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Durch Kinshasa musst Du tanzen! Karis (Kinshasa) und Ulrike (Berlin) über den Kongo

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Karis Musako (ohne Bild), 27, stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Seine Familie lebt in der Hauptstadt Kinshasa. Karis hat Teile seiner Schulzeit bei einer befreundeten Familie in Deutschland verbracht und dann in Frankreich studiert. Er glaubt, dass der Einsatz der Bundeswehr eine Chance für sein Heimatland ist. Jedoch nur, wenn die Soldaten strikt neutral bleiben. Einem normalen Europäer zu beschreiben, wie die Hauptstadt des Kongo, Kinshasa, funktioniert, ist gar nicht so einfach. Einerseits ist diese Stadt ein einziges lautes, dreckiges Chaos: Die staatlichen Institutionen funktionieren im Kongo nicht, egal ob Müllabfuhr oder Polizei.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Polizist verdient dort vier bis fünf Euro im Monat. Da muss er geradezu korrupt werden, um seine Familie irgendwie ernähren zu können. Aber Kinshasa ist eben nicht nur ein großes Chaos, Kinshasa, das sind auch acht Millionen Menschen, die alle ihr persönliches kleines Chaos managen. Und das tun sie mit einer unglaublichen Energie und Kreativität. Was ich an der Stadt am meisten liebe, ist die Musik: Der sogenannte kongolesische Rumba ist in ganz Afrika sehr beliebt und fast alle Straßen Kinshasas sind erfüllt von ihm. Ein unglaublich rhythmischer und zugleich melodiöser Sound. Man kann nicht durch diese Stadt gehen, ohne dabei mit den Hüften zu wackeln. Eigentlich kann man in dieser Stadt überhaupt nicht herumgehen, nur herumtanzen. Das ist eine Seite meiner Stadt und meines Landes über die in Europa viel zu wenig bekannt ist: Wir haben eine Menge großartige Künstler. Die meisten unserer Politiker dagegen sind leider weniger großartig. Aber da haben Europa und Amerika eine gewisse Mitverantwortung: Während der Kolonialzeit sind viele Verbrechen passiert und es haben sie politische und kulturelle Muster verfestigt, die nicht gerade demokratisch sind. Auch danach haben vor allem die USA, Frankreich und Belgien in der sogenannten Demokratischen Republik Kongo immer wieder Politiker unterstützt, die die Opposition brutal unterdrückt haben – ganz einfach weil es den Interessen ihrer Länder entsprach. Die ganz große Chance der Bundeswehr ist, dass Deutschland, was mein Land betrifft, geradezu jungfräulich ist. Der Bundeswehr nimmt man die Rolle eines neutralen Helfers (noch) ab. Bei Soldaten aus Frankreich oder den USA wäre das anders. Das ist ein riesiges Kapital, das nicht leichtfertig verspielt werden darf. Es ist wichtig, dass die Führung der Truppe neutral bleibt – mit wirklich allen Parteien redet, sich nicht auf eine Seite schlägt. Und dann braucht man noch eine gewisse Demut um in diesem Land klarzukommen. Man muss sehr viel zuhören. Versuchen, die Leute wirklich zu verstehen. Mit Arroganz kommt man dort ganz bestimmt nicht weit. Ich glaube, dass die Demokratische Republik Kongo eigentlich alles hat, was ein Land braucht, um so richtig durchzustarten: Eine junge, lebensfreudige Bevölkerung und Rohstoffe - der Kongo ist eigentlich ein reiches Land. Nur das Volk hatte von diesem Reichtum bisher nie etwas. Was fehlt, sind die politischen Strukturen: Ein Parlament, das funktioniert und Kontrollinstanzen, die der Willkür Einhalt gebieten können. Aber ich glaube, wenn das Land jetzt die richtige Art von Unterstützung bekommt, dann wird es in wenigen Jahren dort schon ganz anders aussehen – und dann werden die Europäer vielleicht kommen und sich mit uns an unserer Musik und Kultur freuen. Protokolliert von Katarina Bader +++ Ulrike Buchholz (siehe Bilder unten), 26, studiert Medizin in Berlin. 2005 hat sie ein sechswöchiges Praktikum in einem Krankenhaus im Osten der Demokratischen Republik Kongo absolviert. Ein Jahr zuvor tobte in dieser Gegend noch der Bürgerkrieg. Die Menschen im Kongo hoffen auf Unterstützung aus Europa, erzählt Ulrike, aber wer in diesem Land irgendetwas erreichen will, braucht viel Geduld – der Bundeswehr-Einsatz sei deshalb zu kurzfristig ausgerichtet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Äquatorsonne hat mir ein buntes Hautcouleur beschert: rot verbrannter Nacken, braunes Gesicht und winterlich bleiche Arme. Für die Menschen im Kongo bin ich aber einfach die Musungu-Frau, die Weiße und damit ein Symbol dafür, dass die Chancen für den Frieden gut