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Enorme psychische Last: Pornodarstellerin Tyra über ihren Job

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Hallo Tyra. Können wir hier über Sex reden? Natürlich. Ich habe kein Problem damit, in der Öffentlichkeit über Sex zu reden. Normalerweise laufe ich den ganzen Tag nackt herum. Worüber schreibt Ihr eigentlich so? Die neue Ausgabe beschäftigt sich mit Pornografie, Thema der letzten war Religion. Als ich anfing, Pornos zu drehen, bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich fand, das passte irgendwie überhaupt nicht zusammen. War das eine schwere Entscheidung? Nein. Ich war nicht besonders religiös. Ich bin zwar katholisch erzogen worden, wir haben viel gebetet. Aber meine Gebete sind größtenteils nicht erhört worden. Vielleicht waren sie auch unrealistisch, doch irgendwann geht der Glaube verloren. Sich hinsetzen und beten bringt nichts. Wenn man was verändern will, muss man es selbst tun. Bist Du deswegen etwa Pornodarstellerin geworden? Für mich war auf jeden Fall klar, dass ich mir lieber selber helfe als mir vom Arbeits- oder Sozialamt helfen zu lassen. Wie kamst Du denn an den Job? Ich war Kellnerin in einem Nachtclub. Ein Produzent gab mir seine Karte. Irgendwann habe ich es dann einfach mal ausprobiert. Klingt ja einfach … Als Erstes musste ich einen Aidstest machen. Und am nächsten Tag ging’s auf den Dreh. Hat es Dir spontan gefallen? Ja. Es war sehr entspannt. Auf den Drehs ist die Atmosphäre immer locker. Die Leute müssen alles zeigen, was sie haben. Deswegen haben sie nicht das Bedürfnis, sich zu verstellen. Sie sind ehrlich. Ich habe dann auch gleich auf einem der ersten Drehs meine jetzige beste Freundin kennengelernt. Sie hat mittlerweile aufgehört und ein Kind bekommen. Aber wir sind immer noch befreundet.

Intim und vor der Kamera: Eine Frau posiert beim Porno-Film-Festival in Cannes. (Foto: rtr) War das schon bei Magmafilm? Nein, bei irgendeiner kleinen Produktion. Der Produzent nahm uns damals auch mit auf eine Erotikmesse in Brüssel, aber da gab es dann Streit … Wieso? Er hat uns zu sehr beschützt. Wir haben auf den Showbühnen richtig Gas gegeben. Ihm war das ein bisschen zu viel. Vielleicht hatte er Angst, euch an die Konkurrenz zu verlieren. Das ist dann auch passiert. Wir zogen daraufhin nämlich zu zweit los, gingen von Stand zu Stand, sprachen die Leute an und gaben unsere Telefonnummern raus. Und? Am nächsten Tag klingelte das Telefon Sturm. Alle großen deutschen Produktionen wollten mit uns drehen. Von den vier größten deutschen hatte ich Exklusivverträge auf dem Tisch. Zuletzt schwankte ich noch zwischen Pornorama und Magmafilm, bin dann aber zu Magmafilm gegangen, weil das Team jünger war. Wenn der Kameramann dein Vater sein könnte, bist du nicht so frei beim drehen. Wolltest Du nie ins Ausland? Nein. Ein paar Kolleginnen sind in die USA gegangen, ich kenne auch ein paar US-Produktionen, aber was die machen, passt nicht zu dem, was ich in meinen Filmen rüberbringen will. Der normale Pornokonsument macht sich doch keine Gedanken über die Botschaft eines Films. Was willst Du in Deinen Filmen denn rüberbringen? Ich bin auf eine gewisse Art Feministin. Ich mache mir nichts aus Filmen, in denen Frauen unterdrückt werden. Und genau darauf scheint es in den meisten US-Produktionen anzukommen. In meinen Filmen gibt es das nicht. Ich habe immer schöne Storys. Ich bin Ästhetikerin. Und zu Ästhetik gehört bei mir immer eine Story. Es ist also möglich, als Darstellerin sein eigenes Ding zu machen? Ich kann mir vorstellen, dass ein Regisseur oder Produzent sehr klare Vorstellungen hat … Dadurch, dass ich exklusiv arbeite, habe ich immer das gleiche Team. Und in meiner Firma kann ich das rüberbringen, was ich gerne möchte. Ich habe auch ein Mitspracherecht, wenn es mit dem Darsteller nicht passt. Hatte die endgültige Entscheidung für den Job damit zu tun, dass Du Deine beste Freundin auf einem Dreh kennengelernt hast? Nein. Ich war vorher schon sehr offen, war mit dreizehn schon mit zwei Männern im Bett gelegen. Ich war danach zwar noch Jungfrau, aber es war eine sehr heiße Nacht. Mit 13? Vor allem war ich neugierig. Was ich erlebte, war so aufregend, so genial, dass es keine andere Möglichkeit gab, als voll einzusteigen. Ist dir der berufsmäßige Sex vor der Kamera ähnlich wichtig wie der private? Das lässt sich nicht vergleichen. Wenn ich privat mit einem Mann schlafe, habe ich Gefühle für ihn. Wenn ich drehe, ist es Abenteuer. Ein Rollenspiel. Ich mag es sehr, mich immer wieder in andere Rollen hineinzudenken. Meine Schauspielerei ist auch besser geworden. So langsam kann sich meine Comedy schon sehen lassen. Comedy? Alles, was bei Pornos Sprechtext ist, heißt in der Branche Comedy. Auf der nächsten Seite spricht Tyra über echte Liebe im Job und über die psychische Belastung, die er mit sich bringt.


