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Ich und die Brüllaffen

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Und plötzlich war da dieser Mann. Ein Männchen eigentlich eher – schrumpeliges Gesicht unter der groben Wollmütze, geifernder Blick, geifernder Ton, festes Schuhwerk. Er spuckte beim Brüllen, und er brüllte immer. „Nazi-Arschlöcher!“, „Fickt euch!“, „Wir wollen euch hier nicht!“, „Widerliches Gesindel!“, „Verschwindet!“ Und immer wieder „Pfuuiiii!“ und „Buuuh!“ Jedes Mal noch etwas keifender hervorgespien. Auch, um die Trillerpfeifen zu übertönen. Aber wohl auch aus Hass.

Dieser Mann hasste weißglühend und das ist wohl sehr gut. Glaube ich. Er brüllte schließlich Demonstranten der Mügida an, des zweiten Münchenablegers der Pegida (der „offizielle“ und zahlenmäßig etwas größere heißt Bagida und lief zeitgleich ein paar Kilometer entfernt). Vergangenen Montag war das und ich musste die Demo vorzeitig verlassen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Wer brüllt, hat doch so schrecklich selten Recht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Demo in München am vergangenen Montag.

Der Mann und viele mit ihm machten mir jedenfalls Angst, auch, wenn der Rest mehrheitlich fröhlich Trillerpfeifen und Blechblasinstrumente statt Parolen nutze, um seinen Unmut kundzutun. Beziehungsweise riefen sie genauer ein Unbehagen in mir hervor, das irgendwo im Unterbauch mit einem kalten, elektrischen Ziehen begann und sich von dort binnen einer halben Stunde bis in die Haar- und Fingerspitzen ausbreitete. Ich glaube, Abscheu fühlt sich so an, das tiefe Gefühl, ein Fremdkörper zu sein.

Grund war wohl auch das Zahlenverhältnis: Etwa ein Dutzend Mügida-Vertreter, so schrieben die Kollegen auf sz.de, seien am Weißenburger Platz zusammengekommen. Wenigstens gefühlt waren es noch weniger. Und etwa 250 Gegendemonstranten. Der Weißenburger Platz liegt im Stadtteil Haidhausen. Man könnte ihn als Ort gentrifizierter Co-Existenz beschreiben. Im Sommer führen gut angezogene Eltern hier ihre Kinder um den Springbrunnen, während die lokalen Trinker gewohnheitsmäßig und eher grimmig daneben sitzen. Im Winter ist Christkindlmarkt. Die Grünen erreichen bei Wahlen in diesem Stadtteil regelmäßig Ergebnisse über 40 Prozent. Man ist sich hier mit tiefer Münchner Gemütlichkeit sehr einig über sehr viel. Konflikte gibt es eher nur, wenn Mütter mit Kinderwagen über eine Straße wollen, die auch von Autos genutzt wird.

250 gegen zwölf, das zeigt auch Einigkeit. Und es erscheint mir wie ein durchaus demokratisch verfasstes Verhältnis. Etwas weniger als fünf Prozent Vollidioten, damit kann man eine Wahl abhalten. Es ist, als würden in Dresden etwa 400.000 Menschen gegen Pegida auflaufen. Aber es ist noch eindrücklicher, weil wir kleinere Zahlen direkter erfassen können.

Der Sieger – aber bitte: dieses Bild mag auch ganz furchtbar schief sein, weil es bei Demonstrationen vielleicht auch nicht ums Gewinnen geht – stand also schon fest, bevor das Spiel überhaupt angepfiffen war. Und als der Demonstrationszug sich in Bewegung setzte, vorne (umringt von einem Schutzwall aus Polizisten) die Mügida-Würstchen, und hinten die Demonstranten mit ihren Trillerpfeifen und ihren Schildern und ihren Parolen und ihren Gesängen, da war das Unbehagen bei mir längst in alle Kapillargefäße gespült worden.

