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Erinnerung an Saint Thomas, der am Montag starb

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Er war einer der Ersten aus dem Norden Europas, die ein kleines bisschen Erfolg hatten mit ihrer Musik. Er war kein wirklich guter Gitarrist, er war auch kein besonders ausgefuchster Sänger, sein Englisch war oft holprig, aber die Lieder, die er komponierte und mit seinem beschränkten Repertoire darbot, waren alle von einer so betörenden Schönheit, dass man sie sofort liebhaben musste (wenn so etwas geht, Lieder lieb haben). Jetzt ist er gestorben, St. Thomas, Thomas Hansen, der Briefträger, der sich erst mit Anfang Zwanzig eine Gitarre kaufte und die paar Griffe drauf schaffte, die er für seine Musik benötigte. Mit 31 Jahren wurde er am Montag in seiner Wohnung in Oslo gefunden. Woran er gestorben ist, weiß man noch nicht. Es gibt viele Möglichkeiten, man kann sich vermutlich eine aussuchen, sie wird schon stimmen. Er hatte viel zu viel getrunken, er war von Medikamenten abhängig, er hatte Depressionen, er rauchte viel zu viel.

St. Thomas war der erste Musiker, für den ich ernsthaft geschwärmt habe. Sogar ein bisschen verknallt war ich in ihn. So sehr, dass ich ihm eine Kassette aufnahm und nach einem Konzert nicht gab, weil ich viel zu aufgeregt war. Stattdessen gab ich sie seinem Bassisten, der sehr nett zu mir war und mir versprach, sie weiterzugeben. In die Kassette hatte ich eine E-mail-Adresse geschrieben und von da an täglich nachgeschaut, ob er nicht eventuell zurück geschrieben hätte. Nach ein paar Wochen war tatsächlich eine Nachricht in meinem Postfach, er schrieb nett, bedankte sich und wunderte sich, warum ich nicht ihm die Kassette in die Hand gedrückt hätte. Nach einigen Mails verabredeten wir uns miteinander in Berlin. Ich fuhr extra dorthin, nistete mich bei einem guten Freund ein und war so aufgeregt und dementsprechend unhöflich, dass ich die Freundschaft fast aufs Spiel setzte. Zu der Zeit lebte Thomas im Berliner Bezirk Friedrichshain. Norwegen war ihm zu eng geworden, die Szene in Oslo verzieh ihm nicht mehr so viel und er ärgerte sich darüber, dass sogar die Zeitungen davon berichteten, wenn er mal wieder betrunken aus einer Kneipe fiel oder mit einem Mädchen knutschte, das nicht seines war. Als wir uns trafen, war es ein bisschen doof, ein bisschen aufregend und sogar ein bisschen nett. Wir beschlossen sofort einstimmig, sehr viel zu trinken, bis uns beiden nicht mehr auffallen würde, dass wir eigentlich kein besonders gutes Englisch sprachen. Ich erinnere mich noch, dass ich kurz nach der Begrüßung erst einmal in einen Hundehaufen getreten bin und vor Scham fast im Boden versinken wollte. Aber das war ihm egal, wichtiger waren Bier, Wodka, wieder Bier, noch mehr Wodka. Irgendwann gingen wir zu ihm, machten vorher noch halt bei einem dieser türkischen 24-Stunden-Getränke-Läden und er suchte eine Flasche Wein aus, eine gute. Das war eine ziemlich rührende Geste angesichts der Uhrzeit. Seine Wohnung war die einsamste Wohnung, die ich je gesehen habe. Sie war sehr leer, wenn man die Flaschen, vollen Aschenbecher und gebrauchten Teller nicht mitzählt. Auf dem Sofatisch befanden sich noch mehrere Spielkonsolen und an der Wand ein Fernseher, so groß, wie er sonst nur bei „MTV Cribs“ gezeigt wird. Das Wenige, was in der Wohnung stand, war teuer und neu, aber schon so abgegrabbelt, dass es ein bisschen eklig war. Wir setzten uns auf das Sofa und er begann auf einmal, aufgeregt Musik aufzulegen, mir seine allerältesten und allerneuesten Aufnahmen vorzuspielen, dann noch einen Film über Townes Van Zandt, eines seiner großen Vorbilder, den er exklusiv vorab bekommen hatte. Es war ein bisschen surreal, denn er wollte mich offensichtlich beeindrucken mit dem, was er darstellte, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Später, viel später zeigte er mir noch einen Film, den sein Vater während der vergangenen Europa-Tournee gemacht hatte. Er zeigte Thomas auf einer Fähre, norwegisch sprechend, Thomas auf der Bühne und Thomas –sehr oft – sehr betrunken. Irgendwann im Laufe dieser Filmvorführung merkte ich, dass es mir ziemlich schlecht ging. Ganz abgesehen von einem beginnenden Mörder-Kater, wurde mir klar, dass ich unbedingt gehen musste, wenn ich nicht in einem depressiven Zustand versinken wollte. Von Thomas ging eine solche Unberührbarkeit aus, eine solche Einsamkeit und Leere. Und ich war der allerletzte Mensch, der ihm da hätte helfen können. Und wenn ich ihm weiter dabei zusah, wie er permanent um sich selbst kreiste, in einer Mischung aus Narzissmus und Verzweiflung, hätte ich mich in Schwierigkeiten gebracht. Also ging ich, obwohl er mich inständig bat, bei ihm zu bleiben. Wir haben danach noch ein paar Mal miteinander gesprochen und ich blieb dank seinem Netz-Tagebuch ein bisschen auf dem Laufenden. Er zog bald wieder zurück nach Norwegen, machte eine Entziehungskur und erzählte begeistert von seinem neuen Album. Es hörte sich so an, als würde alles gut werden mit ihm und als hätte er die Kurve gekriegt. Hat er nicht. Und das ist furchtbar traurig.

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