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Die Weihnachtsflucht: Vier Protokolle

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1. Arbeitsflucht

Jens, 28, Radio-Moderator Das Schlimme an Weihnachten ist, dass einem vorgeschrieben wird, weihnachtliche Stimmung zu haben und dass man besinnlich sein soll – alles kommerzieller Mist. Meistens arbeite ich an Heiligabend bis sieben oder acht Uhr abends. Ich gehe danach kurz bei meinen Eltern vorbei, dann essen wir und dann gibt’s Bescherung – und vorbei. Das Essen ist aber auch überhaupt nicht weihnachtlich, sondern ganz einfach – ohne Stress und ohne Baumschmücken. Und am nächsten Morgen gehe ich wieder zurück in die Arbeit. Alle Anderen wollen an Weihnachten unbedingt frei haben und feiern, deshalb sage ich jedes Jahr: Gut, ich mach’s! Weil mir Weihnachten ja sowieso nichts bedeutet und mich nicht interessiert. Für mich ist Weihnachten eben ein ganz normaler Tag. Ich habe mit dem Arbeiten an Weihnachten überhaupt kein Problem – das würde ich die nächsten 20 Jahre so machen. Bevor ich gearbeitet habe, habe ich mich an Weihnachten immer mit meinen Freunden getroffen und Glühwein getrunken. Ich habe an Weihnachten übrigens immer ein T-Shirt der Metal-Band „Camkard“ an. Da ist ein Weihnachtsmann drauf, der seine Kutte aufreisst und untenherum so eine Bierflasche hat. Oben steht ganz groß „Fuck Christmas!“. Das habe ich mir mit zwölf in meiner Bad-Religion-Phase bestellt. Ich trage es immer noch, aber mittlerweile unter dem Pullover.


2. Urlaubsflucht

Helge, 28, Unternehmer Ich hasse Weihnachten wirklich. Seit ich denken und laufen kann, versuche ich, Weihnachten aus dem Weg zu gehen. Diese ganze Hektik geht mir furchtbar auf die Nerven. Schon Wochen vorher wird Stress aufgebaut, alles glitzert und leuchtet, überall kann man irgendwelchen Krippen-Schund kaufen. Sobald es auf Heiligabend zugeht, wird man gezwungen, auf Gemütlichkeit umzuschalten, ganz viel zu essen und wird von einem Verwandtschaftsbesuch zum nächsten gejagt. Ich mache da nicht mehr mit. Letztes Jahr habe ich den Fehler gemacht, zu Hause zu bleiben. Alle um mich herum waren total im Konsumrausch, keiner hatte Zeit, alle waren in ihrer Weihnachtswelt gefangen. Meine Freundin war bei ihrer Familie und ich alleine zu Hause. Deshalb werde ich dieses Jahr wieder wegfliegen. Ich war schon öfters an Weihnachten in schönen, sonnigen Ländern, auf Hawaii und in Australien zum Beispiel. Heuer fliege ich nach Costa Rica. Von dort aus mache ich eine Fahrt mir einem Tauchexpeditionsboot nach Coco Island. Coco Island bedeutet für Taucher wohl das, was der Mount Everest für Reinhold Messner ist. Dort gibt es nämlich sehr viele Hammerhaie! Mitte Januar komme ich wieder zurück. Somit spare ich mir auch das verhasste Silvester, sehr praktisch.


3. Couchflucht

Beate, 22, Studentin Ich finde Weihnachten per se eigentlich nicht so schlimm, aber dafür das, was daraus gemacht wird. Ich glaube nicht an Gott, deshalb bedeutet mir das Fest aus religiöser Sicht überhaupt nichts und ich glaube, es geht nur noch um den Kommerz. Man kann es natürlich trotzdem feiern – oder es lassen. Schließlich sind viele Millionen Menschen auf der Welt an Weihnachten nicht interessiert. Am schlimmsten finde ich die Vorweihnachtszeit. Wochenlang wird man mit schrecklicher Weihnachtsmusik und hässlichen Dekorationsfolterwerkzeugen terrorisiert, jedes Jahr derselbe Mist. Ich wundere mich ehrlich gesagt schon, dass am 24. überhaupt noch jemand Lust auf Heiligabend hat. Mit meiner Familie bin ich seit ein paar Jahren ziemlich zerstritten. Mein Freund feiert bei seinen Eltern. Da war ich letztes Jahr mit dabei, aber ich habe mich irgendwie nicht wohl gefühlt. Es ist unangenehm, in eine fremde Familienidylle zu platzen. Ich würde eigentlich gerne mit meinem Bruder essen gehen, aber der ist ja bei meiner Familie. Deshalb werde ich drei Tage auf meiner Couch verbringen, meinen Kater streicheln und DVDs gucken. Eigentlich gar kein schlechter Plan.


4. Trautsichnichtflucht

Sophie, 25, Werbekauffrau Jedes Jahr nach Weihnachten schwöre ich mir selbst, mir diesen Quatsch nie wieder anzutun. Und dann bekomme ich doch einen Anruf von meinen Eltern, die mich bitten, auch dieses Jahr zu kommen. Und ich lasse mich jedes Mal erweichen. Ich bin Einzelkind und komme aus einem kleinen Dorf – es ist fürchterlich. Das Haus meiner Eltern ist dunkel, vollgestopft mit ausgestopften Tieren und Weihnachtsschmuck. Seit meine Mutter in Rente ist, verbringt sie Monate damit, das Haus mit Lichterketten, Weihnachtsbäumen und hässlichen Weihnachtsmännern, die an Seilen vom Dach hängen, zu schmücken. Dazu gibt es fettes und ungesundes Essen, das ich überhaupt nicht ausstehen kann, und Geschenke, die ich idiotisch finde und Weihnachtsmusik. Am zweiten und dritten Tag besuchen wir dann die grenzdebile Verwandtschaft. Ich beginne jedes Jahr schon ungefähr im Oktober, mich vor dieser Zeit zu ekeln. Die felsenfeste Entschlossenheit, nie wieder Weihnachten bei meinen Eltern zu verbringen wechselt sich mit dem schlechten Gewissen ab, das ich bei diesem Gedanken habe. Ich habe letztes Jahr bei meiner Mutter angerufen, um ihr zu sagen, dass ich nicht kommen werde – und sie ist sofort in Tränen ausgebrochen. Ich musste ihr versprechen, pünktlich an Heiligabend zu erscheinen. Ich habe mich neulich für eine Stelle im Ausland beworben. Sie werden hoffentlich verstehen, dass ich 2008 nicht extra für Weihnachten vom anderen Ende der Welt anreisen kann.

Text: dana-brueller - Illustration: Lucille Mietling

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