Der Politikwissenschaftler rät: "Zieh den Kopf aus dem Arsch!" Weil offener Streit wichtig ist.


Denn vorne, da lief wenigstens optisch nicht der dumpfe Nazi-Plumquatsch, den ich vielleicht erwartet hatte. Keine kahlen Schädel, keine Visagen wie Kassler in Aspik. Da war ein Mann mit Beatles-Frisur und hohem Anteil an Outdoor-Funktionskleidung. Und eine Frau, die aussah, als würde sie oft mit Hirse kochen. Und da war dieses Gefühl, dass diese Leute gerade keine Protestbewegung anführen, sondern dass sie vielmehr vor einem Pulk hergetrieben werden. Ich musste an Menschen in Schandgeigen denken, die man auf dem Marktplatz ausgestellt hat.

Und da war ich. Der Fremdkörper. Der ja gekommen war, um Gesicht zu zeigen, gegen etwas Widerliches, etwas, das er verachtet. Der sonst durchaus ein Fan davon ist, Vollidioten zu sagen, dass sie Vollidioten sind. Ich finde, man muss nicht immer den Umweg über die umfassende Differenzierung nehmen, um bei der Erkenntnis anzugelangen, dass ein Depp schon wirklich ein Depp ist. Ich mag Abkürzungen. Auch, wenn es Trampelpfade sind.

Und trotzdem konnte ich mich nicht identifizieren mit alldem um mich herum. Weil es mir erschien, wie ein Empörungswettbewerb, bei dem derjenige der beste Mensch ist, der am energischsten zeigt, wie schlimm er das alles findet? Weil ich die individuellen Anliegen auf beiden Seiten nicht kannte (eine erste Studie über die Pegida in Dresden zeigt ja, dass die durchaus ambivalent sind)? Weil Dialog so nicht zustande kommt? Weil Meinungsfreiheit immer die Freiheit der anderen meinen muss?

Andererseits ist Rassismus ja auch keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Und wenn eine Demokratie eine Pegida-Demo aushalten muss, muss eine Pegida-Demo doch auch eine Gegendemo aushalten. Und dumpfe Ressentiments sind ja auch keine politische Position. Und außerdem: Wehret den Anfängen.

All diese mehligen Phrasen habe ich also in meinem Kopf hin- und hergeschoben, als ich nach Hause ging, um mich noch ein paar Stunden mies zu fühlen. Dann rief ich den Bekannten S. an, der inzwischen an angesehener Stelle Politikwissenschaft lehrt. S. gestand mir viele meiner Phrasen eine Zeitlang zu. Dann grätschte er doch dazwischen: Es sei ein Merkmal unserer „harmoniesüchtigen Gesellschaft“, sagte er, Konflikte zu scheuen. Zeiten, in denen eine große Koalition regiert, seien da übrigens besonders anfällig für. Dabei gehöre Streit, auch der heftige, offen ausgetragene, zur Demokratie.

Ihm jedenfalls, da spreche er jetzt aber privat, sei in diesem Fall jeder Brüllaffe lieber als jemand, der gar nicht da ist. Ich solle also – mit Verlaub – „den Kopf aus dem Arsch ziehen“ und wieder antreten. Ich halte den Bekannten inzwischen für eine kleine Instanz was das Thema betrifft, deshalb gehe ich heute Abend noch mal hin. Diesmal wieder zur großen Demo, da kann man nicht jedem Einzelnen, der gerade ausgepfiffen wird, in die Augen schauen. Alles ist diffuser. Auch und vor allem die vermeintliche Anerkennung, die man für besonders heftiges Demonstrieren bekommt. Das ist mir näher, glaube ich.

Gesicht zeigen. Versteckt zwischen zehntausenden anderen Gesichtern. Hm, wenn man es so formuliert, klingt es auch schon wieder nicht richtig.


Text: jakob-biazza - Foto: Florian Peljak

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