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Seit ich im November Stammzellen gespendet habe, denke ich viel an die Leukämiekranke, die sie bekommen hat. Wie geht es ihr? Hat sie auch dunkle Haare, wie ich? Ist sie nett?  

Ich bin schon seit 2006 in der Deutschen Knochenmarkspenderdatei, der DKMS, registriert, die Stammzellenspender für Leukämiekranke sucht. Ich bekam ab und zu eine nette Werbung von denen, aber hätte nie damit gerechnet, dass mehr passiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass man auf einen Patienten passt, ist sehr gering, weil bestimmte Gewerbemerkmale übereinstimmen müssen. Diesen August stand dann auf einmal ein großes Paket vor meiner Tür, in dem sechs Röhrchen zur Blutabnahme waren. In dem Brief dazu stand, dass meine Merkmale möglicherweise zu einem Patienten passen und dass ich mich schnellstmöglich melden soll. Ich muss leider zugeben, mein erster Gedanke war: „Ich ruf die nicht an!“ Ich habe echt Angst gekriegt. Ich hatte mich seit der Typisierung, also der Registrierung bei der DKMS durch Blutproben, nicht mehr damit beschäftigt und wusste nicht, welcher Eingriff eigentlich auf einen zukommt, wenn man spendet. Ich habe mich zwei Stunden hingesetzt und den Brief mehrmals durchgelesen. Und dann habe ich doch angerufen. Die Mitarbeiterin war sehr nett und hat mir alles erklärt, zum Beispiel die zwei Spendenmöglichkeiten. Einmal die schnellere, die Entnahme aus dem Knochenmark im Beckenkamm. Dabei werden unter Vollnarkose zwei Löcher in den Knochen gebohrt und die Stammzellen werden mit einem hohlen Röhrchen direkt abgesaugt. Die zweite Methode ist die periphere Entnahme, dabei werden die Stammzellen aus dem Blut gefiltert. Dafür habe ich mich entschieden.  

Ich musste einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen und gleich in der nächsten Woche mit dem DKMS-Päckchen zum Hausarzt und mir Blut abnehmen lassen. Das ging zur Feintypisierung. Da werden alle Gewebemerkmale aufgeschlüsselt, weil man hundertprozentig zum Patienten passen muss. Ende Oktober kam die Nachricht, dass ich der geeignete Spender bin. Ich hab mich wirklich richtig gefreut! Und mir auch sofort Gedanken gemacht: Wer ist der Patient, wie geht’s dem? Ist es vielleicht eine Mutter, ein Kind oder ein Teenager? Jemand in meinem Alter? Es ist komisch, dass in den Briefen erstmal immer nur von „dem Patienten“ die Rede ist. Das ist ein riesiges Fragezeichen, das man mit sich rumträgt, dabei ist man genetisch ein Zwilling dieser Person. Auch, wenn man ansonsten nichts gemeinsam hat.  

Ich bekam eine persönliche Betreuerin zugeteilt, die ich immer anrufen konnte und die sich um alles Organisatorische gekümmert hat. Sie hat mit dem Entnahmezentrum in Köln und mit der Klinik, in die die Zellen gingen, die Termine abgesprochen. Stammzellen kann man höchsten 72 Stunden irgendwo lagern, dann müssen sie ins Blut des Patienten. Ich habe einen Termin Ende November bekommen. Bei der Voruntersuchung in der Entnahmeklinik wurde ich einmal komplett auf den Kopf gestellt, um zu klären, ob ich auch wirklich gesund bin. Das Komische war: Gefühlt kennt niemand jemanden, der schon mal Stammzellen gespendet hat. Bei der Voruntersuchung waren aber ganz viele Menschen. Allein in Köln finden jede Woche zwischen 20 bis 30 Entnahmen statt. Die Zahl fand ich unglaublich hoch und es gibt noch sechs weitere Entnahmezentren in Deutschland. Man muss sich mal überlegen, wie viele krank sind, wenn das immer noch zu wenig ist!  

