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Die neue Seltsamkeit. Frische Musik von Phantom/Ghost

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Ein beliebtes Gedankenspiel in meinem Bekanntenkreis ist die Frage, ob man einer Band wie Tocotronic seinerzeit tatsächlich so verfallen ist, dass man sie bis ins hohe Alter beobachten, zitieren, nostalgisieren, sich also für sie interessieren wird. Auch wenn der Musikzirkus natürlich längst ganz woanders Station macht. Ob also Dirk von Lowtzow und Tocotronic für uns das sein werden, was Neil Young oder Iron Butterfly für meinen Vater sind: Das Maß aller Dinge, für das man sich unverdrossen Karten kauft und bei dem die Kids die Augen verdrehen und nie verstehen, was der Alte daran findet. Nun, jedenfalls hält mein Interesse an Dirk von Lowtzow schon ganz schön lange und als wäre er ein entfernter Freund, den ich nur gelegentlich sehe, erwische ich mich auch dabei, wie ich darüber nachdenke, warum er sich so und so verhält, wie es ihm wohl geht und was ihn eigentlich umtreibt. Nicht zu übersehen ist ja seine seit Jahren voranschreitende Artifizierung und Ästhetifizierung, die ihn auf der Bühne wirken lässt, wie eine sich selbst in Echtzeit parodierende Kunstfigur. Als wäre bei ihm das fleißige Reflexieren der 90er-Jahre irgendwie in Endlosschleife hängen geblieben und hätte sich so kreisend immer mehr von allen fassbaren Dingen entfernt. Während Tocotronic ihm dabei als das Schlachtschiff dient, mit dem auch das Unfassliche frontal aufgegriffen wird, war das Projekt Phantom/Ghost schon immer den noch abseitigeren Launen der Herren von Lotzow und Thies Mynther verschrieben. Man verstieg sich mit Lust und Elektronik in intellektuelle Konzepte und destillierte eher nebenbei Wohlklang aus der eigenen Seltsamkeit.

Die beiden klingen jetzt genauso wie dieses Foto aussieht. Vor allem wie die Tapete. Seltsam ist nun auch das neue Phantom/Ghost-Album, dabei aber auf den ersten Klang völlig unkompliziert: Nur Piano und Gesang, allerhöchstens ein kleiner Schellenkranz werden zur Aufführung gebracht. Beim Hören denkt man, von Lowtzow würde im Frack neben einem schwarzen Flügel stehen und vielleicht zwischen den Liedern an einem Glas Sherry nippen. Klein und plätschernd ist sein Gesang, die Lieder lustig klimpernd oder auch mal getragen und sehnsuchtsvoll, jedenfalls nicht ganz aus unserer Zeit, eher so, als würden Oscar Wilde und Ivor Novello im Publikum sitzen. Dazu passen die lakonischen Texte, die von Lotzow in Oxford-Englisch vorträgt. Das alles ist ein wenig komisch. Man erwartet ein Aufbrechen, eine Umschlagen der Stimmung, den Einsatz von brachialer Moderne oder irgendwas. Aber es kommt nichts, bis zum Schluss. Das verstimmt letztlich. Denn so nett manche Stellen und Lieder sind, natürlich legen die beiden damit nicht ein klassisches Singer/Songwriter-Album vor, das einen komplett umhaut. Es ist eher leider, nach dem ersten Entzücken, ein bisschen langweilig, trotz des wonnigen RightSaidFred-Covers, das man schon gerne ein dutzendmal hört. Und Dirk von Lowtzows Stimme ist zwar charaktervoll, aber in solcher Purheit auf Dauer ein wenig unangenehm und überpräsent. Also, auf welcher Ironiestufe befinden wir uns hier jetzt wieder? Und muss ich den beiden unbedingt dorthin folgen? Diesmal ausnahmsweise: wohl eher nicht.

"Thrown Out Of Drama School" von Phantom Ghost ist bei Dial erschienen.

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