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Ich will nicht deine beste Freundin sein!

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Alle zwei Wochen habe ich einen Termin, der mich mit ziemlich schlechtem Gewissen zurücklässt: da telefoniere ich mit Jule. Sie schreibt mir vorher euphorische SMS: "Freu mich riesig aufs Quatschen!" Ich fühle mich eher, als stünden mir unangenehme Pflichten wie Badputz oder Behördengang bevor.

"Ah ja", könnte man nun verständnisvoll sagen, "Jule, das ist sicher so eine alte Schulfreundin, mit der dich nicht mehr verbindet als die Erinnerung an langweilige Physikstunden. Oder sie ist die anstrengende Kommilitonin, mit der du abgesehen vom Referatsthema nichts gemeinsam hast." Aber all das ist Jule nicht. Jule ist für mich eine gute Bekannte. Aber ich bin für sie ihre beste Freundin. Unfreiwillig.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Einseitige Liebe – gibt's auch bei Freundschaften

Vor etwa einem Jahr waren Jule und ich "Freundesfreunde". Dann wurden wir einander auf einem Festival vorgestellt, zu Tetrapack-Weißwein und Gitarrengeschrammel. Ein Wochenende lang taumelten wir zwischen Zeltplatz und Konzerten hin und her. Wir verstanden uns gut und waren uns sympathisch. Als wir Sonntagabend die Zelte abbauten, war sie ganz ergriffen und sagte, dass sie mich vermissen werde. Ich lachte und stimmte theatralisch in ihren Abschiedsschmerz ein.

Zu Beginn unserer Freundschaft stand ich staunend da, während Jule voller Liebe um mich herumwirbelte

Weil wir in der gleichen Stadt wohnen, trafen wir uns wieder. Bei der Begrüßung wurde ich misstrauisch: Klar fand ich es nett, sie zu sehen. Sie aber fiel mir um den Hals, als wäre ich ihre lang verschollene Schwester. Okay, redete ich mir ein, so ist sie eben: emotional. Später saßen wir mit ihrem Freund zusammen. Sie erzählte ihm mit glühenden Wangen, sie habe sich während des Festivals total in mich verknallt. "Auf den ersten Blick!" Sie strahlte. Er guckte skeptisch. Und ich lächelte angestrengt. Aber irgendwie war es ja auch schmeichelhaft und ich wollte mich darauf einlassen.

Zu Beginn unserer Freundschaft stand ich also vor Staunen erstarrt da, während sie voller Liebe um mich herumwirbelte. Und als ich mich wieder regen konnte, sagte sie schon: "Ach, wie gut, dass ich dich hab". Ich fühlte mich mies, weil ich das so gar nicht erwidern konnte.

Mir fiel und fällt dafür kein Grund ein. Jule macht interessante Sachen und denkt kluge Dinge. Wir teilen Meinungen und mögen dieselbe Musik. Sind das nicht die besten Voraussetzungen für eine Freundschaft? Und Freundschaften, sind das nicht diese Anker, diese freiwillig gewählten Bindungen, für die man furchtbar dankbar ist in einer Welt, in der man zwangsläufig schon mit so vielen Menschen zu tun hat, mit denen man lieber nichts zu tun hätte?

Jule erzählt mir intime und unangenehme Geschichten, sie vertraut mir voll und ganz, aber redet nicht nur über sich, sondern stellt mir Fragen. Sie ist empathisch und interessiert an allem, was mich so bewegt. Bloß das Wichtigste, das wiederum scheint ihr absurderweise nicht aufzufallen: dass ich mich in meiner neuen Rolle als ihre Verbündete nicht wohl fühle.

Als Jule sich von ihrem Freund trennte und in eine andere Stadt zog, ertappe ich mich bei der Hoffnung, dass sich nun womöglich alles "ausschleicht". Ein paar Mal rief sie mich an, fragt, ob sie auf der Durchreise spontan bei mir übernachten könne. Ich begann, mir Ausreden einfallen zu lassen: Oh, ich bin jetzt erstmal unterwegs und später dann woanders; nein, dir kann leider niemand die Tür aufmachen. Ich fühlte mich bedrängt, dabei verhielt sich Jule gar nicht aufdringlich, sondern so, wie auch ich mich in engen Freundschaften verhalte. Bei engen Freunden wäre es allerdings auch selbstverständlich für mich, ihnen zu jeder Tages- und Nachtzeit die Tür zu öffnen. Oder ehrlich zu sagen: Es passt mir grade gar nicht.

Man vergisst, dass auch bei einer Freundschaft manchmal einfach nicht der Funke überspringt

Ich habe schlichtweg den Zeitpunkt verpasst, an dem ich noch hätte aussteigen können, ohne Jule zu verletzen. Ich habe nie widersprochen. Und jetzt fühle ich mich, als müsste ich ihr eine Klischee-Abfuhr verpassen: Sorry, es liegt echt nicht an dir!

Dabei ist das Quatsch. Natürlich liegt es an ihr. Es liegt an ihr, an mir und an uns. Das Besondere an Freundschaften und Beziehungen aller Art ist, dass sie aus beidseitigem Interesse eingegangen werden. Sobald etwas nicht auf Gegenseitigkeit beruht, fühlt sich falsch an, was sonst so richtig sein kann: die Anfangsphase, in der man ständig aufeinander hängt, in Dauer-Kontakt steht, sich gegenseitig hypet. Das ist wichtig, denn so entsteht eine Basis, festigt sich etwas, das die Freundschaft später durch schwierige Zeiten bringen kann, durch Streit oder räumliche Trennungen. Eine Freundschaft geht man allerdings viel schneller ein als eine Beziehung. Der Exklusivitätsfaktor fehlt. Dabei vergisst man womöglich, dass auch hier mal der Funke nicht überspringen, die Chemie nicht stimmen kann, selbst wenn man die Person als solche irgendwie gut findet.

Auch am Beginn einer Freundschaft steht eine Schwärmerei, ein Verliebtsein. Kann man das nicht erwidern, ist man nicht automatisch ein Unmensch. Mir ging es in diesem Fall eben anders als Jule. Ich sollte bloß dringend damit aufhören, mich dafür zu verurteilen – sondern mit ihr darüber sprechen.

Text: valerie-dewitt - Foto: Rike / photocase.de

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