500 Gramm Baumwolle auf diesem Konstrukt aus Plastik aus und liege dafür den ganzen Tag bequem im Halbschatten, statt in der prallen Sonne an einem überfüllten Strand mit Sandkörnern in der Badehose zu kämpfen. Die verlorene Stunde Schlaf kann ich nachmittags nachholen. Was ich hier tue, ist nach Gesichtspunkten der Urlaubsoptimierung vernünftig. Trotzdem fühle ich mich unwohl.

Vielleicht mag Europa uns Deutsche gerade deshalb nicht, weil wir immer das Vernünftige tun. Weil wir die Streber sind, die morgens nicht ausschlafen, sondern selbst in den Ferien mit einem Handtuch den Zeigefinger heben und in die Welt mahnen: „Hättet ihr euch halt mal früher drum gekümmert.“ Vielleicht produziere ich gerade noch mehr Hass auf uns, auf die Nation, auf Angela Merkel.

Ich habe die Handtücher hingelegt und bin zum Frühstück gegangen. Ich bin wiedergekommen und der Strand war total überfüllt. Aber es hat funktioniert, niemand hat die Handtücher runtergeworfen. Ich war vorrausschauend, pünktlich und vernünftig. Aber ich fühle mich schlecht. Muss ich das? Jeder andere hätte ja auch früh aufstehen können.

Andere Urlauber kommen jetzt und suchen einen freien Quadratmeter zwischen Luftmatratzen, Sonnenschirmen und gebräunten Bäuchen. Ich liege etwas erhöht auf meinem markierten Gebiet und schaue auf viele Handtücher herab, die einfach nur im Sand liegen. Sie schreien mich an: „Dann fühl dich halt super, nur weil du früh aufgestanden bist, du Deutscher.“

Am nächsten Tag schlafe ich aus und liege wieder im Sand.                    


Text: martin-schneider - Foto: a.zieba / photocase.com

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