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Glied an Glied

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Husavik liegt im Norden Islands an der Skjálfandibucht und hat ungefähr 2300 Einwohner. Vielen Touristen ist der Name der kleinen, isländischen Küstenstadt deshalb so geläufig, weil hier täglich die angeblich besten Walbeobachtungstouren Islands vom kleinen Fischereihafen aus ablegen. Immer öfter begegnet einem Husavik auch im Zusammenhang mit der skurrilen Existenz des weltweit einzigen Penismuseums. Erwarten darf man auf keinen Fall ein neumodernes oder architektonisch besonders spannendes Gebäude. Vielleicht würde der Begriff „kleine Penisstube“ besser treffen, was man hier vorfindet. Es ist wirklich ein bisschen wie in einer Stube hier, so altbacken und dämmrig alles. Es würde einen nicht wundern, wenn man sich auf einem Exkurs zu der Borkenkäfersammlung im ländlichen Heimatmuseum befände. Nur eben mit dem beträchtlichen Unterschied, dass sich einem schon vor Betreten des Gebäudes große Penisskulpturen am Eingang entgegenrecken. Wenn man in die kleine, ehemalige Gastwirtschaft eintritt, geht es gleich weiter: Ehe man überhaupt die paar Stufen zur Kasse hinaufgegangen ist, wird man schon mit jeder nur vorstellbare Skurrilität in Penisform konfrontiert. Die Wände sind von gestrickten Peniswärmern über Garderobenhaken in Penisform zu Peniseierbechern, geschnitzen Peniskorkenziehern und ähnlichem gesäumt. Die Hauptaustellung ist allerdings sehr viel wissenschaftlicher: Sie besteht aus der Sammlung von 272 eingeweckten Tierpenissen aus 92 verschiedenen Spezien. Das sind hauptsächlich zwar Walpenisse, aber auch die von Robben und Walrößern und zahlreichen anderen Meeres- und Landsäugetieren Islands. Es gibt einen einzigen Bären- und einen Elefantenpenis. Sogar die winzigen Geschlechtsteile eines Hamsters kann man hier bestaunen. Die meisten der ausgestellten Exemplare hat Sigurdur geschenkt bekommen oder selbst abgeschnitten und mithilfe von Biologielehrern präpariert. Nur den einen Elefantenpenis, den hat er gekauft.