Deine Freundin hat später mit dem Business aufgehört. War das schwer für Dich? Nein. Wir waren beim Arbeiten sowieso sehr selten zusammen, weil wir am Set die meiste Zeit nur am Blödeln waren. Teilweise hatten wir solche Lachkrämpfe, dass nicht mehr weitergearbeitet werden konnte. Wir waren einfach zu albern. Das ist natürlich blöd für die männlichen Darsteller, die sich voll auf ihr Stehvermögen konzentrieren müssen. Zwei gackernde Hühner helfen da nicht weiter. Was hilft denn? Gibt es für die Vorbereitung spezielle Leute am Set? Bei uns nicht. Die meisten professionellen Darsteller bauen sich selber auf. Oder man setzt sich vorher zusammen und kuschelt ein bisschen. Ihr kuschelt? Verliebt Ihr Euch auch? Eigentlich nicht. Wie passt das überhaupt zusammen: Liebe und Job? Anfangs hatte ich eine Beziehung. Aber es war sehr schwierig. Was ich tagsüber mache, ist natürlich nicht spurlos an meinem Freund vorübergegangen. An mir auch nicht. Ich war am Set nicht völlig frei. Ich habe oft nur an ihn gedacht, während ich mit irgendwelchen Darstellern eine Szene drehte, und hätte in dem Moment natürlich lieber mit meinem Freund geschlafen. Nach einer Weile hat es sich dann auseinandergelebt. Seitdem bin ich solo.

"Ich freue mich an meiner Arbeit": Porno-Film-Cover im Videoladen. (Foto: rtr) Verträgt sich Dein Beruf überhaupt mit einer Beziehung? Ich weiß es nicht. Irgendwie sehnt sich doch jeder nach Rückhalt, nach einer Beziehung. Aber ich habe gemerkt, dass es nicht harmoniert. Beide müssen tolerant sein. Beide müssen viel einstecken. Würdest Du denn anderen empfehlen, in der Branche zu arbeiten? Jeder muss für sich selbst wissen, was er macht. Wenn jemand Bock drauf hat, wenn jemand Spaß am Sex hat – warum nicht. Aber ich würde niemanden überreden. Im Gegenteil – ich würde Menschen, die noch irgendwelche Zweifel haben, eher davon abraten. Warum? Die psychische Belastung ist enorm. Der Job wirkt auf alles andere ein. Ich habe damals aus Spaß damit angefangen und hätte nie gedacht, dass ich es so weit nach oben schaffen würde. Ich bin froh darüber, dass meine Filme gut gehen, obwohl ich eine eher softe Schiene fahre; zwar Hardcore, aber sehr ästhetisch. Mein Erfolg zeigt: Eine Frau muss nicht immer drei Schwänze im Arsch haben. Das finde ich sehr schön. Ich freue mich an meiner Arbeit. Aber dann gibt es Leute, die es nur des Geldes wegen machen. Und die machen sich damit psychisch fertig. Das ist genau wie bei einer Prostituierten. Man muss einen Hang dazu haben, um damit klarzukommen. Man muss nymphoman veranlagt sein, eventuell auch exhibitionistisch. Außerdem muss man mit sich selbst völlig im Reinen sein. Es kann immer vorkommen, auch wenn man nur einen oder zwei Filme dreht, dass einen jemand sieht und man darauf angesprochen wird. Ob man mit so einer Situation klarkommen würde, sollte man sich vorher sehr genau überlegen. Kann man die Konsequenzen tragen? Und will man es? Ist es Dir jemals passiert? Einmal standen auf einer Erotikmesse plötzlich Onkel und Tante vor mir. Sie wollten nur vorbeischauen und Hallo sagen. Mir erzählen, dass sie wissen, was ich tue, und dass es für sie okay ist. Und da stand ich dann in diesem roten Lackoutfit und sagte: „Äh … hallo … das ist aber nett.“ Ich war schon ziemlich vor den Kopf gestoßen. Ich hab mich dann aber auch gleich verabschiedet, weil ich eine Show machen musste. Sie haben total cool reagiert. Und sich die Show Gott sei Dank nicht angesehen. Aber ich war trotzdem durch den Wind. Keine Scham? Im Nachhinein hab ich viel darüber gelacht. Ich schäme mich nicht für das, was ich tue. Ich stehe voll dahinter. Ich glaube sogar, dass ich mich ehrlicher verhalte als die meisten Menschen heutzutage auf der Straße. Ich lebe mein Leben, lebe mich aus, wie ich es möchte. Wer meine Filme nicht sehen will, braucht sie sich nicht anzuschauen. Ich finde es wesentlich ehrlicher, seine Lust auf Sex so auszuleben, wie ich es tue, als täglich hinter geschlossenen Gardinen Sex zu haben und so zu tun, als wäre man Jungfrau.

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