Wenn man sich für eine periphere Entnahme entscheidet, muss man sich fünf Tage vorher morgens und abends ein Medikament in den Bauch spritzen, einen hormonähnlichen Stoff, der im Körper auch gebildet wird, wenn man krank ist. Der regt die Stammzellenproduktion an und sorgt dafür, dass die Stammzellen aus den Knochen ins Blut geschwemmt werden, damit man sie später rausfiltern kann. Es gab ein paar Nebenwirkungen. Ich hatte Rückenschmerzen, habe mich müde gefühlt, die Beine haben mir wehgetan, weil die Stammzellen in den dicken Knochen gebildet werden. Aber wenn man bedenkt, was der Patient in der Zeit durchmacht, ist man froh, dass man nur Rückenschmerzen hat. Der Patient kriegt als Vorbereitung eine Ganzkörperbestrahlung, Anti-Pilzmittel und eine sehr starke Chemo. Das Immunsystem wird komplett ausgeschaltet und jedes kleinste Fitzelchen Leukämie wird abgetötet, damit die Spenderzellen später frisch ihre Arbeit machen können. Der Patient muss auf einer Isolierstation liegen, damit er nicht mit Keimen in Berührung kommt, und darf fast keinen Besuch bekommen. Ich musste bei der Voruntersuchung unterschreiben, dass ich weiß, dass der Patient stirbt, wenn ich jetzt noch einen Rückzieher mache. Denn wenn er so vorbereitet wird, kann er ohne neue Stammzellen nicht überleben. Ich hatte total Angst, dass noch was dazwischenkommt und habe gut auf mich aufgepasst. 

Für die periphere Entnahme werden zwei Tage eingeplant, weil ein Tag nicht immer ausreicht, um genug Stammzellen zu filtern. Wie viele man braucht, kommt auf das Gewicht des Patienten an. Ich habe ein Hotel reserviert bekommen und durfte sogar jemanden mitnehmen. Am Morgen der Entnahme musste ich die doppelte Dosis des Medikaments spitzen, in der Klinik wurden noch mal Temperatur, Blutdruck und Puls gemessen. Mein Puls ging durch die Decke, ich war schrecklich aufgeregt! Ich wurde auf einen sehr bequemen Stuhl gebettet und mir wurden zwei Venenzugänge gelegt. Aus dem einen Arm lief das Blut in eine Zentrifuge, in der die Stammzellen abgesammelt werden, und danach durch den anderen Arm wieder zurück. Der Beutel, in dem die Zellen gesammelt werden, hing neben mir, und man konnte sehen, wie er sich langsam mit einer blassroten Flüssigkeit gefüllt hat. Das Ganze hat etwa viereinhalb Stunden gedauert. Ich habe zwei Filme geschaut, trinken, essen und auf die Toilette gehen darf man auch. Später im Hotel bekam ich einen Anruf, dass genug Stammzellen gefiltert wurden und ich am nächsten Tag nicht noch mal wiederkommen muss. Ich bin heimgefahren, hatte an dem Tag noch ein paar Nebenwirkungen und am nächsten war es wieder, als wäre nichts gewesen. Ich war wahnsinnig erleichtert, dass alles geklappt hat.  

Nach der Spende darf man meistens erfahren, an wen die Zellen gehen. Das hängt davon ab, aus welchem Land der Patient kommt und von den dortigen Datenschutzbestimmungen. Von jemandem in Holland oder Portugal zum Beispiel würde man nie mehr erfahren als die Nationalität, auch nicht, wenn beide Seiten es wollen. Meine Betreuerin hat mir erzählt, dass in den Anfängen der DKMS manche Spender vorher wissen wollten, für wen sie spenden. Das ging natürlich nicht. Aber da seien auch mal Sätze gefallen wie: „Für einen Schwarzen spende ich nicht.“ Das finde ich unglaublich!  

Ich habe meine Betreuerin angerufen und war wieder mal aufgeregt, weil „der Patient“ endlich ein bisschen konkreter wurde. Meine Zellen sind nach Griechenland gegangen, an eine 29-jährige Frau. Ich hab mich im ersten Moment irgendwie gefreut, weil sie nur vier Jahre älter ist als ich. Ich war da gedanklich schon weiter, weil man nach zwei Jahren auch Kontakt aufnehmen darf, wenn der Patient zustimmt – und wenn er überlebt.  

In vier Monaten erfahre ich, wie ihre Therapie läuft. Das Ganze war wirklich ein winziger Aufwand und eine ganz kleine Einschränkung und man kann damit so viel helfen. Deswegen kann ich jedem nur ans Herzen legen, sich typisieren zu lassen. Wenn die 29-jährige Griechin ganz gesund wird, dann kann sie auch 89 werden. Das wäre einfach super. 



Text: nadja-schlueter - Foto: dpa

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