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Die Wohnungsmacken

Illustration: Daniela Rudolf

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Hallo Besucher! Was du wissen musst:

1. In der Dusche kommt das Wasser erst zu heiß, dann wird es kurz kalt, dann gewünscht warm (liegt wohl an der Gastherme).

2. Das Radio auf dem Küchentisch muss man nach vorne kippen, damit es angeht (hat einen Wackelkontakt).

3. Die Küchentür muss man andrücken, wenn man sie schließt, sonst springt sie wieder auf (ist verzogen). 

4. Bitte vorsichtig aufs Klo setzen (die Halterung der Klobrille ist auf einer Seite kaputt).

Wenn du das weißt, kann dir in meiner Wohnung nichts passieren. Sie ist ein guter Ort. Sie hat bloß diese paar kleinen Eigenheiten, aber mit denen kommt man schnell klar. Ich zumindest habe mich längst dran gewöhnt – wenn ich die Küchentür schließe, dann bleibt sie auch geschlossen, und am Morgen halte ich die Duschbrause etwa zehn Sekunden auf Armlänge, bevor ich losdusche.

Jede Wohnung hat solche Macken, ein paar Dinge, die nicht richtig funktionieren, bei denen man vorsichtig sein muss oder bei denen die Handhabung abweicht von der, die man von fabrikneuen Türen oder Toiletten oder Radios kennt. Wohnungen sind da im besten Falle wie Partner: Man fühlt sich wohl mit ihnen, aber so ein paar Kleinigkeiten nerven oder sind schrullig. Das hat das Leben gemacht. Sowohl beim Partner, der auf eine bestimmte Art und Weise erzogen wurde, der bestimme Sachen erlebt hat und bestimmte Veranlagungen hat, als auch bei der Wohnung, in der die Vormieter Dinge getan und Spuren hinterlassen haben, oder das Raumklima (besonders kalt/warm/feucht/trocken) für dieses und jenes gesorgt hat.

 

Und so, wie man beim Partner weiß „Wenn ich da hinfasse, muss er/sie lachen“ oder „Wenn ich das anspreche, wird er/sie sauer“, so weiß man auch bei der Wohnung, dass hier und da was wackelt und bei der und der Bewegung sicher was runterfällt oder umkippt. Und so, wie man lernen muss, die Partner-Schwächen und -Macken zu akzeptieren, sich daran vorbeizumogeln oder sie sogar liebzugewinnen, so muss man das auch bei der Wohnung lernen. Zwischen verzogener Tür, der Klospülung, die sich immer verhakt, und dem Toaster, aus dem man das Brot nur mit einer Gabel kriegt, erarbeitet man sich mit der Zeit eine ganz eigene Choreographie, bewegt sich sicher und tänzerisch damit und drumherum.

 

Ein Aufenthalt in einer Wohnung ist dann am besten, wenn man weiß, wie man mit ihr umgehen muss

 

Jemand anderem diese Choreographie zu erklären, sorgt für eines der schönsten Zuhause-Gefühl überhaupt. Weil man dann merkt, wie sicher man sich mittlerweile zwischen den ganzen kleinen Gefahr- und Missgeschick-Quellen bewegt, wie vertraut einem alles ist. Und sich daran erinnert, wie man anfangs selbst dauernd vergessen hat, dass die Tür klemmt. Umgekehrt merkt man, dass man irgendwo nicht zuhause ist, an kaum etwas so sehr wie an den Macken, mit denen man in einer fremden Wohnung zusammenprallt. Dann steht man mit der Türklinke in der Hand mit großen Augen vorm Gastgeber, in dem Glauben, etwas kaputt gemacht zu haben. Und wie schön ist es dann, wenn der andere lacht und abwinkt und „Ach, das passiert dauernd“ sagt.

 

Die besten Gastgeber oder Airbnb-Vermieter sind darum auch die, die einem all diese Dinge erklären. Die einen mit der Wohnung bekannt machen, sodass sie einem nichts Böses mehr will. Das ist weniger so, als müsste man das wissen, um sich in der Wohnung wohlzufühlen, sondern mehr so, als müsste man auf all diese Dinge achten, damit die Wohnung sich mit ihrem Gast drin wohlfühlt. Ein Aufenthalt in einer Wohnung ist dann am besten, wenn man weiß, wie man mit ihr umgehen muss.

 

Was man ja auch mal machen könnte: ein bisschen reparieren. Oder sich einen neuen Toaster kaufen. Aber wenn eine Wohnung keine Macken hat, ist das ja auch irgendwie nicht richtig. Dann wirkt sie zu neu oder zu steril und ihr fehlt das, was man vermutlich „Seele“ nennt oder „Charakter“. In einer Beziehung ist es ja auch nicht gern gesehen, den anderen umerziehen zu wollen, und eigentlich will man ja auch irgendwas, an dem man sich reiben kann. Darum sollte man auch seine Wohnung nicht umerziehen. Lieber die Tür fest zudrücken und dankbar dafür sein, dass sie einem so gute Dienste leistet, solange man weiß, wie man sie anfassen muss.

 

 

Text: nadja-schlueter

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