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Ende aus Mickey Mouse

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Anstelle von Knöpfen trägt Andrea lila Gummi-Blumen an ihrem Mantel. Die 25-Jährige studiert Mathematik in Köln, trägt Stahlkappen-Docs und einen quietschbunten Strickschal. Roland hat seine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, an den Seiten ist sein Kopf kahl rasisert. Er ist Ende Zwanzig und studiert in Köln Geographie. Wenn Roland und Andrea in der U-Bahn sitzen, hält man sie für ganz gewöhnliche Studenten. Doch an zwei Abenden in der Woche verdienen sie Geld beim U-Bahnfahren. Sie arbeiten als Kontrolleure für die Kölner Verkehrsbetriebe, sie selber nennen ihren Job allerdings lieber „Fahrausweisprüfer“. „Prüfer klingt halt nicht so streng wie Kontrolleur“, sagt Andrea.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Montag Nachmittag, Bahnhof Köln-Deutz. Hinter einer schmutzigen Glastür im Untergeschoss befindet sich das Hauptquartier der Kölner Kontrolleure. Vergilbte Lamellen-Gardinen, graues Linoleum am Boden. Im Regal steht ein einsamer Ordner, er trägt die Aufschrift: „Veränderungszettel ab 1.7.1988“. Dem Raum nach zu urteilen das Jahr, in dem das letzte Mal renoviert wurde. Um 16.44 Uhr beginnt die Schicht von Andrea und Roland, doch bevor es losgeht, müssen Andrea, Prüfer- Nummer 933 und Roland, Prüfer-Nummer 932, sich die elektrischen Lesegeräte für Abo-Karten abholen und Strafzettel vorschreiben. Es gibt auch Post: „Ach, ein Zivilprozess? Gegen mich? Nett!“. Ein Erwischter hat Andrea angezeigt, keine Seltenheit.

Eine Gruppe hauptberuflicher Kontrolleuren kommt herein und macht Pause. Aus einem Spind werden Kaffeemaschine und Wasserkocher geholt, es gibt Tütensuppen. Warum ihnen das Kontrollieren Spaß macht? „Man kann so schön Leute ärgern“, sagt eine Kontrolleurin, die am Tisch sitzt und strickt. Von ihr stammt wohl der Zettel an der Pinnwand: „Wer hat zwei Knäuel graue Wolle gefunden? Bitte ins Fach legen“.

„Am besten sind die Studenten“, grummelt ein Kollege von ihr auf kölsch. „Die haben oft dat Semesterticket, aber keinen Perso bei. Und diskutieren dann ewisch. Nutzt nischt, isch sach dann: Ende aus, Mickey Mouse.“ Diese Art zu sprechen klingt hier schwer nach Lukas Podolski.

Wenig später kann es losgehen. Auf dem Weg zur Linie 3 Richtung Thielenbruch treffen wir die „Uschis“, wie eine Gruppe Kolleginnen von den Andreas und Roland liebevoll genannt wird. Die Bahn fährt ein, wir steigen ein, die Bahn fährt wieder an. Nach einem Moment zücken Andrea und Roland ihre Ausweise. „Die Fahrkarten, bitte!“ Es erwischt gleich einen Fußballfan mittleren Alters in BVB-Jacke und zwei Jugendliche. Der Wagen ist schnell kontrolliert, es bleibt Zeit zum Plaudern. „Normalerweise mag ich es, wenn bei der ersten Kontrolle niemand dabei ist. Dann beginnt es nicht gleich so negativ“, sagt Roland.

Negativ waren die Reaktionen auf den neuen Job in den Freundeskreisen der beiden eigentlich kaum. „Nur wenn du in der Bahn als Student enttarnt wirst, bekommst du oft Sachen wie „Verräter“ an den Kopf geschmissen“, erzählt Roland. „Deshalb lüge ich manchmal, wenn ich gefragt werde.“ Roland hat in Köln lange neben einer Straßenbahnstation gewohnt. „Immer wenn ich da aus dem Fenster Kontrolleure gesehen habe, habe ich gedacht: Boah, den Job willste niemals machen, der ist ja so grausam.“ Später ist er dann „so reingerutscht“, hat davor schon bei der Bahn gearbeitet. Das merkt man. Roland ist Eisenbahnfreak. Er erklärt jede Weiche, jedes Lichtsignal und jede Schraube an der Straßenbahn. Für ihn ist der Kontrolleurs-Job wie ein großer Abenteuerspielplatz.