stehen. Allerdings: Weiße sind in solchen Gegenden in den Augen der Einwohner wie Schiffsratten. Sie machen sich aus dem Staub, wenn Gefahr droht und sie kommen erst wieder zurück, wenn der Krieg vorbei ist. Zehn Jahre vor meinem Besuch haben die letzten Weißen Mutwanga verlassen, die Siedlung am Fuße der gigantischen Ruwenzori-Gebirgskette, in der ich am einzigen Krankenhaus weit und breit ein Praktikum als Medizinstudentin absolvierte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als die Weißen weg waren, rückten wechselnde Armeen an: Regierungstruppen, Rebellentruppen, Truppen aus dem Nachbarland Uganda. Menschen wurden verschleppt und ermordet. Die Kontrolle über die Siedlung wechselte häufig. Die Bürgerkriegsgeschichte von Mutwanga ist typisch für die komplizierten Verhältnisse im Kongo. Als ich im Frühjahr 2005 auf dem Motorradgepäckträger von Francko, einem kongolesischen Kaffeehändler, ins Dorf einfuhr, erwarteten mich die Bewohner am Straßenrand: für die Kinder war ich der erste weiße Mensch in ihrem jungen Leben, ein exotisches Wesen aus der Welt der Erzählungen. Bei meiner Arbeit im Krankenhaus lernte ich Menschen kennen, die zu Freunden wurden. Aber die Kommunikation blieb immer schwierig. Auch wenn ein Gesprächspartner gut französisch spricht, sind da noch unendlich viele kulturelle Unterschiede. Zum Beispiel war da ein Soldat, dessen Frau im Krankenhaus zur Entbindung war. Weil das staatliche Gesundheitssystem im Kongo nicht funktioniert, hätte er eigentlich wie alle anderen dafür bezahlen müssen. Er sagte zu dem Arzt aber nur: „Ist doch okay so?“. Der Arzt sagte: „Es ist okay.“ Und später erzählt er mir, dass der Soldat sonst am Abend mit dem Gewehr zurückgekommen wäre und ihn wahrscheinlich erschossen hätte. Am Ostersonntag saßen wir vor einer Lehmhütte zusammen, bei einem Festtagsschmaus – lauwarmes Bier, gebratenes Huhn und Maniok. Jerry, eigentlich Kasereka Kikwaya, der junge Arzt, aufgewachsen im Ort und nach dem Studium zurückgekehrt, Souer Salomé, Nonne und Direktorin der Grundschule und Caesar aus Kinshasa, zehn Jahre vorher mit Mobutus Truppen als Feldsanitäter gestrandet und ich, die Medizinstudentin aus dem fernen Deutschland. Wir träumten vor uns hin: Jerry von elektrischem Strom und einem Laptop, von einer Fortsetzung seines Studiums in Europa und davon, dass er EKG nicht nur in der Theorie kennen lernt; Soeur Salomé davon, dass mehr Kinder in ihre Schule kommen können, vor allem auch mehr Mädchen, und nicht auf dem Acker mit ihren Müttern für den Lebensunterhalt der Familie arbeiten müssen; Caesar davon, dass auch die letzten Soldaten endlich verschwinden und nicht länger mit Hilfe der Macht der Waffen die Menschen ausnützen. Und während meine Freunde vom Frieden und den Segnungen der Zivilisation träumten, sehnte ich mich nach Abenteuer und Naturerlebnis. Ich träumte von einer Wanderung auf den 5000 Meter hohen Ruwenzoris, von der sagenumwoben paradiesischen Landschaft dort oben, von den Fleurs éternelles und dem grünen See. Die Nonne und Lehrerin Soeur Salomé, glaubte mir nicht, dass ich es je auf den Gipfel schaffen könne. Sie hatte mich bei der Arbeit im Krankenhaus beobachtet und war der Meinung, dass ich mich viel zu schnell bewege. „Uli, wenn Du es weiterhin immer so eilig hast und so schnell gehst wie jetzt, wirst Du niemals auf dem Gipfel ankommen“, sagte sie ruhig lächelnd. Sie behielt Recht. Als ich mich an der Besteigung versuchte, zwangen die Hitze und die dünne Luft mich und meine Begleiter, das Tempo zu verlangsamen. Nur so erreichten wir den Gipfel. Ich lernte im Kongo Geduld. Zeit ist relativ, auch wenn oder gerade weil die Menschen dort im gesamten Gesehen meist wenig davon haben: sie sterben oft früh, als Kinder an Infektionskrankheiten, als Frauen bei der Geburt, als Männer im Krieg.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich habe erlebt, dass man im Kongo manchmal als Hoffnungsbote empfangen wird, nur weil man Weißer ist. Ich habe oft gehört, dass die Menschen auf Hilfe aus Europa hoffen. Insofern kann der Einsatz von Deutschen Soldaten schon hilfreich sein. Aber ich habe auch gelernt, dass man im Kongo für alles viel Zeit braucht. Man muss sich auf die Menschen dort einlassen, sich selbst verändern – erst dann ist man vielleicht in der Lage, an den Verhältnissen vor Ort irgendetwas zu verändern. Aufgeschrieben von Ulrike Buchholz Fotos: dpa, privat

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