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Honorarkonsuln erzählen (IX): Frankreich - Schläfer, Betrüger, Schäfer

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Wir haben hier in Südfrankreich viele deutsche Aussteiger. Meist so aus der grünen Ecke. Da gibt es Leute, die 1986 der Tschernobylwolke entfliehen wollten und sich im Hinterland niedergelassen haben. Manche züchten heute Schafe und betreiben eine kleine Biolandwirtschaft. Allerdings gibt es unter den Aussteigern auch komische Gestalten. Einmal klopft bei uns ein Mann an die Bürotür. Ich bin gerade im Urlaub gewesen, ein Kollege hat mich vertreten. Der Mann klopft also an die Tür, mein Kollege öffnet und der Mann sagt: „Ich brauche dringend Geld“. Er gibt ihm 50 Franc. Drei Stunden später läutet es erneut. Wieder ein Deutscher. Und der sagt doch glatt: „Ich habe gehört, hier kann man sich Geld holen“. „Arabisches Telefon“, wie wir das hier in Frankreich nennen. Es spricht sich eben unter den Aussteigern schnell herum, wenn es Kohle gibt.

Martin Andersch Foto: privat Ein Honorarkonsul kann natürlich nicht einfach so Geld hergeben. Das gibt’s bei uns nur in Notfällen. Überhaupt habe ich mit dem Geld schon einige negative Erfahrungen gemacht. Schon gleich zu Beginn meiner Arbeit. Man muss eines wissen: Wer zum Honorarkonsul ernannt wird, der hat das ja nicht studiert. Das heißt: Keine Einweisung, keine Ausbildung, kaum Informationen über die anfallende Arbeit. So sind ersten Monate eigentlich die überraschendsten Zeiten gewesen. Schon mein erster Fall nach zwei Wochen Amtsübernahme hat es in sich: Ein wirklich nett aussehendes Ehepaar mit zwei süßen Kindern klingelt bei mir im Büro. Sie erzählen, dass sie nicht wissen, ob sie ihre Tasche mit Geld und allen Ausweisen nur im Supermarkt vergessen haben oder ob sie ihnen gestohlen worden ist. Sie wirken ehrlich, wie Leute, die wirklich Hilfe brauchen. Ich kümmere mich also um alles: Um die Zustimmung zur Rückführungsfinanzierung vom übergeordneten Generalkonsulat, organisiere das Formular. Damals noch auf Kohlepapier, mit sieben Durchschlägen, da musste man noch richtig auf den Kugelschreiber drücken. Jedenfalls, alle Daten sind erfasst, das Geld ist ausgehändigt. Dann will ich nach ein paar Tagen nachfragen, ob die Familie gut zuhause angekommen ist. Also rufe ich mehrmals bei den angegebenen Nummern an. Lange keine Antwort. Schließlich nimmt eine Frau den Hörer ab. „Von wo rufen Sie denn an?“, fragt sie. Ich sage: „Montpellier“. Sie wieder: „Montpellier, wo liegt denn das?“ Ich schildere ihr daraufhin, wo Montpellier ist. Und dann kommt eine Antwort, die mich total überrascht hat: „Die sind ab nach Afrika, mit Firmen-Kasse und Wagen, Kind und Kegel. Und haben den gleichen Erfolg noch bei Auslandsvertretungen in Spanien und Portugal gehabt. Alles in ein paar Tagen“. Solche komischen Geschichten erlebe ich leider öfter. Schöne Erlebnisse sind seltener. Das liegt auch daran, dass ich kaum Rückmeldungen von den Betroffenen erhalte. Das Jahresendschreiben der Botschaft ist meist das einzige Feedback. Bei den dramatischen Fällen ist das natürlich anders. Etwa bei Familienzusammenführungen oder wenn verschwundene Kinder von uns gefunden werden. Da bekommt man dann schon ein Echo, und die Leute bedanken sich mit einer Postkarte. Das freut mich immer sehr. Schön ist auch zu sehen, wie die deutsch-französischen Beziehungen hier gepflegt werden. Seit mehr als 40 Jahren haben wir eine Partnerschaft mit Heidelberg, zu uns kommen auch viele Erasmusstudenten. Trotz der guten Beziehungen ist es aber gar nicht so leicht, deutsche Praktikanten unterzubekommen. Das gilt auch umgekehrt. Nun habe ich mit Unternehmern ein deutsch-französisches Wirtschaftsnetz namens Rafal gegründet, mit dem wir es deutschen Studenten erleichtern wollen, ein Praktikum zu bekommen. Erfreulich ist es auch, dass mit dem Schengenabkommen in der EU vieles einfacher geworden ist. Wenn früher ein Deutscher, der in Frankreich gestorben ist, in die Bundesrepublik transportiert wurde, musste das französische Fahrzeug an der Grenze halten. Ab Deutschland haben dann eben die Deutschen den Transport übernommen. Das gibt es heute nicht mehr. So wurde für uns die Arbeit in manchen Bereichen leichter. Langweiliger aber nicht. Bei den Deutschen, die in Frankreich sesshaft werden, haben wir dagegen ganz andere Probleme. Die denken erst mal, dass sie sich irgendwo anmelden müssen. So wie in der Bundesrepublik beim Einwohnermeldeamt. Die kommen dann zu mir und sagen: „Wir müssen uns doch irgendwo anmelden. Das geht doch nicht, dass man unangemeldet wohnt“. Und ich erkläre ihnen dann, dass das in Frankreich eben anders ist. Überhaupt läuft hier nicht alles so geordnet ab wie in Deutschland. Erst regt das die Deutschen auf. Nach einiger Zeit jedoch, wenn sie sich eingewöhnt haben, sagen dieselben Leute dann nach einem Besuch in der Bundesrepublik: „Ich kann diese Pingeligkeit der Deutschen nicht mehr ertragen“. Allerdings erlebe ich auch Leute, die in Frankreich ihre guten Manieren vergessen. Einmal, so um die Mittagspause, habe ich ein junges deutsches Pärchen im Firmenbüro. Geld und Papiere weg. Die junge Frau sitzt auf einem Stuhl, daneben die zwei Rucksäcke. Aber was macht ihr Freund? Der schläft doch glatt auf dem Teppichboden. Das muss man sich mal vorstellen. Und ich arbeite zudem noch mit anderen Architekten in einem Gemeinschaftsbüro. Ich frage also den Freund: „Wieso schlafen Sie hier in meinem Büro?“. Er war, wie sich dann herausgestellt hat, der Sohn eines Museumsdirektors. Das brachte mich auf eine Idee, wie ich ihm zeigen kann, wie deplaciert sein Verhalten ist. Und sage: „Können Sie sich vorstellen, dass jemand im Empfangsbüro ihres Vaters auf dem Fußboden übernachtet?“ Leider verhalten sich die Leute im Urlaub eben oft anders als daheim.

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