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Frühling verwandelt

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Die Indooristin
Die Indooristin braucht Schönheit. Draußen sieht sie wenig davon, deshalb hat sie sich in den letzten Monaten zurückgezogen und ein Nest gebaut. Im Herbst hat sie die Wände auberginefarben gestrichen und Kürbis eingelegt, im Winter hat sie mit dem Sticken angefangen. „Make tea, not war“ hat sie gestickt. Dass nun wieder der Frühling kommen muss, ist ihr wirklich nicht recht. Schon die ersten intensiven Sonnenstrahlen beäugt sie mit dem größtmöglichen Misstrauen. Alles ist plötzlich so ungesund hell! Instinktiv will sie ihre Wohnburg beschützen vor den Zumutungen dieser Jahreszeit: Pollen, Kitschgrün, Matsch, überdrehte Tiere und Menschen mit weißen Oberarmen. Garantiert wird auch der Asoziale von nebenan seine Boxen auf den Balkon stellen und das ganze Haus mit David Guetta quälen. Und überhaupt: Hat eigentlich schon einmal jemand daran gedacht, welche Mengen Hundescheiße mit der Schneeschmelze freigesetzt werden? Die Indooristin darf gar nicht daran denken, das macht sie nur traurig. Traurig und müde. Unheimlich müde. Erleichtert gähnt die Indooristin und kriecht in ihr Nest zurück. Der Frühling ist eben doch für etwas gut.

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Der Umarmer
Frühling! Endlich! Zu lang schon hat der Winter gedauert: Der Umarmer kann noch gar nicht fassen, dass es vorbei ist mit Rollsplit und Dauerdunkel. Befreit von der kältebedingten Selbstentfremdung, spürt er die Harmonie des Universums und ist plötzlich ganz hibbelig. Sein Geist steigt auf in luftige Höhen, er möchte Gedichte schreiben, singen, Bäume umarmen, vielleicht auch am Gras schnuppern. Und auch wenn das jetzt esoterisch klingt: Irgendwie ist alles eins, er fühlt sich mit allem verbunden. Egal, ob ein Vogelkind aus dem Nest gefallen ist oder eine Oma verwirrt in den Stadtplan guckt – der Umarmer fließt über vor Mitgefühl. „Ach!“, ruft er aus, „O weh“ und „Huch“. Über seine vielfältigen Gefühlsaufwallungen will er dringend mit seinen Kollegen reden. Die aber eher nicht mit ihm. Sie mögen es auch nicht besonders, wenn er ihnen beim Erzählen spontan bewegt an die Schulter greift. Irgendwann bekommt er mit, dass sie etwas von „Quarterlife-Crisis“ nuscheln. Autsch. Offensichtlich ist die Verbindung nicht ganz so universell, wie der Umarmer dachte. Immerhin findet seine Freundin Umarmen gut.    

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Die Maikatze
Die Sonne ist schuld! Hinterhältig wie sie ist, brennt sie der Maikatze auf den Kopf und schickt die Hormone los. Für die Single-Maikatze besteht die Welt nun ganz überwiegend aus verliebten Pärchen, die Eis essen, und plüschigen, sexbesessenen Tierchen. Auf beide entwickelt sie einen diffusen Neid. Ihr fallen die vielen gut aussehenden Jungs auf, mit denen sie seltsamerweise nichts am Laufen hat. „Warum noch mal nicht?“, fragt sie sich. Draufgängerische Exemplare halten sich nicht lange mit dieser Frage aus: Sie suchen direkt nach einem Maikater, den sie, wenn alles glattläuft, mit nach Hause nehmen können. Die Weichei-Mehrheit allerdings geht erst einmal alleine heim und macht sich Gedanken. Sie fängt an, grundlos an ihrem Bauch herumzuzwicken, mustert ihre Augenfalten und bestellt Bikinis. Vielleicht meldet sie sich auf einer Dating-Plattform an. Oder sie muss – nach drei Jahren – plötzlich dringend wissen, wie es der Ex-Affäre so geht. Im schlimmsten Fall trinkt sie ziemlich viel Wein, lässt sich über den semi-phallischen Charakter von Koteletten aus und fordert die Männerburka. Spätestens bei so viel Schwachsinn muss dann auch die frustrierteste Maikatze lachen. „Mutter Natur, du alte Pottsau“, ruft sie. Am nächsten Tag hat sie sich an die Sonne gewöhnt.

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Der Starter
Der Starter ist ein strukturierter Mensch. Er benutzt Dinge wie Flip-Charts, Hängemappen und Rotstifte in drei Schattierungen. Mit ihnen plant er Wochen voller Tagesordnungspunkte, die er gewissenhaft abarbeitet. Um 8.10 Uhr holt der Starter seine Hemden aus der Wäscherei, um 19.50 Uhr bringt der Dogsitter den Weimaraner vorbei. Viel mehr passiert nicht. Ist auch okay. Nur im Frühling irgendwie nicht. Im Frühling nervt den Starter sein durchgeplantes Leben plötzlich. Er will weg! Er will mehr! Dinge tun, die Sinn machen. Den Mount Everest besteigen, zum Beispiel, und anschließend den Winter in einem nepalesischen Kloster verbringen. Wie schön wäre es, einen Doktor zu machen oder zumindest die eigene Firma zu gründen. Starter GmbH. Hihi. Beschwingt plant der Starter seine Vorhaben im Zehn-Minutentakt durch, kommt ins Schwitzen und steppt sogar ein paar Takte auf dem Weg nach Hause. Das Über-Ich allerdings hat spätestens nach einer Woche die Faxen dicke. Es packt den eifrigen Starter bei den Ohren. Nachdrücklich weist es ihn darauf hin, dass er über seinen Phantasten-Plänen zwei Deadlines gerissen hat. Mehr als in den letzten sieben Jahren. Der Starter schluckt. Die Kollegen tuschelten schon. Der Starter seufzt, er wirft die Pläne weg. Im nächsten Frühling macht er neue.


Text: therese-meitinger - Illustration: Katharina Bitzl

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