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Eltern, diese wundervollen Wesen - eine Liebeserklärung

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Klar nerven Eltern. Aber ich liebe sie. Wer sonst begrüßt uns bei jedem Wiedersehen, und liegt auch nur eine Stunde dazwischen, so überschwänglich, als kämen wir gerade von einer jahrelangen Expedition aus der Antarktis zurück? Wer sonst schenkt uns, uneingeschränkt zu jeder Tages- und Nachtzeit, so bedingungslos seine Aufmerksamkeit? Wer hört uns noch zu, wenn die Freunde, der Partner, verreist, verkatert oder verstimmt sind, oder vielleicht alles zusammen? Da bleiben nur sie. Es ist nie einfach mit Eltern. Sie strapazieren unser Bedürfnis nach Unabhängigkeit mit der ewigen Frage, was wir wann wo gegessen haben und vor allem: wie viel, wo wir wann wie gewesen sind, und vor allem: mit wem. Sie infizieren uns derart mit ihrer Übervorsicht, bis wir irgendwann selbst glauben, wir müssten auf jeder Reise unser Geld im Bauchgurt verstecken und die Haustür dreimal absperren, obwohl es auch einmal gereicht hätte. Eltern behaupten ständig, sie wüssten, was gut ist für uns. Und deswegen brauchen wir sie – denn dann, wenn es wirklich drauf ankommt, tun sie das auch. Das geht weit über bloßes Zuhören und gutes Zureden hinaus. Als ich kurz vor dem Abitur unter dem Lernstress verzweifelt und überhaupt nicht zum Reden aufgelegt war, hat meine Mutter nicht lange gefragt. Sie hat mir ihre früheren Tagebücher zum Lesen gegeben, wo ich dann lesen konnte, dass sie damals mit den selben Zweifeln zu kämpfen hatte wie ich. Das buchstäblich vor Augen zu haben, und gleichzeitig zu sehen, wie sie jetzt dasaß, glücklich, zufrieden, mit einem festen Beruf, hat geholfen. Man vergisst oft, dass Eltern früher selbst einmal jung waren. Sie haben jede Situation, in die wir geraten, so oder so ähnlich schon einmal erlebt- und überstanden. Sie haben das große Ganze besser im Blick. Wenn wir zum Beispiel ein Loch bohren wollen, bohren wir im Zweifel einfach drauf los. Anschließend müssen wir die überflüssigen Löcher in der Wand mit Füllmasse zukleistern. Eltern weisen einfach darauf hin, das Bohrloch in Zukunft erst mal mit einem Nagel vorzufixieren. „Ankörnen“ heißt das. Auf das ganze Leben übertragen, heißt das: Eltern regen uns zu dem grundsätzlich richtigen Verhalten an, vorher nachzudenken, bevor man etwas tut. Sie sind uns überlegen, was Reife angeht, und selbstsicheres Auftreten. Sie haben über die Jahre einen immensen Vorrat an Erfahrungen gesammelt. Sie haben mehr Hände geschüttelt, mehr Bewerbungsgespräche geführt, öfter eine Wohnung gesucht. Sie hatten es, in Bezug auf die Qualität unseres heutigen Lebensstandards, oftmals schwerer als wir. Mein Vater hat mir einmal erzählt, sein Anfangsmobiliar zu Studienzeiten habe aus umgedrehten, hölzernen Obstkisten auf schätzungsweise neun Quadratmetern bestanden. Nun kann er sich der Länge nach zum Mittagsschlaf auf dem Sofa ausstrecken, im eigenen Haus. Das im Rücken zu wissen, verleiht ihm eine hartnäckige Durchsetzungskraft. So ist es nur konsequent, dass er auf Wohnungssuche in einer französischen Großstadt, obwohl er schlechter Französisch spricht als ich, einen Besichtigungstermin rausholte – bei der Maklerin, die mich zuvor eiskalt hat abblitzen lassen. Er muss etwas an sich gehabt haben, das keinen Widerspruch, keine Ausrede und keine Verzögerung duldet. Es gehe immer darum, sich gut zu verkaufen, sagt mein Vater. Man könnte es allgemeiner ausdrücken: Es geht darum, etwas darzustellen. Wir haben zwar eine ungefähre Ahnung davon, wie das geht; aber auf Anhieb gelingt es uns meistens noch nicht. Wenn wir unsere erste eigene Wohnung beziehen, nehmen wir einen Teil der alten Möbel unserer Eltern mit. Wir hängen uns die alten Lampenschirme aus den siebziger Jahren ins Zimmer, wir wollen die schlichte Kommode von damals aus Holz. „Eltern prägen“, hat ein Bekannter von mir kürzlich gesagt – und erzählt, dass er gern solch einen Schreibtisch hätte, wie er bei seinem Vater im Arbeitszimmer steht: massiv, groß, aus dunkelbraunem Holz. Wir identifizieren uns mit unseren Eltern, auch wenn es in diesem Fall nur rein äußerlich ist. Sobald ihnen das auffällt, fühlen sie sich geschmeichelt, aber auch peinlich berührt; ungläubig fragen sie, ob wir denn nicht was anderes, was „moderneres“ wollten. Sie wollen uns ihre persönliche Retrospektive nicht aufzwängen, sondern uns ermutigen, den Umständen der Zeit entsprechend unseren eigenen Weg zu gehen. Ja, Eltern prägen. Sie haben Vorbildfunktion. Schon allein deswegen, weil sie ihr eigenes Leben in den Griff gekriegt haben. Wir sind nach ihnen geraten, mit allen Fehlern, Unzulänglichkeiten, und guten Seiten, die auch sie auszeichnen. Dagegen kämpfen wir oft an, und das sind die Momente, in denen die unterschiedlichen Lebensentwürfe so heftig aufeinanderprallen wie zwei Schwergewichtsboxer im Ring. Im alltäglichen Umgang reibt sich vieles auf. Es ist wichtig, ab einem gewissen Punkt auf Distanz zu gehen. Es gibt Bereiche, in denen man besser ohne sie klar kommt. Aus der Entfernung aber, während wir in der Praxis der Erwachsenenbildung alles austesten, was sie uns beigebracht haben, wird noch viel klarer, wie wundervoll Eltern eigentlich sind.

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