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Zum Kauf eines Tickets erhält man einen kleinen Plastikordner, wie man sie aus der Schule kennt. In ihm sind in echter Hobbyarbeit die einzelnen Weckgläser anhand von Nummern den entsprechenden Informationsblättern zugeordnet. Sigurdur hat sie sogar in verschiedenen Sprachen ausgearbeitet. Man schlendert damit von Exemplar zu Exemplar, wobei man sich oft wundert, wie groß und völlig unpenishaft diese tierischen Glieder so aussehen. Wie Hörner oder manchmal wurmfortsätzige Därme, im Fall des Bullens sogar fast wie Geigenbögen. Jene wurden auch gerne als Peitschen benutzt, weil sie von so beträchtlicher Länge waren. Die guten Stücke liegen nicht nur in Weckgläsern, sie hängen auch an der Wand. Von Holzbrettern, an denen man sonst nur Hirschgeweihe erwartet, ragen einem ganz selbstverständlich ausgestopfte Phalli entgegen. Erst auf den zweiten Blick fällt einem auf, dass sogar die kleinen Leuchten zwischen den Austellungsstücken von geschnitzten Penissockeln herunter strahlen, manchmal streben mehrere Eicheln astartig von einem Stamm weg. Und von der Decke hängen Lampen, zu denen Sigurdur erzählt, dass er sie selbst mit Rinderhoden bespannt habe. Von den Weckgläsern aus gerät man dann gleich in die volkskundige Abteilung. Und weil Island ein sagenumwobenes Land ist, schwimmt hier natürlich auch ein angeblicher Penis der dreizehn isländischen Weihnachtstrolle. Sogar der eines Elfen ist vertreten. Der ist extra in isländischem Quellwasser eingelegt und Sigurdur sagt: „Für die meisten ist es zwar bloß ein Wasserglas, aber es gibt Frauen, vor allem ältere Isländerinnen, die behaupten ihn deutlich sehen zu können.“ Außerdem gibt es kleine Textauszüge aus alten isländischen Legenden an den Wänden, in denen es Penisvorkommnisse jeglicher Hinsicht gibt. Säuberlich mit Textmarker herausgearbeitet. Wenn man sich ein wenig mehr Zeit nimmt und jedes der vielen kleinen Bildchen an der Wand betrachtet, findet man auch das Foto eines riesigen Schneepenisses. Neben ihm steht ein älterer Herr. Er ist Lehrer. Seine Schüler hatten das abgebildete Glied nachts in der Absicht, ihm einen Streich zu spielen, vor seinem Haus erbaut. Als er es am nächsten Morgen entdeckte, ließ er sich stolz davor fotografieren und schickte es sofort an Sigurdur. Die Isländer helfen sich eben gegenseitig. Oft kriegt er Post von Künstlern, die ihm einen Penis gemalt haben oder andere kleine Entdeckungen senden, die mit dem männlichen Geschlechtsorgan zu tun haben. Alle werden hier ausgestellt. Wenn man weitergeht, hat man die Runde auch schon bald beendet und kommt zu einer Glasvitrine, in der man noch ein kleines Stilleben an Essensbesteck findet. Jedes Teil ist aus Holz geschnitzt und natürlich: in Penisform. Aus der Eichel eines Penisses streut sich Salz, in der des anderen stecken Zahnstocher. Das tut ein bisschen weh beim Angucken. Und vor der Szenerie ein kleines Schild: „Das Abendmalgeschirr des Phallothekdirektors.“ Gerade bei solchen Austellungsstücken fragt man sich, wie man diesen Typen mit seiner Sammlung jetzt eigentlich einordnen soll. Einerseits ist er so wissenschaftlich und hochprofessionell akribisch dabei, scheint sich allen Ernstes für jeden einzelnen ausgestellten Penis und seine Hintergründe brennend zu interessieren. Ganz der nerdige Lehrertyp. Der meint das eben ernst. Und dann trifft man aber so viele kleine, verrückte Gegenstände und humoröse Bildchen, dass man wiederum den Eindruck bekommt, das alles wäre nur flache Witzemacherei oder ein sehr skurriler dänischer Film. Wenn man ihn fragt, wie er zu seinem Hobby kam, erzählt Sigurdur folgende Geschichte: „Als Kind wurde ich oft in den Ferien von Reykjavik aus aufs Land geschickt und bekam dort einen Ochsenpenis als Peitsche für die Tiere. 1974 lebte ich gerade in Akranes im Südwesten und arbeitet als Direktor einer Schule, in der einige Lehrer im Sommer auf einer Walfangstation gearbeitet hatten. Vermutlich um mich ein bisschen zu ärgern und weil sie die Geschichte mit der Ochsenpeitsche kannten, fingen sie eines Tages an mir Walpenisse zu bringen.“ Sigurdur liess sich nicht ärgern – im Gegenteil fand er die Idee sogar sehr interessant und beschloss von nun an eine Sammlung entstehen zu lassen. Später, als er Spanisch und Geschichte an einem College in Reykjavik unterrichtete, eröffnete er dort schließlich sein Museum. Das war 1997. Im Jahr 2004 ging er in den Ruhestand und zog mit seiner Frau und seinen Kindern nach Husavik. Da waren die Mieten nicht so teuer. Seine Familie unterstützt ihn übrigens in seinem Hobby: Von seiner Tochter hat er eine selbstgebastelte Penislampe bekommen, seine Enkelin malte ihm mit ihren Buntstiften einen Phallus, den er auch gleich im Museum aufgehängt hat. Und seine Frau ließ ihm sogar mal einen Kerzenständer in Form eines Phallus anfertigen. Zu Weihnachten trägt er eine Pottwalpenisfliege um den Hals – und keinen störts. Er sagt, um seine Leidenschaft zu verstehen, brauche man eben vor allem ein ausgeprägter HQ, die Abkürzung für Humorquotient. Aber während man so über den knarzenden Boden des liebevoll bestückten Museums schleicht, fehlt einem etwas. Und auch Sigurdur empfindet das so: Er wartet noch ungeduldig auf das erste, richtig menschliches Austellungsexemplar. Er verweist auf die vielen Urkunden an den Wänden. Beim näheren Betrachten liest man tatsächlich die offiziellen Deklarationen verschiedenster Männer: Dessen Fortpflanzungsorgane sollen nach ihrem Tod ihre Ruhe in einem Einmachglas in Sigurdurs Penisstube finden. Gerne erzählt er auch die Geschichte von dem Amerikaner, der sich seinen Penis bei lebendigem Leibe hat abschneiden lassen wollen, um ihn dann selbst noch im Museum betrachten zu können. „Wahrscheinlich ist der ein bisschen verrückt“, fügt Sigardur in seiner zurückhaltenden isländischen Art hinzu, „aber irgendwie passt das ja auch ganz gut hier rein.“ Und ganz klar ist außerdem, das sein eigener Phallus hier landen soll, wenn er selbst mal nicht mehr lebt. Das sagt er, wenn man ihn fragt, ganz ruhig und mit diesem seltsamen, isländischen Schmunzeln, das man wohl nur versteht, wenn man echtes Wikingerblut in sich trägt und mit Elfen und Trollen aufgewachsen ist. Das extra für Sigurdur gedichtete deutsche Lied: „Das Pe-Pe-Penismuseum von Reykjavik“ von Wolfgang Müller, kann man sich übrigens auf der Homepage des Phallologischen Museums anhören.

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