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"Dieses Buch zu lesen ist besser als Sex"

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Wer sich einmal auf amazon.com Buchcover angesehen hat, weiß: In Amerika sehen Bücher anders aus. Kaum ein Werk kommt dort ohne das Zitat einer literarischen Autorität an prominenter Stelle über dem Titel aus. Der Hinweis "New York Times Best Seller" ist Pflicht. Nur Schriftsteller wie Stephen King können sich die Beschränkung auf Autor, Titel und Gattung leisten. Dafür tauchen ihre Namen umso öfter im Text der Marketingaufkleber und Banderolen auf, die Erstlingswerke anderer Autoren zieren. Auch in Deutschland hat der Kampf um die Aufmerksamkeit an den Buchtischen begonnen, wenn auch mit Zurückhaltung: Hierzulande fristen Quotes noch ein Schattendasein, sind nur auf der Buchrückseite zu lesen und oft noch überklebt von den Preisauszeichnungen der Händler. Aber je länger die Krise auf dem Buchmarkt dauert, desto mehr Bedeutung bekommt die offensive Form der Werbung. Genau genommen spiegelt sich in der Gestaltung der Cover ein Konflikt der Buchbranche. Vor kurzem trennte sich der Suhrkamp-Verlag von seinem Marketingleiter, Beobachter vermuten als Grund der Trennung das Traditionsbewusstsein der Verlagschefin Berkéwiez: Sie verweigere sich dem Wandel, der dem Marketing im Verlagswesen immer mehr Bedeutung zukommen lässt. Und dabei ging es sicher auch um die Frage, wie viel Aufkleber auf dem Cover sein darf. Jeder versucht aufzufallen Kerstin Reitze, Werbeleiterin bei Rowohlt, kommt eigentlich aus der Markenartikelwerbung. Auch in ihrem Verlag ist die Diskussion präsent. "In solchen Fragen sind wir Werber natürlich sehr fortschrittlich. Wenn es darum geht, ob wir auf das Cover Zitate drucken, würde ich sagen: Ja, machen wir's doch mal." Aber auch außerhalb der Verlagshäuser muss das überzeugen: "Bevor man zum Kunden kommt, muss man den Buchhändler begeistern. Ob dem ein vollgeklatschtes Cover gefällt, ist natürlich die Frage." Genau wie Buttons, also jene runden Aufkleber, die einem immer öfter begegnen, sind Zitate Störer. "Der Buchumschlag soll nicht zu einer Werbeseite verkommen", erklärt Kerstin Reitze den Konflikt. „Aber das Marketing hat auf jeden Fall angezogen und das hat mit dem Marktgeschehen zu tun." Zusätzlich kann der Buchhandel häufig keine ausführliche Beratung mehr bieten und dem Leser fehlt die Orientierung im Dschungel der Neuerscheinungen. Das Buch muss dann für sich sprechen. Bei Kiepenheuer & Witsch scheut man sich, Zitate auf das Cover zu drucken: "Wir wollen nicht riskieren, dass die Umschlaggestaltung zerstört wird", sagt Werbeleiterin Ulla Brümmer. Bei einigen Büchern findet man Buttons und sogenannte Bauchbinden: Aktuelle Auszeichnungen und Preise werden auf ein Papierband gedruckt, das die Buchdeckel umschlingt. Die Suche nach Quotes ist mühsam, die Auswahl oft nicht groß. Ulla Brümmer klopft vorliegende Texte und Sendungen auf taugliche Sätze ab: "Solche Zitate müssen kurz, prägnant und selbstverständlich positiv sein, dazu möglichst anders als die gewöhnlichen Formulierungen. Da bleibt nicht mehr viel übrig von einem Text." Aber manchmal findet sich eben doch so ein einzigartiger, griffiger Satz, vom dem das Zitatebusiness lebt. "Meister der verhedderten Erzählfäden" ist so einer, zu finden auf Helge Schneiders Reiseroman "Globus Dei". Ebenso Harry Rowohlts Kompliment an die Autorin von "Unter Weibern": "Susanne Fischer schreibt einen heißen Reifen"