Begonnen hat das Ganze mit einer Anzeige. Unter dem Label „Studieren und Kontrollieren“ suchte die KVB vor zwei Jahren das erste Mal nach Studenten, Andrea und Roland bewarben sich. Dann kamen zwei Wochen Ausbildung in Tarif- und Netzkunde „und der Papierkram und das ganze Gedöns“, wie Andrea es formuliert. Zurzeit wird die nächste Generation ausgebildet, die Verträge sind aus arbeitsrechtlichen Gründen auf zwei Jahre begrenzt. Aber zwei Jahre sind eine lange Zeit. „Ich bin froh, wenn sie ´rum sind“, sagt Andrea. „Das Blöde an dem Job ist, dass du immer nur negativ in Erscheinung trittst, auch wenn du freundlich bist. Die Leute sind nervös, manche musst du verknacken. Nur die Omas freuen sich oft, wenn sie nach 15 Jahren endlich mal wieder kontrolliert werden.“

Joachim Berger, Pressesprecher der KVB, erklärt das so: „Immer, wenn ich mich als Kind in der Kirche schnäuzen musste, kam es mir vor, als wenn mich alle beobachten würden. Wenn man beim Schwarzfahren erwischt wird, ist das genauso.“ Ein schöner Vergleich. Nur, dass es nicht 40 Euro kostet, wenn man sich in der Kirche schnäuzt. Diese 40 Euro dürften den Mann schwer treffen, den Roland gerade kontrolliert. Er sieht so aus, als würde er knapp vor der Obdachlosigkeit stehen, hat an seinem Rucksack ein Pappschild, das er wohl beim Betteln vor sich aufstellt. Als Roland ihn nach dem Fahrschein fragt, dreht er in Ruhe seine Kippe fertig. Dann gibt er Roland 2,20 Euro, den Preis für ein Einzelticket. Als Roland ihm erklärt, dass er das Ticket hätte vorher kaufen müssen, ist es vorbei mit der Ruhe: „Ihr mit eurer Scheiße. Hab doch genug schon Probleme.“

Es kann auch schon mal passieren, dass Roland dann auf die Mütze kriegt. Zum Beispiel eine Bierflasche. Außerdem wurde er schon ans Schienbein getreten und einmal in den Arm gebissen. Eine junger Mann ohne Fahrschein widersetzte sich der Kontrolle und griff den Kontrolleur an. Das ist der Hauptgrund, warum in anderen Städten keine Studenten als Kontrolleure eingesetzt werden. „Viel zu gefährlich, davon halten wir gar nichts “, meinen etwa die Stadtwerke Tübingen. „Bei uns kommt nur extra geschultes Sicherheitspersonal mit einem De-Eskalations-Training zum Einsatz.“

Oft kommt es vor, dass Andrea und Roland ihre „Kunden“ wieder treffen. „Es gibt da so eine Mädels-Gang, die wohnen alle bei mir ganz in der Nähe. Die hab ich schon echt oft aufgeschrieben, aber wenn man sich am Karnevals-Zug trifft, grüßen die ganz nett“, erzählt Andrea. „Wenn ich privat U-Bahn fahre, passiert es oft, dass Leute plötzlich schnell wieder aussteigen, wenn sie mich sehen“, sagt Roland. Dazu hat die große Gruppe Jugendlicher, die gegen halb eins in der Nacht in die Bahn steigt, keine Chance mehr. Bis jetzt liegt Roland mit acht zu sieben Erwischten vor Andrea. Aber vielleicht holt sie das ja gleich noch auf, in der letzten halben Stunde bis Dienstschluss.

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