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Geist versus Flasche?

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Videos von Betrunkenen werden selten im Einvernehmen ihrer Protagonisten gedreht. Entweder handelt es sich um die Dokumentation nächtlicher Eskapaden, die übermütige Studenten im Delirium bei mehr oder weniger harmlosen Streichen zeigen, oder die Darsteller zeichnen sich durch ihre Passivität aus und befinden sich in einem komatösen Zustand – das Gesicht bis auf die Ohrläppchen mit Kritzeleien durchzogen. Die Macher solcher Einminüter, die in ihren Hobbyfilmen immer wieder durch mädchenhaftes Gekicher auftreten, wollen dem Moment ein Denkmal in Bild und Ton widmen, das besonders den Betroffenen zur Erinnerung mahnt – und sie, wenn man solchen Aufnahmen mit einem gewissen Kulturoptimismus begegnet, von weiteren Saufgelagen abhalten soll. Ein neues Mitmach-Mem rüttelt nun an dieser Ordnung: Im „Social Beer Game“ wird man dazu aufgefordert ein Bier zu exen, sich dabei zu filmen und dann drei weitere Personen zu „nominieren“. Die Nominierten haben daraufhin einen Tag lang Zeit, ein Video ins Internet zu stellen, das den selben Regeln folgt. Wer dem Rausch entsagt, droht mindestens Respektverlust. Denn wer der Aufforderung nicht nachgeht, schuldet seinem Vorgänger einen ganzen Bierkasten. Zumindest theoretisch.

Die Bewegung verbreitet sich rasend schnell. Die deutschsprachige Facebook-Seite „Socialbeergame“ hat bis heute – knapp eine Woche nach ihrer Gründung – knapp 19000 Fans. Die Videos, die auf der Seite gepostet werden, sind im Vergleich zu den großen Memen der Vergangenheit, wie dem Harlem-Shake, recht eintönig. Der Bierkonsum wird schmucklos dargestellt. Lediglich die musikalische Untermalung oder die Gruppengröße scheint zu variieren. Ausgefallene Aktionen, etwa ein Ständchen auf der Gitarre vor dem verkürzten Biergenuss, sind eher noch die Ausnahme. Gemessen am Dialekt der Spieler kommen die meisten aus Bayern, der nationale Hype könnte also erst noch folgen. In Deutschland lässt sich die Faszination des Social Beer Game noch mit reinem Voyeurismus und latentem Gruppenzwang erklären. Doch was hierzulande noch auf Eskalationsstufe minus eins verharrt, ist anderswo schon längst Gegenstand heftiger Kontroversen. Es liegt in der Natur solcher Phänomene, dass sich die Spieler gegenseitig übertrumpfen wollen: Die Videos müssen immer kreativer und wagemutiger als ihre Vorgänger werden, um dem Wettbewerb standzuhalten. Wer den Willen zum viralen Erfolg hat, muss auch Risiken eingehen können.

Diese Lust auf Gefahr ist bei der Urfassung des Online-Trinkspiels schon Bedingung zur Teilnahme. Bereits Anfang des Jahres ist das Spiel in Australien unter dem Hashtag „Neknominate“ – ein Kofferwort aus „neck and nominate“ – bekannt geworden. Bei der Originalversion ist die Art des Getränks eher nebensächlich. Die Spieler von #Neknominate trinken Alkohol aus Schuhen, werden kopfüber in mit Bier gefüllten Kloschüsseln gehalten oder schlucken den Inhalt handelsüblicher Vodkaflaschen innerhalb weniger Sekunden. Es gibt bereits Videos von Menschen, die sich während des Trinkens foltern lassen und ein Video, in dem zwei Männer ihrer Nominierung nachkommen, während sie ungesichert an einem Helikopter hängen.

Es braucht keinen Gesundheitsexperten oder Risikomanager, um zu beurteilen, dass sich ein solcher Umgang mit Alkohol schädlich auf die Beteiligten und ihr Umfeld auswirkt. In Irland hat der Wettstreit um das außergewöhnlichste Video bereits einen Toten gefordert. Der junge Ire Planking, im Ausland bereits Menschenleben gefordert hat, wissen viele deutsche Bier-Exer nicht einmal, wie das Spiel heißt, an dem sie teilnehmen. Wie also lässt sich der relativ große Erfolg des Mems erklären?

 

Die wichtigste Voraussetzung für ein erfolgreiches Internet-Phänomen zum Mitmachen, dass es leicht nachgeahmt werden kann, wird beim Social-Media-Biertrinken erfüllt: Man benötigt ein Bier, eine Kamera und etwas Durst. Durch die geringen Anforderungen und die gezielte Provokation durch einen Bekannten, nimmt die Hemmschwelle zur Teilnahme ab. Der Gegenstand des Mems lässt sich leicht rechtfertigen: Spiele, bei denen es darum geht Alkohol zu trinken, finden schnell Sympathisanten. Selbstverständlich gibt es auch hier Ausnahmen. Dass man sich dem Konformitätszwang in gewisser Weise beugen kann, ohne Alkohol zu konsumieren, macht ein Video deutlich, das von der Facebook-Seite "Socialbeergame" geteilt wurde. Statt ein Bier in Rekordzeit zu trinken, spendet ein Mädchen den Betrag eines Biers an eine wohltätige Organisation - und nominiert drei weitere ihrer Freunde. Wenn dieses Projekt ähnliche Kreise zieht, wie es das Social Beer Game getan hat, ist eins sicher: Die Angestellten von vielen gemeinnützigen Organisationen können dann anderen Jobs nachgehen. Eigentlich ein Grund zu feiern. Wieso nicht mit einem Feierabendbier?

 
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