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Berührungsängste der Verlage Wenn schon auf der Vorderseite eines Buches kein Zitat steht, bemühen sich die Verlage in Deutschland wenigstens um die Bauchbinde als Kompromisslösung. David Hauptmann von der Werbeagentur Hauptmann und Kompanie entwirft unter anderem Buchumschläge - zum Beispiel für Heyne, Fischer und Ullstein. Michel Fabers historischen Roman "Das karmesinrote Blütenblatt" versah er mit einer Banderole, auf der in Großdruck der Satz "Dieses Buch zu lesen ist besser als Sex" aus einer Besprechung im Time-Magazine prangte. "Bei deutschen Verlagen gibt es in Bezug auf diese Art der Werbung schon viele Berührungsängste. Ganz im Gegensatz zum amerikanischen oder britischen Buchmarkt. Da wird geklotzt." Mancher Verlag geht um einiges offensiver vor. Der Kölner Dumont-Verlag gab vergangenes Jahr Houellebecqs Roman "Plattform" als "einmalige Erfolgsausgabe" zum Dumpingpreis neu heraus und gestaltete das Cover ausschließlich aus Presserezensionen. Zwei relativ junge Unternehmen aus der Verlagsgruppe Random House setzen ebenfalls auf erweitere Marketingmaßnahmen: Bei Büchern aus dem BTB-Verlag findet man häufig Kurzrezensionen auf dem Cover, beim Berlin Taschenbuch Verlag ist ein ausgewähltes Zitat hinter dem Logo sogar fester Bestandteil des Designs und wird zu einer Unterzeile des Romantitels. Regina Kammerer, Verlagsleiterin bei BTB, empfindet den amerikanischen Einfluss auf das deutsche Buchmarketing allerdings als gering: "Die Zitate auf dem Cover gibt es bei uns schon lange, das ist keine Welle aus Amerika, die jetzt rüberschwappt. Wir machen es auch nur, wenn es sich anbietet und es passt. Wenn wir ein schönes und passendes Zitat haben, das dem, der im Buchladen stöbert, beim ersten Blick auf das Cover nützliche Zusatzinformationen und die Stimmung des Buches vermittelt." Man achte deshalb auch darauf, dass nicht pauschale Jubelrufe wie "Klasse!" als Zitat auf dem Buch landen. Doch auch das kommt vor. Elke Heidenreichs Unique Selling Proposition Die deutsche Zitier-Kultur, wenn es sie denn überhaupt gibt, findet zum Großteil noch auf der Rückseite statt. Der Text soll von selbst wirken, ohne fremde Hilfe, allein durch seine Qualität. Viele Leser kommen dank dieser Bescheidenheit möglicherweise nicht einmal in die Verlegenheit, einen Blick ins Schaffen der Autoren zu werfen, außer ein Zitat der üblichen Verdächtigen zupft sie gedanklich am Ärmel. Karasek, Reich-Ranicki und allen voran Elke Heidenreich heißen die großen Erheber und Vernichter deutscher Literatur. Ein positiver Satz der Fernseh-Bücherfrau Heidenreich in ihrer ZDF-Sendung "Lesen!" ist für die Verlage pures Gold wert, die Frau genießt vor allem eines: Glaubwürdigkeit. Heidenreich selbst nannte diese Eigenschaft einmal ihre "unique selling proposition". Elke Heidenreich beschreibt selten das Buch, um so öfter welche Gefühlswallungen es beim Leser auslöst: Dieses Buch trifft mitten ins Herz. Die begehrtesten Sätze sind solche wie dieser, den sie über Francis Lelords Buch "Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück" verlor und der nun Kunden, das Werk einmal in die Hand genommen, zur Kasse locken soll: "Wenn man dieses Buch gelesen hat – ich schwöre ihnen – ist man glücklich." Heidenreichs Zitate versprechen, dass da ein Sinn im Lesen liegen müsse, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung aufgeht zugunsten des Lesers. Deswegen ist sie als Verkaufsargument so beliebt. Ihre Bedeutung beschränkt sich nicht nur auf eigene Äußerungen, die Sendung "Lesen!" ist ein wahrer Marktplatz der Zitate: Wenn Joschka Fischer von der Rückseite eines Romans verkündet: "Anderthalb Tage - Sie werden alles liegen lassen und die Nacht durchlesen. Sie können es nicht weglegen, bevor Sie nicht am Ende sind", dann hat der ehemalige Außenminister es natürlich im ZDF gesagt, bei Frau Heidenreich. Selbst für die Sätze von Reich-Ranicki ist die Sendung ein Umschlagbahnhof, seit der Kritiker im Fernsehen nur noch als Gast auftritt. Das bleiche und das gute Quote Auf der Leipziger Buchmesse wird seit einigen Jahren die "Bleiche Feder" verliehen für den unfreiwillig komischsten Klappentext. Auch die Quotes haben es mittlerweile zu einer eigenen literarischen Gattung gebracht, die zitiert, variiert und sogar parodiert wird - wer lustig sein will, schreibt sich die schlechtesten Presserezensionen auf sein Produkt. Vielleicht wäre eine ähnliche Anti-Auszeichnung auch für verfehlte Zitate angebracht, um zu zeigen, dass durchschaubare Werbeversprechen keinem nützen, genauso wenig wie Cover, die mit Texten überfrachtet wurden. "Damit ist man schließlich kontraproduktiv", meint auch Ulla Brümmer. "Wenn der Kunde den Namen des Autors, den Titel und noch vier verschiedene Zitate auf der Vorderseite lesen soll, hilft es ihm ja auch nicht weiter." Max Goldt scheute sich selbst davor nicht, seine alten Bücher eines Tages in der Mülltonne zu entsorgen - "zumal es sich ja auch nur um schäbig gemachte Taschenbuchausgaben mit dämlichen Pressezitaten auf dem Rücken handelte. (...) Darauf, daß ein solches Allerweltsgebrabbel ein Buch entwertet, wird man in den Verlagen wohl nie kommen." Doch, man weiß es dort wohl, dass sich nicht alle Leser darüber freuen. Aber nicht jeder Autor ist vom Schlage eines Max Goldt und kann sich den Verzicht aufs Quoting leisten.

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