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Ich lanze, du lanzt, er, sie, es lanzt

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Es ist nicht lange her, da wurde die deutsche Sprache wieder mal um ein Wort reicher. Nachdem unser Bundespräsident wutentbrannt die Überschreitung des Rubikons auf Kai Diekmanns Anrufbeantworter verkündet hatte, wurde sein Nachname zu einem Verb: wulffen. Der Bedeutungen gab es gleich zweierlei: Zum einen bezeichnet das Verb besagtes wütendes AB-Vollquatschen. Zum anderen die Tätigkeit des Nicht-Lügens-aber-auch-nicht-die-ganze-Wahrheit-sagens.

Wulff war bei weitem nicht der erste, dessen Namen ververbt wurde. Die Tätigkeit des Morsens ist nach dem Erfinder der Technik Samuel Morse benannt. Arbeitslose hartzen, Altersvorsorger riestern, die Angewohnheit der Kanzlerin, Konflikte dadurch zu lösen, sich möglichst lange nicht festzulegen, ist als Merkeln bekannt.

Aus aktuellem Anlass möchten wir der Reihe der Namens-Verben jetzt ein neues hinzufügen: lanzen. Konjugiere: Ich lanze, du lanzt, er, sie, es lanzt.

Denn der deutschen Sprache fehlt bislang ein knackiges Wort für eine Situation, die vielen Deutschen in ihrem Leben widerfahren sein dürfte, und in der sich seit Mittwoch der Markus Lanz befindet.

Markus Lanz soll nach (von ihm und dem ZDF bislang noch unbestätigten) Medienberichten der Nachfolger von Thomas Gottschalk als Moderator von „Wetten, dass..?“ werden. Ein Jahr hat es gedauert, bis das ZDF sich für ihn entschieden hat. Lanz hätte wahrscheinlich schon viel früher zugesagt – wenn man ihm früher ein passendes Angebot gemacht hätte. Aber er musste weiter auf seinem Talkshow-Sessel im ZDF sitzen und warten, bis dessen Programmdirektor Bellut sich von Hape Kerkeling und Jörg Pilawa ein Nein abgeholt hatte.

Es braucht so ein Wort für Menschen, die Notlösungen sind. Vielseitig anwendbar wäre das Verb, die Welt ist ja voller Notlösungen. Sportjournalisten könnten schreiben, dass Ersatzspieler auf der Bank lanzen. Und wenn wieder mal ein Politiker skandalgebeutelt zurücktreten muss, könnten Hinterbänkler aus der zweiten Reihe ins Amt lanzen. Wer lanzt, ist derjenige, der erst dann mitmachen darf, wenn die eigentlich favorisierten Kandidaten nicht wollen. Nicht mal ein Plan B, sondern mindestens ein Plan C. Das nicht ganz so interessante Mädchen lanzt an der Bar und wartet darauf, dass der knutschwillige Typ seine zwei Supermädchen-Freundinnen neben ihm an der Bar erfolglos angegraben hat und sich schließlich doch ihm zuwendet. Der Junge mit dem nicht sonderlich gut ausgeprägten Ballgefühl lanzt bei der Mannschaftswahl im Sportunterricht, bis die Volleyball-Checker auf die Teams verteilt sind und sich endlich einer erbarmt und ihn zu sich aufnimmt.

Die Feinheiten in der Bedeutung des Verbs lanzen sind freilich noch nicht ausgemacht. Man könnte es abfällig gebrauchen – aber eigentlich wäre das scheinheilig. Denn egal wie gut man ist, es gibt immer jemand Besseren. Bekommt man einen Job angeboten, heißt das nicht zwangsläufig, dass man auf der Liste des Personalchefs ganz oben stand. Vielleicht hat jemand abgesagt, und man lanzt in den Job, ohne es zu merken. 

Entscheidend ist wohl, was kommt, nachdem man sich in einen Job gelanzt hat. Markus Lanz ist zurzeit auf Reisen und hat noch nicht offenbart, wie er sich dabei fühlt, als dritte Wahl auf die Gottschalk-Couch gerutscht zu sein. Wichtiger noch: Die neue Wetten, dass..?-Ära beginnt im Herbst, erst dann wird man sagen können, was das Lanzen noch beinhaltet: Dass die Notlösung es besser macht, als der Vorgänger oder die ursprünglich favorisierten Kandidaten. Oder dass der Junge ohne Ballgefühl wie zu Erwarten bei der ersten Ballannahme stolpert – und nach ein paar Minuten ausgewechselt wird.

Text: christian-helten - Illustration: katharina-bitzl

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