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"Gute Unis können sich nur noch Reiche leisten"

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Seitdem die italienische Bildungsministerin Maria Stella Gelmini im August ihre Bildungsreform ins Rollen gebracht hat, gibt es in Italien große Wellen des Protests. Im ganzen Land gehen Eltern, Schüler und Studenten auf die Straße und ein Ende ist nicht abzusehen. Sie protestieren gegen die enormen Kürzungen der Gelder für staatliche Universitäten sowie gegen die personellen Einsparungen bei Lehrern und Dozenten. Die Demonstranten sehen die durch die Reform ermöglichte Privatisierung der öffentlichen Hochschulen als große Gefahr für die unabhängige Bildung. In regelmäßigen Abständen legen die Demonstrationen sowohl den Unibetrieb, als auch den öffentlichen Verkehr der italienischen Hauptstadt lahm. Die Studenten besetzen Fakultäten, hängen Plakate aus den Fenstern und schlafen in den Hörsälen. Einige der Dozenten halten ihren Unterricht im Freien ab, um die Studenten öffentlich zu unterstützen. Am vergangenen Freitag trat das nationale Bildungswesen in Generalstreik und das ganze Wochenende lang fanden in Rom Demonstrationen, Versammlungen und Workshops statt, zu denen Schüler und Studenten aus ganz Italien angereist kamen. jetzt.de hat mit Teilnehmern gesprochen

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Auf der nächsten Seite: Warum Giuseppe, Filippo und Cecilia demonstrieren


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Giuseppe, 24, BWL-Student aus Rom Warum nimmst du an den Demonstrationen teil? Um die Meinung der Studenten in die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn die Regierung nicht hören will, müssen wir unsere Stimmen erheben. Wird euer Protest wirklich etwas an der Gesetzgebung verändern? Ich glaube nicht, dass wir ernsthaft etwas daran verändern können. Aber es ist der einzige Möglichkeit, um vielleicht etwas zu ändern. Wir hoffen auf einen politischen Dialog, bei dem wir unsere Vorschläge einbringen können.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Stefano, 21, Agrarwissenschaftsstudent aus Florenz Alessandro, 20, Agrarwissenschaftsstudent aus Florenz Wie sieht euer Wochenende aus? Wir nehmen bis Sonntag an den Veranstaltungen teil und schlafen in den besetzten Fakultäten der Sapienza. Warum seid ihr extra aus Florenz auf die Demos nach Rom gefahren? Wir wollen die Proteste der einzelnen italienischen Städte vereinen. Wir spüren, dass unsere Zukunft in Gefahr ist, aber nicht nur unsere, sondern auch die der nachfolgenden Jahrgänge. Wir sind also nicht nur für uns hier, sondern auch für alle anderen da draußen. Wir sind wahnsinnig wütend, da die italienische Regierung nur noch korrupt handelt und es keine wirkliche Volksvertretung gibt. Alles was uns bleibt, ist auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren! Bringen die landesweiten Proteste etwas? Ja, durch die Demos der vergangenen Wochen haben sich die politischen Prozesse schon stark verzögert und auch mit den Aktionen an diesem Wochenende werden wir etwas bewirken können. Seit wann seid ihr politisch aktiv? Politisch interessiert waren wir schon immer. Aber so richtig aktiv geworden sind wir erst, seitdem uns die neuen Gesetze der Gelmini direkt betreffen. Außerdem ist das Gemeinschaftsgefühl und das Malen der Plakate toll. Was verändert sich durch die neue Gesetzgebung? Nur noch Leute, die sich die Universität leisten können, können sich bilden, alle anderen nicht. Gute Universitäten können sich nur noch Reiche leisten.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Cecilia, 24, Literaturwissenschaftsstudentin aus Genua Warum bist Du aus Genua nach Rom zum demonstrieren gekommen? Ich bin sehr besorgt über unsere Zukunft, da unser Recht zu studieren von der Regierung schon seit Jahren unterdrückt wird und die neueste Reform setzt diese erschreckende Tendenz weiter fort. Wird dieses Wochenende deiner Meinung nach eine Veränderung mit sich bringen? Es wird sicher nicht ausreichen, wir müssen weitermachen und uns nicht desillusionieren lassen, wenn die Ergebnisse nicht sofort sichtbar werden. Glaubst du, es entsteht eine Studentenbewegung wie in den 68er? Das weiß ich nicht genau, es war sicher anders. Aber ich habe noch nie so eine starke Gemeinschaft unter den Studenten gespürt wie jetzt. Wie sieht für dich eine gute Demonstration aus? Eine Demo sollte auf jeden Fall immer friedlich ablaufen, aber der Spaß sollte dabei nicht fehlen. In Genua haben wir letzte Woche einen Drachen gebastelt, den wir dann auf einem Platz verbrannt haben. Also ein wenig gemeinsamer Spaß sollte schon dabei sein.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Filippo, 21, Physikstudent aus Pisa Wo wirst du heute Nacht schlafen? Auf dem Boden der Universität, wie alle anderen auch, die für das Wochenende gekommen sind! Und dann werden wir das ganze Wochenende an den Veranstaltungen teilnehmen. Ich bin schon seit 5.30 Uhr auf den Beinen und habe gemeinsam mit ungefähr 1000 anderen Studenten einen Spezialzug aus Pisa genommen. Was soll bei diesem Wochenende herauskommen? Wir wollen ein Resümee der vergangenen Aktionen ziehen, Gegenvorschläge entwickeln und die nächsten Aktionen planen. Außerdem wollen wir lernen, wie wir auch in Zukunft Studenten- und Arbeiterproteste verbinden können. Wir wollen diese Protestwelle für alle Schichten öffnen und eine gemeinsame Bewegung schaffen. Macht das Demonstrieren auch Spaß? Naja, Spaß eher weniger. Es ist sehr ermüdend und anstrengend, wenn wir keinen Grund zum Demonstrieren hätten wäre es besser!


