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Die zweite Quote

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Was im Fernsehen läuft, wird oft parallel in den sozialen Netzwerken auseinandergenommen. Natürlich kann kein Mensch die enorme Datenmasse, die dabei entsteht, überblicken. Die „Social-TV-Charts“, die seit Mitte Juni Sender und Sendungen ermitteln, die in sozialen Netzwerken besonders erfolgreich sind, beschränken sich demnach auf zentrale Schnittstellen.  



Genau genommen konzentriert sich die Firma Goldmedia, die das Ranking im Auftrag des Branchendienstes Meedia erstellt, auf zwei Plattformen. Einerseits beobachtet sie die offiziellen Facebook-Seiten, die Sender für ihre Formate angelegt haben. Ausschlaggebend für deren Platzierung in den Charts sind User-Aktivitäten: Eine Seite ist erfolgreich, wenn sie in der letzten Woche massiv neue Fans gewonnen hat und die Posts möglichst viele Likes und Kommentare gesammelt haben. Der zweite Teil der Charts speist sich aus dem Social-TV-Tool Couchfunk, das Diskussionen über laufende Sendungen visualisiert und kanalisiert: Anwender tauschen sich via Web und Smartphone aus und posten über die Plattform auf Twitter oder Facebook. In den Couchfunk-Top-Ten landen jene Formate oben, die oft aufgerufen und kommentiert wurden sowie viele Interaktionen generierten. Die gesammelten Ergebnisse werden einmal pro Woche mit Erläuterungen auf Meedia.de veröffentlicht.

Das Bild, das sich dabei ergibt, unterscheidet sich von den gängigen Quoten. Zwar posten die Couchfunk-User besonders viel über Fußball oder die Olympiade, also Sport-Events, die auch sonst viele Zuschauer garantieren. Abseits davon interessieren sie sich wenig für das öffentlich-rechtliche Programm – nur der „Tatort“ taucht noch regelmäßig auf den hinteren Rängen der Charts auf. Die Privaten dominieren, vor allem ProSieben-Serien („Fringe“, „The Big Bang Theory“) und Shows wie „Schlag den Star“ sind gefragt. ProSieben engagiert sich schon lange stark in Social Media – entsprechend erfolgreich ist der Sender auf Facebook. Die offiziellen Seiten von ProSieben-Sendungen wie „Galileo“ haben zusammengenommen deutlich mehr als zwei Millionen Facebook-Fans, ähnliches gilt für RTL und RTL II. Wobei RTL II, das wird beim Blick in die Social-TV-Charts schnell klar, noch einmal ein Fall für sich ist.

Dass der Sender, der quotentechnisch eher in der zweiten Privat-Liga spielt, ein wahrer Facebook-Gigant ist, verdankt er vor allem dem enormen Erfolg von „Berlin – Tag & Nacht“. Die Reality-Soap um eine Berliner WG läuft seit einem Jahr mit guten Einschaltquoten, ihre Facebook-Seite allerdings hat in dieser Zeit unfassbare 2,2 Millionen Fans gesammelt. In der zweiten Augustwoche kam sie gar auf fast 700 000 Likes, Kommentare und neue Fans – nahezu doppelt so viele, wie die folgenden 49 Sendungsseiten zusammen erzielten. Dahinter steckt eine clevere Strategie, bei der die Charaktere über Posts, Schnappschüsse und Videos die Soap weitererzählen. Dass Ole, Hanna und Co. im Grunde genommen als normale Facebook-Freunde auftreten, scheint anzukommen. Doch damit nicht genug: Auch andere RTL II-Formate wie „Grip – Das Motormagazin“ oder „The Dome“ stehen regelmäßig oben in den Social-TV-Charts. Dass gerade dieser Sender abräumt, gleichzeitig außer der „Tagesschau“ kein öffentlich-rechtliches Format bleibenden Eindruck in den Top Ten hinterlässt, zeigt, wie sehr die Fan-Seiten auf Facebook eigenen Mechanismen unterliegen.

Teilweise werden diese durch die Social-TV-Charts greifbar: Neben besonders erfolgreichen Sendern lassen sich auch die gefragtesten Formate ermitteln. Soaps ("GZSZ", "Alles, was zählt"), Dokusoaps und Reality-Formate erzeugen konstant Diskussionsbedarf. Sportereignisse generieren dagegen eher kurzfristig Aufmerksamkeit, zumindest die „Sportschau“ stürzte mit EM-Ende deutlich ab. Für einen gegenläufigen Trend steht die Doku-Soap „Party, Bruder!“. Die trashige Soap um eine Gruppe Partyboys mit Glätteisenspleen hatte auf Viva mit der Quote zu kämpfen, hielt sich dank geschickter Posts aber auch nach Staffelende wochenlang in den Charts. Fans sollten zum Beispiel darüber abstimmen, ob Party-Bruder Bulut oder Bachelor Paul die besseren Haare hatte. Wer für Bulut war, sollte liken, wem Pauls Haupthaar mehr entsprach, kommentieren – besser kann man Interaktion kaum triggern. Offensichtlich hat sich hier eine eigenständige Dynamik entwickelt, die nicht mehr unmittelbar auf das aktuelle Sendungsgeschehen reagiert.

Dieses Facebook- und Couchfunk-Eigenleben abzubilden, ist das Verdienst der Social-TV-Charts. Allerdings stehen den vielen Einblicken und Aha-Erlebnissen auch offene Fragen gegenüber. Was wirklich hinter dem Übererfolg von RTL II steht, bleibt zum Beispiel rätselhaft. Sind die Digital Natives mit ihrer Facebook-Affinität dafür verantwortlich? Oder kümmert sich der Privatsender nur besonders geschickt um die Sendungsseite? Liegt es vielleicht auch daran, dass bisher nur 45 Prozent aller deutschen TV-Sendungen eine Facebook-Sendungsseite haben, die Konkurrenz also noch schläft? Was Senderpolitik und was Userinteresse ist, lässt sich über die Social-TV-Charts nicht herausfinden. Vermutlich wäre das aber auch zu viel verlangt.

Schade ist allerdings, dass den Charts derzeit noch ein wichtiger Baustein fehlt: Tweets fließen bisher nur indirekt über die Couchfunk-Aktivitäten in die Bewertung mit ein, aber ohne Twitter, den zweiten Social-Media-Riesen, ist das Bild eben nicht komplett. Zumal Fernsehsendungen zu den meistkommentierten Ereignissen des Kurznachrichtendienstes zählen. Twitter in die Berechnungen mit hineinzunehmen, ist allerdings bereits geplant.


Anmerkung: Seit dem 18. September fließen auch die beliebtesten Sendungen auf dem Social-TV-Tool Zapitano in die Social-TV-Charts mit ein.

Text: therese-meitinger - Illustration: Torben Schnieber

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