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Claudia, 20, Physikstudentin aus Rom Warum nimmst Du an den Protesten teil? Ich habe Angst um meine Zukunft. Ich glaube wirklich, dass jetzt der richtige Moment ist die Stimme zu erheben. Wir sind die Generation, die keine Lust mehr hat, so weiterzumachen, wir wollen uns diese Kürzungen nicht mehr gefallen lassen. Wenn jemand nach der Universität promovieren möchte, sollte er nicht auswandern müssen, nur weil die italienischen Universitäten keine finanzielle Unterstützung bieten können. Es sollten nicht mehr die politischen Parteien zählen, sondern die Bedürfnisse der einzelnen Personen. Was für Gefühle hast du bei den Demonstrationen? Ich bin zwiegespalten: Einerseits Teil eines großen Ganzen zu sein, da wir alle ein Ziel verfolgen und Gerechtigkeit für uns möchten. Andererseits habe ich aber auch das Gefühl, als einzelne Person mit eigenem Standpunkt zu zählen. Dieser sowohl universelle, als auch persönliche Aspekt macht den ganzen Sinn dieses Protestes aus.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sebastian, 27, Student der sozialen Arbeit aus Berlin Was machst du als Berliner hier auf den Protestveranstaltungen der italienischen Studenten? Ich bin am Donnerstag nach Rom gekommen, um an der besetzten Uni „La Sapienza“ mit Leuten zu reden, Erfahrungen auszutauschen und an den Konferenzen teilzunehmen. Wie die anderen angereisten Studenten schlafe ich in der besetzten Physikfakultät. In Deutschland bin ich bei dem Netzwerk „Bildungsblockaden einreißen“ dabei, und habe zum Beispiel die Studentenproteste in Hessen mitorganisiert. Demonstrieren Deutsche anders als Italiener? Die Massenbewegung hier ist wirklich beeindruckend, landesweit werden Unis und Schulen besetzt und es wird demonstriert. Und die italienische Studentenbewegung ist der deutschen einen Schritt voraus, weil hier Schüler, Studenten und Beschäftigte ihre Kampfkraft vereinen. Die Stimmung ist sehr kämpferisch, aber auch sehr demokratisch. Welche Eindrücke nimmst du mit nach Hause und können wir etwas von den Italienern lernen? Die Studenten sind sehr freundlich und interessiert an Gesprächen und Diskussionen. Gemeinsam und demokratisch überlegen sie wie es weitergehen soll. In Italien organisieren sich die Studenten selbst, die Eigeninitiative ist wirklich beeindruckend, da können wir Deutschen uns was abschauen. Auch bei uns wäre ein Generalstreik des Bildungswesens wünschenswert, am besten gemeinsam mit den Arbeitnehmern.

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